Hundertausende Christen kehren den Kirchen in Deutschland Jahr für Jahr den Rücken mit der Folge, dass in den kirchlichen Haushalten Milliardenbeträge fehlen. Die Auswirkungen sind inzwischen auch an der Basis deutlich zu spüren. So auch in der Evangelischen Kirchengemeinde Stetten a.k.M., die vor der Frage steht, ob sie ihre blaue Kirche auf Dauer behalten kann oder sich künftig eher mit dem Gemeindehaus begnügt. Ein Zukunftsplan muss von ihr bis Ende des Jahres bei den Kirchenoberen vorgelegt werden.

Grund genug für die Verantwortlichen um Pfarrer Samuel Schelle, Dekanin Regine Klusmann vom Kirchenbezirk sowie dem Kirchengemeinderatsvorsitzenden Stephan Spillecke, die Mitglieder der Kirchengemeinde zu einer Versammlung einzuladen, um sich ein Stimmungsbild zu verschaffen. Prima Idee, könnte man meinen. Aber nur rund 25 Aufrechte, vorwiegend im fortgeschrittenen Seniorenalter, ließen sich blicken. Die Kirchengemeinde hat aktuell 1386 Kirchenmitglieder. Eingangs zeigten Spillecke, Klusmann und Schelle die kritische Situation auf, vor der die Verantwortlichen stehen.

Unter dem Stichwort „Ekiba 2032“ hat die Evangelische Landeskirche in Baden vor einigen Jahren einen Strategieprozess zur Zukunft in Gang gesetzt, bei dem die kirchlichen Gebäude und deren künftige Bauförderung eine wichtige Rolle spielen. Entsprechend wurden sämtliche Gebäude klassifiziert und die Kirchengemeinden sind aufgefordert, neue Nutzungs- und Finanzierungskonzepte für ihre Gebäude zu entwickeln. Wie die Dekanin wissen ließ, wären Berechnungen (Stand 2019) zu Folge pro Jahr rund 110 Millionen Euro nötig, um alle Gebäude instand zu halten und dem Klimaschutz anzupassen: „Zur Verfügung stehen aber maximal 40 Millionen Euro“.

Danach stellten Pfarrer Samuel Schelle und Stephan Spillecke die beiden Szenarien in den Raum, wonach für den barrierefreien Umbau sowie die Komplettsanierung der blauen Kirche Kosten von weit über drei Millionen entstünden, das Gemeindehaus hingehen mit maximal einer halben Million Euro saniert und energetisch ertüchtigt werden könnte. Schon zuvor hatten die drei Verantwortlichen darauf hingewiesen, dass sich die Kirche zukünftig von der sogenannten „Komm-Kirche“ mehr zu einer „Geh-Kirche“ entwickeln müsse: „Gehet hin zu den Menschen lautet das Motto“, sagte Klusmann, was in Stetten a.k.M. mit Aktionen wie dem Kinder-Kreuz-Weg an Ostern, dem Erntedankfest oder auch Weihnachten im Stall im Mühlgassenhof mit großem Erfolg praktiziert werde: „Da hatten wir – allerdings ökumenisch – mehr als 350 Gottesdienstteilnehmer, wohingegen in die blaue Kirche im Schnitt keine 20 kommen“, erinnerte Stephan Spillecke.
Und dennoch schienen insbesondere die ältesten Teilnehmer in der teilweise emotionalen Debatte an ihrer blauen Kirche zu hängen und konnten sich nicht vorstellen, wie das Gemeindeleben künftig ohne traditionelles Gotteshaus am Laufen gehalten werden könne. Vorschläge zur möglichen Finanzierung hielten sich allerdings in Grenzen. Sie beschränkten sich auf die Idee, regelmäßige Gemeindefeste zu veranstalten, für die allerdings die personellen Ressourcen fehlen.
Gemeinde schrumpft weiter
Gehörten der Gemeinde zu ihren besten Zeiten noch mehr als 5500 Mitglieder an (aktuell 1386), so zeige die Entwicklung, dass „man in zehn Jahren nur noch bei etwa 800“ liege, prognostizierte die Dekanin. Selbst der Kirchgemeinderat sei im vergangenen Jahr durch Austritte um „drei sehr aktive Mitglieder geschrumpft“, berichtete der Vorsitzende. Doch damit nicht genug. Denn auch der Evangelische Kindergarten – „die Schatzkiste unserer Gemeinde“ – wie Spillecke betonte, sei teilweise „in desaströsem Zustand“, was ihn beschäme, und wofür er sich bei Eltern und Kindern entschuldigen müsse: „Wir sind auf der Suche nach Lösungen, aber letztendlich werden wir den Kindergarten wohl komplett an die Gemeinde übergeben müssen“, so Spillecke.