Eigentlich sind die Züge der Schwarzwaldbahn zwischen Karlsruhe und Konstanz und damit auch im Schwarzwald-Baar-Kreis unterwegs. Alle zirka 20.000 Kilometer jedoch machen sie sich auf den Weg ins Breisgau nach Freiburg. Dort nämlich befindet sich die Werkstatt von DB Regio, in der unter anderem die Züge der Schwarzwaldbahn gewartet werden.
Seit acht Wochen aber sehen die Mitarbeiter der Werkstatt die roten Waggons häufiger. Alle 7000 Kilometer werden sie nach Freiburg gebracht. Der Grund: Die Reifen haben einen höheren Verschleiß als üblich – und zwar einen fünfmal so hohen. Normalerweise benötigen die 40 Wagen der Schwarzwaldbahn etwa 100 Radsätze pro Jahr.

In der Werkstatt will die Bahn herausfinden, warum die Reifen so viel stärker als üblich abgefahren sind. Einer der Hauptverantwortlichen für die Behebung der Probleme ist Martin Selig. Er ist seit 1986 in Diensten der Bahn, war schon Betriebsleiter in Stuttgart und Geschäftsführer von DB AutoZug und CityNightLine in Dortmund und Zürich.
Aktuell ist er als Produktionsleiter BW verantwortlich für 800 Lokführer, 400 Fahrzeuge, zirka 26 Millionen Zugkilometer im Jahr im gesamten Land Baden-Württemberg mit den Schwerpunkten Ulm, Freiburg und Stuttgart.

Beim exklusiven SÜDKURIER-Besuch in der Freiburger Bahnwerkstatt sagt er zu Beginn: „Eines ist mir wichtig: Unsere Züge waren und sind sicher unterwegs. Die Probleme mit den Reifen haben wir im Rahmen der Überprüfungen entdeckt.“ Dass die starke Abnutzung entdeckt worden war, sei gerade Ausdruck dafür, dass die Sicherheitsmechanismen bei der Bahn funktionieren.
Seither versuchen die Mitarbeiter in der Werkstatt herauszufinden, warum die Reifen diese starke Abnutzung haben. „Dazu muss man erst einmal verstehen, wie so ein Reifen funktioniert“, sagt Selig. Anders als etwa ein Autoreifen, sind Zugreifen innen dicker und werden nach außen dünner. In der Fachsprache verjüngen die beiden Reifen, die durch eine Starrachse miteinander verbunden sind, sich nach außen. Damit können die Reifen auf der Schiene sich leicht bewegen. Diese Bewegung nennt sich in der Fachsprache Sinuslauf oder Wellenlauf. „Das erhöht den Fahrkomfort und verringert den Verschleiß“, so Selig.

Auf der Schiene gehalten werden die Reifen durch den Spurkranz. Dieser sitzt auf den Schienen auf und verhindert ein Entgleisen. Wie hoch, breit und tief alles sein muss, ist gesetzlich durch die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vorgegeben. Wird bei der Überprüfung festgestellt, dass die Spurkränze zu schmal sind, könnten sie die seitwärtsgerichteten Kräfte, also die Bewegungen, die durch die sich verjüngenden Reifen entstehen, nicht mehr aufnehmen.
Die Folgen wären fatal. Die Reifen könnten etwa Weichen aufschneiden, weil sie statt in der Spur zu bleiben, auf die Gleise führen. Der Zug würde dann entgleisen. Bei der Überprüfung der Schwarzwaldbahnzüge wurde festgestellt, dass die Abnutzung an den Reifen und damit eben auch an den Spurkränzen deutlich angestiegen ist.
Der Grund dafür ist aber weiterhin nicht ganz klar. Selig: „Man kann sich Schienen und die Züge, die auf ihnen fahren, ein wenig wie einen Joggingschuh vorstellen. Stellen Sie sich vor, Sie laufen in einem Schuh und der passt wunderbar. Dann kaufen Sie sich ein neues Paar von exakt dem gleichen Hersteller und das exakt gleiche Modell. Aber plötzlich drückt es am Fuß. So in etwa ist das auch bei Gleisen. Die müssen erst eingeschliffen werden.“

Neue Gleise gibt es seit dem vergangenen Sommer auf der Schwarzwaldbahn auf dem etwa 40 Kilometer langen Teilstück zwischen Hausach und St. Georgen. Das Problem sei aber, dass dieses Einschleifen nicht auf allen Schienen notwendig ist. „Auf der Strecke Geislingen-Ulm wurden die Schienen auch gewechselt. Da gibt es gar keine Probleme“, sagt der Produktionsleiter weiter.

Anders als dort, ist die Strecke Hornberg-St. Georgen aber besonders kurvig – der kurvigste Teil der gesamten Schwarzwaldbahn. Als erste Maßnahme war daher die Geschwindigkeit in diesem Bereich vor einigen Wochen verringert worden. Außerdem wurde die Strecke häufiger geschmiert als sonst. Das Ergebnis: „Der Verschleiß konnte deutlich reduziert werden, er ist aber noch nicht auf Normalniveau“, sagt Selig.
Ob die Lösung des Problems aber in der Jogginschuh-Methode liegt, ist auch nach über acht Wochen noch nicht klar. Selig: „Es gibt letztlich drei Möglichkeiten. Entweder, die Abnutzung läuft proportional zu den gefahrenen Kilometern oder die Abnutzung ist erst schwach und wird dann immer stärker. In diesem Fall müssten wir genau herausfinden, an welchem Punkt die Reifen sofort gewechselt werden müssen.“
Variante 3 ist am wahrscheinlichsten
Die Variante, die aktuell am wahrscheinlichsten ist, sei aber die Dritte. Sie ist aktuell auch Seligs Favorit: „Ich gehe derzeit am ehesten davon aus, dass die Schienen erst stark abgenutzt werden und dann immer weniger.“ Ob dem auch so ist, wisse man erst in einigen Wochen.

Bis dahin werden die Züge, die ausschließlich auf der Schwarzwaldbahn fahren, in der Freiburger Werkstatt überprüft. Einer, der schon zum Inventar der Werkstatt gehört, ist Martin Betscha. Nachdem der Zug durch eine Lok in die Halle gefahren wurde, macht er sich an die Prüfung.
„Wir prüfen mit dem Calipri-Messgerät das Spurkranzflächenmaß, die Spurkranzhöhe und die Spukranzdicke. Das Gerät misst auf das Hunderdste genau“, sagt der Werkstattprofi. Ist die Spurkrankzdicke oder ein anderer Wert unter der gesetzlichen Vorgabe, leuchtet es sofort rot auf. Alle Ergebnisse werden sofort digital ins Bahn-System eingespeist. Beim Zug, der während des SÜDKURIER-Besuchs überprüft wurde, war alles in Ordnung.
Trotz der erhöhten Wartungsintervalle und der Vermutung, woran die Probleme der Schwarzwaldbahn liegen könnten, ist noch immer keine volle Gewissheit da. Und so wird auch in den kommenden Wochen mehr als sonst in der Freiburger DB-Regio-Werkstatt los sein.