Andrea und Joe Schröder sind zufällig in das Lebensmodell „Großfamilie“ hineingeraten. Ursprünglich wollten die Eltern dreier Kinder, mit Andreas Schwester, ihrem Ehemann und deren zwei Söhnen zusammenziehen. Eine passende Immobilie für ihr „Wohnprojekt“ fanden sie durch Zufall in Stetten am kalten Markt. Joe und Christoph – beide aus der Baubranche – sanierten das ehemalige Wohnhaus für Offiziere vollständig in Eigenleistung und bauten es für das gemeinsame Wohnen um. 2004 zogen beide Familien mit insgesamt fünf Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter ein. Als 2010 der Vater der beiden Schwestern starb, wurde aus den gemeinschaftlich genutzten Räumen im Untergeschoss eine barrierefreie Wohnung für die nun alleinstehende Großmutter Rosmarie. Als die inzwischen ausgezogenen Kinder von Andrea und Joe selbst Kinder bekamen, begann die Wohngemeinschaft weiter zu wachsen. Zurzeit leben im 600 Quadratmeter umfassenden Haus 16 Menschen aus vier Generationen.
Gemeinsame Mittagessen
„Es ist immer wieder schön hierher zu kommen, und dass immer Leute da sind“, findet Ida, die jüngste Tochter von Andrea und Joe. Sie und ihr Partner Julien wohnen abwechselnd in einer WG in Sigmaringen und bei Großmutter Rosmarie im Großfamilien-Haus. Sie sind gerne hier und genießen auch die gemeinsamen Mittagessen. „Wer mitessen will, gibt über die WhatsApp-Gruppe Bescheid, ob er teilnehmen will“, erklärt Ida. Die Kommunikation ist zwar modern, aber in der Großfamilie kochen noch ganz klassisch die Frauen. Auf die verschiedenen Essgewohnheiten und Allergien von 16 Hausbewohnern muss natürlich Rücksicht genommen werden, deshalb wird in jedem Fall immer vegetarisch gekocht.
Die Wohngemeinschaft der Schröders ist dynamisch. Das heißt, das Haus wird praktisch immer den aktuellen Gegebenheiten angepasst. Weil es ständig Ärger mit dem Vermieter gab, zogen 2019 Tochter Anika, ihr Partner Simon und die gemeinsamen beiden Kindern ein. Kurzerhand wurde dafür die Wohnung von Joe und Andrea geteilt und eine weitere Küche eingebaut.
In diesem Sommer dann wollten Sohn Jan und Partnerin Kristin – ebenfalls mit zwei Kleinkindern – probieren, wie es sich im Mehrgenerationen-Haus lebt. Dafür räumten Andrea und Joe ihre Wohnung und kamen bei Großmutter Rosmarie unter. Die momentane Aufteilung ist allerdings ein Provisorium. Anika und Simon werden Ende nächsten Jahres gleich nebenan in einen Neubau ziehen, den Simon und Joe gerade in Eigenleistung hochziehen. Dann können Andrea und Joe wieder zurück in ihre eigene Wohnung und für alle gibt es wieder ausreichend Platz.

Er sei inzwischen ein Gegner von Einfamilienhäusern meint Joe. „Das Haus ist noch nicht abbezahlt und dann ist es schon zu groß“, fasst der 52-jährige die Situation vieler seiner Altersgenossen zusammen. Das sei in Bezug auf den großen Flächenverbrauch nicht mehr zeitgemäß, erklärt der gelernte Installateur, der eine Fortbildung zum Baubiologen absolviert hat und sich beruflich nochmal im Bereich alternative Wohnformen umorientieren will.
Zusammenleben hat Vor- und Nachteile
„Wenn man Lust hat jemand zu treffen, dann ist auch immer jemand da“, meint Anika. „Und wenn man keine Lust hat, dann ist auch jemand da“, beschreibt ihre Schwester Ida scherzhaft die Vor- und Nachteil des gemeinsamen Zusammenlebens. Als die Kinder noch klein waren, seien alle noch gemeinsam in den Urlaub gefahren, aber inzwischen sei der Urlaub Erholung von der Großfamilie, meint Andrea. Konflikte bleiben natürlich in einer solchen Hausgemeinschaft nicht aus, trotzdem überwiegen für alle noch die Vorteile des gemeinsamen Zusammenlebens. Oftmals sei ein Grund für Konflikte, dass jemand „sein Zeug im Weg stehenlässt“, meint Joes Schwager Christoph. Einen Putzplan oder andere feste Pläne, die das Zusammenleben regeln, gibt es allerdings nicht. „Das kommt wahrscheinlich daher, dass sich alles bei uns erst entwickelt hat, und es von Anfang an keinen wirklichen Plan gab“, meint Andrea. Wem auffalle, dass geputzt werden muss, der übernehme die Aufgabe, berichtet sie.
Rücksichtnahme ist geboten
Damit das Zusammenleben funktioniere, sei viel Rücksichtnahme geboten, aber man müsse dem anderen auch mal sagen, was einen stört, meint Rosmarie. Sie habe keine Schwierigkeiten mit dem Leben im Mehrgenerationen-Haus, denn sie sei selbst auf einem großen Hof mit vielen Menschen groß geworden, erzählt die fünffache Großmutter und vierfache Ur-Großmutter. Ihre Tochter Andrea empfiehlt, zu akzeptierten, dass das Zusammenleben nicht immer harmonisch sein muss. Und abschließend meint sie: „Was Abgrenzung, Konfliktlösung und Kommunikation angeht, sind wir immer noch am lernen.“
Der Trend geht zum Mehrgenerationenhaus
- Einen Trend in Richtung gemeinsames Wohnen mehrerer Generationen unter einem Dach könne er in jedem Fall ausmachen, meint der Finanzexperte Bernd Schatz. Seine Finanzkanzlei in Überlingen gehört zum Berater-Netzwerk des Kreditvermittlers Dr. Klein. „Hintergrund sind sicherlich die steigenden Immobilienpreise“, stellt Schatz die Situation dar. Er ist selbst gerade dabei mit seiner Partnerin deren Elternhaus mit einem Anbau zu versehen. Nach dem Umbau ziehen dort die Schwiegereltern ein. Schatz und seine Partnerin und deren Kind werden im Bestandsgebäude wohnen. Das habe auch den Vorteil, dass er und seine Partnerin die beiden Großeltern unterstützen könnten, umgekehrt habe man den Babysitter gleich im Haus, meint Bernd Schatz.
- Etwa fünf Prozent seiner Kunden wollten ein Mehrgenerationen-Haus finanzieren, schätzt der Finanzberater. Die klassische Situation sei, dass die Großeltern eine Immobilie besäßen, die viel Arbeit mache. Gleichzeitig seien die Kinder mit den Enkelkindern auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum, berichtet Schatz. „Durch das gemeinsame Wohnen unter einem Dach werde die bestehende Immobilie ideal genutzt und wieder fit für die Zukunft“.
- Für ein Zusammenleben mehrere Generationen unter einem Dach eigneten sich viele Immobilien. Vom Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung bis zum Kauf von zwei Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus seien viele Möglichkeiten denkbar, erklärt Finanzberater Schatz. Er rät aber: „Ich finde es wichtig, dass man getrennte Wohnungen hat, in einem einzelnen Objekt sollte man zumindest getrennte Bereiche haben“. Natürlich ist der Bau von abgeschlossenen Wohneinheiten teurer, denn es muss vieles doppelt angeschafft werden, wie etwa das Bad oder die Küche.
- Die Finanzierung einer gemeinschaftlichen Immobilie empfielt Bernd Schatz ganz klar zu regeln. Er rate seinen Kunden davon ab, gemeinsam einen Kredit aufzunehmen. Eine Partei sollte die Finanzierung vollständig übernehmen. Sind die Großeltern beispielsweise nicht an der Finanzierung beteiligt, da sie die Immobilie einbringen, dann sollten ihnen die Kinder ein Wohnrecht oder das sogenannte Nießbrauchsrecht für ihren Teil der Immobilie einräumen. Beide Formen werden in das Grundbuch eingetragen und würden es den Großeltern erlauben, lebenslang in der Immobilie zu wohnen. Beim Nießbrauchsrecht dürften sie die Immobilie auch wirtschaftlich nutzten – also auch vermieten.
- Es sollten klare Verhältnisse über Mietzahlungen vereinbart werden, wenn die Finanzierung durch die Großeltern übernommen wird, empfiehlt Schatz. Ansonsten gebe es kaum Unterschiede zur herkömmlichen Baufinanzierung, außer dass die Projekte beim Mehrgenerationen-Wohnen in der Regel größer seien. Bei der Finanzierung würde die Bank eventuelle Mietzahlungen einer Partei als zusätzliche Einnahmen berücksichtigen.
- Ein staatliches Förderprogramm, das konkret auf den Bau von Mehrgenerationen-Häusern zielt, gibt es aktuell nicht. Natürlich kann man wie jeder andere private Häuslebauer verschiedene staatliche Förderungen wahrnehmen, die es etwa für die energetische Sanierung gibt.
- Vor dem Baubeginn sollte man sich über Fördermöglichkeiten informieren, rät Bernd Schatz. Wenn die Großeltern mit einziehen, könne man eventuell finanzielle Unterstützung für den Bau von altersgerechten oder barrierefreien Wohnungen in Anspruch nehmen.