Der Parkplatz vor dem markanten Holzhaus in der Hüfinger Bahnhofstraße ist leer. Darin befinden sich die Räume der Arztpraxis von Winfried Grohmann. Mittwoch ist dort nachmittags niemand mehr – eigentlich.

Tatsächlich ist aber in den Räumen Licht zu sehen, Menschen bewegen sich. Es handelt sich um den bekannten Kinderarzt Selahattin Yavrucuk. Hier empfängt er Patienten, gibt Ratschläge, hilft.

Wenn der Beruf zur Berufung wird

Das Besondere daran: Yavrucuk ist mittlerweile 87 Jahre alt. Im Ruhestand ist er schon lange, hat keinen Kassenarztsitz mehr. Um Patienten kümmert er sich dennoch weiter. Einen zweiten Ruhestand wollte er vor rund drei Jahren angehen. Damals praktizierte er in der Donaueschinger Straße, viele Patienten kamen, um sich zu verabschieden.

Über 40 Jahre ist Yavrucuk bereits als Kinderarzt auf der Baar tätig, hat sich um Generationen gekümmert. Und das fehlt ihm im Ruhestand: „Wir waren zum Urlaub in den Bergen. Und meine Frau meinte zu mir: Deine Patienten fehlen dir, oder?“

Also macht sich der Kinderarzt – mit Zustimmung der Familie – wieder ans Werk. Privat und ohne große Bürokratie. „Es ist mein Hobby, nicht der Beruf. Ich habe im Leben einen Fehler gemacht. Ich habe mir nie ein weiteres Hobby gesucht.“

Entlastung für die Kollegen

Jetzt darf der Kinderarzt die Räume der Praxis Grohmann nutzen: „Ein toller Kollege“, sagt Yavrucuk. Beide schätzen den gegenseitigen Austausch.

Und Yavrucuk ist mehr als dankbar über die Möglichkeit der Raumnutzung. Immer wenn die Praxis nachmittags geschlossen ist, darf Yavrucuk hinein. Die Patienten erreichen ihn über seine Handynummer.

Was Yavrucuk und die Patienten besonders schätzen: Der Arzt hat Zeit, muss nicht hetzen: „Ich rede länger mit ihnen, ich habe Zeit. Es ist nicht nur die Behandlung der Hals-Entzündung und dann ist fertig. Es entsteht Vertrauen.“

44 Jahre haben die Patienten ihn und seine Familie finanziert, „jetzt möchte ich auch noch was zurückgeben.“

Yavrucuk versteht sich dabei nicht als Konkurrenz zu den Berufskollegen, sondern als Entlastung: „Ich helfe indirekt.“

Dass Ärzte im Ruhestand eventuell weiter mit anpacken, das wäre für Yavrucuk eine Maßnahme, dem Ärztemangel im ländlichen Raum zu begegnen: „Dreimal die Woche einen halben Tag, das hilft uns.“

Eine Regelung, die funktioniert

So ähnlich hat man es in der St. Georgener Praxis Probst geregelt. Charlotte und Johannes Probst sind Anfang 2023 zurückgetreten, eine Berufsausübungsgemeinschaft mehrerer Ärzte leitet die Praxis mittlerweile.

Charlotte und Johannes Probst sind allerdings auch weiter beruflich aktiv – nur eben nicht in vollem Umfang: „Wir sind regulär als Sicherstellungs-Assistenten mit 20 Stunden dabei“, erklärt Johannes Probst.

Für seine Frau und ihn sei das schön: „Wir sind aus dem vollen Berufsleben raus und eben noch ein bisschen dabei.“ Und Probst sieht auch eine Verpflichtung den Patienten gegenüber.

Die Praxis wird 1948 von seinem Vater gegründet, 1985 übernimmt der Sohn, gründet schließlich mit Frau Charlotte eine Gemeinschaftspraxis. 1997 kommt mit Hertha-Maria Potschaske ein weiterer Arztsitz dazu.

„Wir haben Patienten, die sind seit 70 Jahren in der Praxis Probst. Das ist medizinische Lebensbegleitung.“ Das ist dem St. Georgener Arzt wichtig, er übt den Beruf mit Leidenschaft aus: „Das möchte ich nicht missen.“

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So lange, wie es nur geht

Ärzte werden dringend gebraucht, sagt Probst. In St. Georgen habe man „das richtige Modell mit sechs Ärzten“ gefunden, um dem zu begegnen. Es sei schön, dass das so machbar sei: „Es geht ja da vor allem um die zeitliche Inanspruchnahme.“

Und eben hier unterstützen Probst und seine Frau. Wie lange das gehen kann? Das werde sich zeigen.

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Für Selehattin Yavrucuk in Hüfingen ist das indes klar: Solange es für ihn gesundheitlich machbar ist – und es auch seiner Frau gut geht, will er Patienten helfen: „Wenn ich es selbst merke – oder jemand feststellt, dass ich vergesslich werde, dann muss ich aufhören.“

Neugeborene nimmt Yavrucuk auch nicht mehr an: „Es könnte schnell sein, dass ich aufhören muss. Dann müssen sie jemand anderen suchen. Das will ich nicht.“

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Yavrucuk sagt, er sei nicht da, „um Geld zu verdienen. Wenn Patienten kommen, dann sage ich nicht nein.“ Eine Arzthelferin habe er nicht, lediglich sein Handy, über das Termin-Anfragen kommen. Dafür erfährt der 87-Jährige eine große Dankbarkeit.

So etwa auch in Wien, als er plötzlich einen Nachtisch an den Tisch gebracht bekommt: „Da war jemand, der mich noch kannte. Die Dankbarkeit ist so groß, ich weiß nicht, wie ich das zurückgeben kann.“