Die Stadt Mazar-e Sharif dürfte den meisten Menschen aus den Nachrichten bekannt sein. In der viertgrößten afghanischen Stadt war die deutsche Bundeswehr von 2001 bis 2014 stationiert. Seither sind deutsche Soldaten weiterhin in Afghanistan im Rahmen der Mission Resolute Support aktiv. Für SayedMusawi war Mazar-e Sharif bis November 2015 seine Heimat. Seither lebt er mit seiner Familie in Donaueschingen. Dort absolviert er aktuell eine Ausbildung zum Straßenbauer – für ihn der Weg in die Selbstständigkeit.
Vor der Ausbildung lag für Musawi ein langer Weg. „Ich hatte in Afghanistan nie etwas mit Deutschland zu tun“, erzählt er. In Mazar-e Sharif war der heute 37-Jährige als Elektroschlosser tätig – seit seinem 11. Lebensjahr. Vollständige Schulbildung? Fehlanzeige.
Als seine Familie – Ehefrau (37) und mittlerweile vier Kinder (drei, acht, 13 und 14) – nach Donaueschingen kamen, konnten sie kein Wort deutsch. „Über einen Bekannten habe ich Kontakt zur Firma Storz bekommen“, sagt Musawi. Dort konnte er als Bauhelfer anfangen. „Ich erinnere mich an meinen Start. Ich habe nichts verstanden. Der Chef sagt mir, ich soll den Spaten holen. Ich stand einfach nur da und wusste nicht, was ich tun soll“, erzählt Musawi. „Dann hat er mich gefragt: ‚Bist du der Chef, oder was?‘ Ich sagte: ‚Ja‘, weil ich wieder nichts verstanden habe“, ergänzt er und lacht.
Mit der Zeit funktionierte die Verständigung aber besser. „Ich habe mir Begriffe wie Schaufel oder Kelle mithilfe des Internets beigebracht“, sagt Musawi. Außerdem hatte er eineinhalb Jahre dreimal die Woche abends für drei Stunden Deutschunterricht.

Ende 2016 erhielten der Afghane und seine Familie das dauerhafte Aufenthaltsrecht in Deutschland – und Musawi am 20. März 2017 seinen festen Vertrag für die Stelle des Bauhelfers. Irgendwann aber kam Musawis Chef auf ihn zu und sagte, dass es ohne eine Ausbildung nicht weiter gehen könne. Also ergriff der Afghane die Gelegenheit und nahm die Ausbildung am 1. September 2019 auf.
Im ersten Lehrjahr findet die schulische Ausbildung in der gewerblichen Schule in Donaueschingen statt. Dort erhalten alle Bauberufslehrlinge die Grundlagen beigebracht. „Das zwei und dritte Ausbildungsjahr verbringe ich in der Schule in Bühl bei Baden-Baden“, erzählt Musawi. Dort bekommt er ein Zimmer gestellt, das er sich mit einem Kollegen teilt. In der Zeit wird er unter der Woche von seiner Familie getrennt sein.
Wer der Kollege sein wird, ist noch nicht klar. Er oder sie wird aber in jedem Fall jünger als Musawi sein. „Meine älteste Tochter ist 14. Meine Klassenkameraden sind fast genau so alt“, sagt der 37-Jährige. Probleme gebe es deshalb aber keine. „Sie nennen mich scherzhaft nur Capo, also Chef“, erzählt er weiter.
Ob er jemals wieder als Elektroschweißer arbeiten wird, weiß Musawi nicht. Er würde gerne noch eine weitere Ausbildung in seinem eigentlichen Beruf machen. Das Alter, das er dann haben wird, und der Verdienst machen ihm aber wohl einen Strich durch die Rechnung. Nach der Lehre will aber auf jeden Fall die Weiterbildung zum Vorarbeiter dranhängen.
Der Beruf des Straßenbauers macht Musawi Spaß. Es gebe zwar auch Tage, die „haram“, also schlecht, seien. Meistens aber seien die Tage auf der Baustelle sehr positiv. Stolz macht es ihn, wenn er eine Straße sieht, die er mitgebaut hat. Seit kurzem wohnt er mit seiner Familie in Hüfingen: „Wir leben genau an der Straße, die meine Kollegen und ich gebaut haben“, sagt er. Wenn er das sieht, sind die Tage in der Regel „halal“.
Die Ausbildung ist für Musawi mehr als nur das Erlernen eines Berufes, sie ist für ihn das Eingangstor für ein Leben in Deutschland. Ohne die Arbeit hätte er nie so schnell Freunde und Bekannte gefunden, auch das Erlernen der Sprache wäre ohne Arbeit wesentlich komplizierter gewesen. Und seit kurzem hat der Afghane auch einen Führerschein: „Ich musste die Prüfung auf deutsch absolvieren, persisch gab es nicht“, sagt er. Bis zur Fahrerlaubnis war der 37-Jährige viele Male 3,5 Kilometer zur Schule gelaufen.