Ein junger Afrikaner lebt seit einigen Jahren in Villingen-Schwenningen. Jetzt droht ihm die Abschiebung nach Italien. Besonders bitter: Abdoulie Camara absolviert derzeit eine Bäckerlehre bei der Bäckerei Hilsenbeck. Und die Inhaber, Miriam und Uwe Hilsenbeck, sind auf die Arbeitskraft des Mannes angewiesen.
Doch die Behörden scheinen unerbittlich. Ein Bittschreiben an das Verwaltungsgericht, das die Abschiebung in die Wege leitet, bleibt wirkungslos.
Klaus Meusel engagiert sich seit vielen Jahren, gemeinsam mit weiteren ehrenamtlichen Helfern im Verein Jobclub VS dafür, dass geflüchtete Menschen in Villingen-Schwenningen Fuß fassen und in ein Arbeitsverhältnis kommen. Seine Bilanz kann sich sehen lassen. „Rund 70 Menschen habe ich in den vergangenen Jahren in Lohn und Brot bekommen“, sagt er selbst.

Aktuell ist Klaus Meusel jedoch persönlich emotional an seiner Belastungsgrenze. Abdoulie Camara, der Bäckerlehrling aus Gambia, soll demnächst abgeschoben, weil Deutschland nicht für seinen Asylantrag zuständig ist.
Aus der Flucht in den Traumberuf
Eigentlich könnte Camara glücklich sein. Der 26-Jährige flüchtete 2017 wegen familiärer Schwierigkeiten aus Gambia über die Mittelmeerroute nach Europa, über Italien nach Deutschland, irgendwann nach Villingen-Schwenningen. Er bekommt eine Ausbildungsstelle als Bäcker bei der Familie Hilsenbeck. Für den Gambianer ein Traumberuf.
Seine liebste Aufgabe? „Brezeln backen“, lacht Camara, der seinen Lebensmut trotz der aktuellen Situation nicht verloren hat. „Bäcker ist in afrikanischen Ländern ein angesehener Beruf, weil sie Menschen ernähren“, sagt Klaus Meusel. Doch nach jetzigem Stand wird Abdoulie Camara seine Ausbildung nicht beenden können.

Vor einigen Wochen flatterte ihm ein Schreiben vom Verwaltungsgericht Freiburg ins Haus, in dem er über eine Gerichtsverhandlung zu seiner bevorstehenden Abschiebung informiert wurde. Und zwar nach Italien, das Land, in dem er nach seiner Ankunft in Europa erstregistriert wurde. Nach dem Dublin-Verfahren ist Italien für ihn zuständig.
Kritik an italienischer Flüchtlingspolitik
Klaus Meusel kritisiert die italienische, aus seiner Sicht explizit rassistische Flüchtlingspolitik und skizziert, was Flüchtlinge in Italien erwartet.
„Diese Menschen sind völlig entrechtet. Ihnen ist jede Hilfe in Form von finanzieller Unterstützung, Zugang zum offiziellen Arbeitsmarkt und zum Gesundheitssystem und Möglichkeiten der Sprachförderung, von Gesetzes wegen versagt. Um Geld zu verdienen, bleibt Frauen meist nur die Prostitution, Männer bieten auf dem Arbeiterstrich für einen absoluten Hungerlohn ihre Arbeitskraft an und es droht die Obdachlosigkeit.“
Schwerer Schlag für Familienbetrieb
Für Miriam und Uwe Hilsenbeck bedeutet das Abschiebeverfahren sowohl menschlich als auch betriebswirtschaftlich eine Katastrophe. „Das ist ein menschliches Drama, Abdoulie ist für uns mittlerweile wie ein fünftes Kind“, beschreibt Miriam Hilsenbeck ihre Gefühlslage.
Abdoulie sei pünktlich und fleißig und mit Leidenschaft bei der Arbeit.“ Abdoulie Camara ist einer von acht der insgesamt 20 Beschäftigen mit Migrationshintergrund.
Ihr Mann Uwe beschreibt, was die Abschiebung für den Bäckereibetrieb bedeutet. Es sei ohnehin schwierig genug, junge Menschen für den Bäckerberuf zu begeistern. Zehn Jahre lang habe er keinen Auszubildenden mehr gehabt. Er sei froh über Abdoulie Camara.

„Früher waren wir sechs Personen in der Backstube. Heute sind wir noch zu viert. Davon soll jetzt noch einer abgeschoben werden. Man kann doch keine Leute abschieben, die arbeiten, wenn man überall Fachkräfte benötigt“, schüttelt Hilsenbeck verständnislos den Kopf. Sein Betrieb sei durch steigende Kosten für Energie und Rohstoffe ohnehin schon gebeutelt genug.
Hilsenbeck blitzt bei Richter ab
In ihrer großen Verzweiflung schrieben die Hilsenbecks sogar einen Bittbrief an das Verwaltungsgericht, in dem sie auf die besondere prekäre Situation aufmerksam machten. „Das Gericht hat das Schreiben zur Kenntnis genommen aber verlauten lassen, dass dies nichts an der Sache ändern werde“, so Hilsenbeck, der den Brief persönlich an den Richter überreichte, der in einer Verhandlung über die Rückführung Camaras entschied.
Einen Satz aus der Urteilsbegründung wühlt die Beteiligten besonders auf. Demnach „reiche eine bloße große Armut oder starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse insoweit nicht aus, wenn diese nicht im Sinne einer Verelendung folterähnlich wirken“. Für Klaus Meusel ist diese Begründung „ein klarer Verstoß gegen Artikel eins des Grundgesetzes, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist“.
Von einem Einspruch gegen das Urteil rieten die Anwälte mit Blick auf die hohen Kosten und der nicht zu erwartenden Verzögerung des Verfahrens ab.
So geht das Verfahren weiter
Wie geht es jetzt für Abdoulie Camara weiter? Wenn am 28. November die einmonatige Einspruchsfrist abläuft, wird das Verwaltungsgericht irgendwann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) informieren. Dort wird dann die Rückführung Camaras festgesetzt und gleichzeitig das Regierungspräsidium in Karlsruhe als Ausländerbehörde informiert. Von dort wird die Untere Ausländerbehörde in Villingen-Schwenningen informiert, die den Abschiebebeschluss letztlich mit Hilfe der Polizei ausführen muss.
Ein bisschen Hoffnung bleibt noch
Einen winzigen Hoffnungsschimmer, an den sich derzeit alle Beteiligten klammern ist die sechsmonatige Frist, in der das alles stattfinden muss. Hier setzt Meusel auf die „zeitliche Komplexität des bürokratischen Ablaufs“. „Wenn die Rückführung Camaras nicht bis 28. Mai 2023 vollzogen ist, kann er dann in Deutschland Asylantrag stellen und anschließend einen Antrag auf Ausbildungsduldung.“

Das bedeutet, dass der Azubi seine mehrjährige Ausbildung beenden und anschließend für zwei Jahre seinen Beruf ausüben kann. Ohne während dieser Zeit Angst haben zu müssen, dass er abgeschoben wird.