Jürgen Bertsches Büro befindet sich im ersten Obergeschoss des Bräunlinger Rathauses. Auf dem Schreibtisch liegt noch Arbeit für den langjährigen Hauptamtsleiter. Die Kilbig ist gerade vorbei, alles hat gepasst – mal wieder. Auch Dank Bertsches Routine.

Arbeitszeugnisse gilt es jetzt auszustellen. Alltag für Bertsche. Die meisten der anderen Aufgaben aus seinem üppigen Portfolio übernimmt bereits seine Nachfolgerin Christiane Krieger. Im November hat Bertsche noch Resturlaub, im Dezember sagt er der Stadtverwaltung dann Lebewohl.

Sie war seit dem 1. August 1977 die berufliche Heimat des gebürtigen Bräunlingers. 47 Jahre lang.

Seine Ausbildung für den mittleren Verwaltungsdienst absolvierte er beim Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis. Der neue Kreis war damals erst ein Jahr alt, Rainer Gutknecht ist Landrat. Zufällig wird gegen Bertsches Ausbildungsende in seiner Heimatstadt eine Stelle frei. Am Freitag schreibt er seine schriftliche Prüfung, am Montag tritt er seinen Dienst in Bräunlingen an – und wird Stellvertreter des damaligen Ratsschreibers – was dann später der Hauptamtsleiter wurde – Joachim Schweitzer.

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„Es gab eine elektrische Schreibmaschine und zehn Leute arbeiteten für die Stadt“, erinnert sich Bertsche. Heute sind es mehr als Hundert. Bürgermeister ist damals noch Karl Schneider. Das war er bis Ende 1985, dann kam Jürgen Guse. Mit ihm arbeitet Bertsche schließlich über 30 Jahre zusammen, 2017 folgt ihm dann Micha Bächle nach, der aktuelle Bürgermeister Bräunlingens.

Die Technik entwickelt sich weiter

Die Technik hat in dieser Zeit riesige Sprünge gemacht. Von der Schreibmaschine sind die Rathaus-Mitarbeiter weg, mittlerweile läuft alles digital, die Arbeit mit dem PC ist selbstverständlich. Was sich allerdings nicht geändert hat: Die Arbeit des Hauptamtsleiters als Generalist. Wo in größeren Gemeinden viele Bereiche aufgeteilt und entsprechend mit verschiedenen Leuten besetzt sind, bündelt sich das in Bräunlingen im Hauptamt. Sozialhilfe, Katastrophenschutz, Feuerwehr, Ordnungsamt, Standesamt, die Abwicklung der Wahlen – um nur einige zu nennen.

„Auch den Bürgerservice, von Ausweis bis Wohngeld, haben wir hier bewerkstelligt“, sagt Bertsche. Mit den Computern stiegen auch die Anforderungen. 1998 wird die Stabsstelle der kommunalen Wirtschaftsförderung gebildet: „Wir organisierten dann die erste Gewerbeschau und die Bräunlinger Wirtschaftsrunde.“ Bertsche bekommt von Bürgermeister Guse viel Verantwortung – und freie Hand. „Eine tolle Aufgabe“, sagt der scheidende Hauptamtsleiter.

Das Bildungs- und Betreuungszentrum

Im Jahr 2010 übernimmt Bertsche die Nachfolge von Joachim Schweitzer. Besonders stolz ist er rückblickend auf den Aufbau des Bildungs- und Betreuungs-Zentrums 2011/2012, mit Kindergarten, Krippe, Schulkindbetreuung und Mensa: „Das war ein Meilenstein. Und es ist eine tolle Einrichtung. Immer auf der Höhe der Zeit.“ Mit den Kindergärten kommt auch mehr Personal zur Stadt. Auch das fällt in Bertsche Aufgabenbereich. „Ein wahnsinniges Portfolio“, sagt er. Arbeitstage mit zwölf oder 14 Stunden sind eher die Regel als die Ausnahme.

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Was für manch einen wie der pure Stress wirkt, ist für Bertsche eine positive Bestätigung: „Ich hatte ein sehr erfülltes Berufsleben. Ich habe das immer geschätzt. Es ist schön, unheimliche viele Menschen getroffen und kennengelernt zu haben.“ Ein Blick über den eigenen Tellerrand, etwa bei der interkommunalen Arbeit im Städtedreieck, sei nie verkehrt: „Ich durfte bei vielen Dingen aktiv mitgestalten“, sagt Bertsche. Besonders im Bildungs- und Betreuungs-Zentrum.

Jetzt ist Jürgen Bertsche der dienstälteste Rathaus-Mitarbeiter. Wenn andere Mitarbeiter geehrt werden, dann kann er zu jedem auch etwas sagen, war bei allen Entscheidungen beteiligt: „Personal ist unser Kapital“, erklärt er.

Beratung auch nach Dienstschluss

Das erfüllende Berufsleben hört für den Bräunlinger auch nicht an der Rathaustüre auf. Er ist in der Stadt aufgewachsen. Die Bräunlinger kennen ihn, er kennt die Leute hier. Also wird auch mal beim Spaziergang etwas nachgefragt: „Ich habe teilweise am Sonntag beim Gang über den Friedhof noch Beratungsgespräche geführt“, schmunzelt Bertsche.

Die Vereine in der Stadt sind im besonders wichtig, ist er doch dort auch aktiv. Er ist Ehrenvorsitzender beim Heimat- und Trachtenbund Bräunlingens, war 42 Jahre bei der Feuerwehr aktiv, wo er jetzt Ehrenmitglied ist.

Hohe Ehrung für Jürgen Bertsche (rechts): Bürgermeister Jürgen Guse zeichnet den Ehrenvorsitzenden des Heimat – und Trachtenbundes ...
Hohe Ehrung für Jürgen Bertsche (rechts): Bürgermeister Jürgen Guse zeichnet den Ehrenvorsitzenden des Heimat – und Trachtenbundes Bräunlingen am Kilbigsamstag 2008 mit der Ehrennadel des Landes Baden-Württemberg für Verdienste im Ehrenamt aus.

Ist der Staudamm am Kirnbergsee gebrochen?

Dort ist er auch aktiv, als Anfang der 1990er-Jahre eine große Flut Bräunlingen überschwemmt. In der Nacht zuvor regnet es sehr viel. Am nächsten Tag läuft zwischen 8 und 9 Uhr das Städtle voll: „Wir mussten die Schule evakuieren, die Einsatzzentrale wurde ins Feuerwehr-Gerätehaus verlegt“, sagt Bertsche. Er ist am Funkgerät, als die Meldung kommt, der Staudamm am Kirnbergsee sei gebrochen und eine Flutwelle rase auf Bräunlingen zu. Ein unheimliches Gefühl. „Man weiß nicht: Überlebe ich das?“ Leute kletterten auf die Hausdächer, schließlich klärt ein Hubschrauber auf: Der Damm steht. „Das war die längste halbe Stunde meines Lebens“, so Bertsche.

Das Hochwasser 1990 überflutet die Kirchstraße komplett. Wer sich hier fortbewegen möchte, der benötigt ein Boot.
Das Hochwasser 1990 überflutet die Kirchstraße komplett. Wer sich hier fortbewegen möchte, der benötigt ein Boot. | Bild: Stadt Bräunlingen

Mittlerweile gibt es eine Flutmulde und die Stadt ist mit Katastrophenschutz-Plänen gerüstet. Dennoch gibt es weitere Herausforderungen. Das Wetter wird extremer, nahezu jedes Jahr gibt es starke Stürme: „Es nimmt immer mehr zu – und man muss sich wappnen. Das bringt der Job mit sich.“

Pandemie sorgt für spezielle Schwierigkeiten

Eine besondere Herausforderung sei auch die Pandemie gewesen: „Wir hatten dafür keine Blaupause.“ Freitags kamen die neuen Landesregelungen, am Montag sollten sie von der Gemeinde umgesetzt werden: „Es war ein gewaltiges Arbeitspensum“, erklärt Bertsche. Und man habe nirgends fragen können, weil alle das erste Mal mit solch einer Lage zu tun hatten: „Wir haben versucht, das Beste daraus zu machen. Im Großen und Ganzen ist es gut gelaufen.“

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Kritik anzunehmen, das gehört dazu: „Vom ein- oder anderen gibt‘s auch mal was auf die Mütze. Aber wenn man dann erklärt, warum etwas gemacht wurde, dann verstehen das die Leute meistens auch.“ Im Rankenwerk der Verwaltung, „da sitzen wir an unterster Stelle im staatlichen System.“ Direkt am Bürger.

Nur, wenn andere mitziehen

Über fast 50 Jahre solch einen Dienst für die Allgemeinheit auszuüben, das gehe nur, wenn andere auch mitziehen: „Meine Familie hat mich getragen“, sagt Bertsche. Neben Frau, Sohn und Tochter hat er mittlerweile drei Enkelkinder im Alter von sieben, vier und knapp zwei Jahren. Der kleinste Enkel wohnt mit im Haus, womit auch ein Betätigungsfeld im Ruhestand schon geklärt wäre: „Ich freue mich auf die Zeit, wenn es ruhiger wird.“ Aktiv ist Bertsche außerdem als stellvertretender Vorsitzender beim Bund Heimat und Volksleben.