Bis in die Mitte der Sechzigerjahre klaffte in der ostseitigen Wand des Donaueschinger Proviantamtes ein großes Loch. Quasi die Erinnerung an die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs, verursacht von einer Fliegerbombe. Auch heute noch erinnern sich viele Donaueschinger an das Militärgebäude, und wie der Geruch nach frisch Gebackenem die Kinder damals bis an die Grundstücksgrenze lockte. Vielleicht hatte ein netter Soldat ja mal ein Stück Baguette übrig.
- Misslungene Sprengung: Wenn man den überaus erfolgreichen ehemaligen Oberbürgermeister Bernhard Everke fragen würde, ob ihm während seiner Amtszeit auch einmal etwas gründlich misslungen sei, würde er vermutlich ganz spontan antworten: Ja, die Sprengung des Proviantamtes. Als er nämlich am 18. März 1986 vor zahlreichem Publikum die Sprengladung gezündet und sich der Staub verflüchtigt hatte, stand das Gebäude immer noch. Zwar etwas schief, aber die Vorbereitung des Areals für eine Neubebauung mit dem Donaucenter I und II sowie stadtnahen Wohnhäusern verzögerte sich dadurch stark.

- Ein Meer aus Sirup: Nachdem das Heeresverpflegungsamt bei einem Fliegerangriff Bombentreffer erhalten hatte und die französischen Truppen der Stadt immer näher kamen, wurden die Vorratslager am 20. April 1945 für die Bevölkerung zur Räumung freigegeben. Die Menschen aus Donaueschingen und der gesamten Umgebung rafften zusammen, was sie dort vorfanden und transportierten ihre Beute in Schubkarren, Handwägelchen und Bauernwagen ab. Ein Zeitzeuge schilderte die Situation so: „Man watete durch Rübensirup und Reis, trat in Margarinefässer, beschmutzte sich mit Fett, bestäubte sich mit Zucker und Mehl und glitt auf Butterklumpen aus. Große Räder Schweizerkäse wurden durch die Straßen gerollt.“
- Straßenplanung: Heute stellt sich die Frage, aus welchen Gründen die Landesstraße 180 im Zuge der Neuen Wolterdinger Straße / Hindenburgring in die Mühlenstraße und nicht direkt in den Hindenburgring geführt worden war – was eindeutig die bessere Lösung gewesen wäre. Diese Planungsvariante konnte allerdings nicht realisiert werden, weil das Proviantamt von den französischen Streitkräften damals noch für unverzichtbar angesehen worden war. Nur ein paar Jahre später waren die Gegebenheiten aber schon ganz anders: Mit der Privatisierung des Backbetriebs, der Reduzierung der französischen Standorte in Deutschland und der Umstellung der Heizungsanlagen auf das umweltfreundlichere Gas waren die großen Gebäude auf dem Proviantamtsgelände obsolet geworden. Jetzt aber war die Mühlenbrücke schon gebaut, wenn auch am falschen Platz.
Damals und heute
- Unsere Serie: In der großen SÜDKURIER-Sommerserie "Gedächtnis der Region" blicken wir in unseren Lokalteilen zurück in die Sechzigerjahre und zeigen Ihnen anhand von Bildern, wie sich das Leben am Bodensee, am Hochrhein und im Schwarzwald verändert hat.
- Ihre Bilder: Wir suchen Ihre Bilder und Geschichten aus den Sechzigerjahren. Wie sah das Leben in den Dörfern und Städten aus? Schicken Sie uns Ihre Erinnerungsschätze und wir begeben uns auf Spurensuche.
Das Heeresproviantamt im Wandel der Zeit
Die Geschichte Donaueschingens ist eng verknüpft mit der Geschichte des Militärs vor Ort. Besonders prägnant war dabei neben den Kasernen auch die Einrichtung für die Soldaten-Verkostung: das Proviantamt. Von der Nutzung durch die Wehrmacht bis hin zur französischen Armee
- Die Entstehung: Das Heeresverpflegungsamt, ab 1943 Heeresverpflegungshauptamt, mit einer Vielzahl von Gebäuden wie zum Beispiel Lager, Getreidespeicher, Großbäckerei und vielen mehr, war im Zuge der Kasernenneubauten und der Errichtung des Standortlazaretts auf dem Buchberg Mitte der Dreißigerjahre mit Gleisanschluss zum Donaueschinger Bahnhof errichtet worden. Es war es eines der größten seiner Art im Südwesten des damaligen Deutschen Reichs. Von hier wurde ein komplettes Armeekorps (militärischer Großverband aus mehreren Divisionen) mit Brot und Getreide versorgt, und hier arbeitete während des Krieges eine vollständige Bäckereikompanie rund um die Uhr. In den Getreidespeichern lagerten tausende Tonnen Getreide.
- Weitere Nutzung: Das Ende des Zweiten Weltkriegs bedeutete nicht auch das Ende der militärischen Nutzung. Nach Kriegsende nutzten die in Donaueschingen stationierten französischen Streitkräfte das Proviantamt. Auch die Großbäckerei blieb weiter in Betrieb. Bis zur Privatisierung lieferte diese über viele Jahre hinweg das Brot für die französischen Garnisonen in Donaueschingen, Villingen, Friedrichshafen, Konstanz, Langenargen, Radolfzell, und Stetten am kalten Markt. Auch für die Donaueschinger war die französische Bäckerei ein duftendes Erlebnis. Hubert Mauz hat in der Geschichte "Mi Hoametstadt Eschinge mit de Nas gschnupperet" im Buch "Eschinger Gschichten" sehr anschaulich beschrieben, welche Gelüste bei den Donaueschinger Jugendlichen zu Beginn der Sechzigerjahre der Duft von frisch gebackenem Baguette auslöste.
- Kohle und Möbel: Jacky Fritzinger, langjähriger Leiter des französischen Einkaufszentrums Économat im Kasernenareal, erinnert sich an weitere Nutzungen der großen Gebäude. So diente ein Gebäude als Zwischenlager für Möbel, mit denen die französischen Soldaten ihre Wohnungen ausstatteten, wenn ihre Familien in Donaueschingen eine Wohnung bezogen. Ebenfalls war dort die Kohle für das Beheizen der Kasernen sowie der Wohnungen der Familien der Armeeangehörigen gelagert, bevor die Umstellung auf Gas erfolgte.
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