St. Georgen – Wenn es um politische Debatten geht, sind es meist die prominente Köpfe, die in Medien darüber berichten, was die Menschen im Land bewegen soll. Die tatsächliche Meinung der Menschen und deren Bedürfnisse kann dabei oft zu kurz kommen. Ein bundesweites Projekt soll das ändern. Ein bekannter St. Georgener ist dabei die Stimme des Schwarzwalds.

Bürger aus vielen Teilen der Republik werden aktuell nach ihrer Meinung zu Themen befragt, um so ein möglichst breit gefächertes Bild von der Basis zu erhalten. Einer dieser Bürger ist Gerhard Mengesdorf. Was er zum Thema Vereine zu sagen hat, sollen bald Menschen in Berlin und ganz Deutschland sehen und vor allem hören.

Wie kommt es dazu, dass gerade Gerhard Mengesdorf hierfür ausgewählt wurde? Das Rätsel ist schnell gelöst. Mengesdorf war Mitglied der Projektgruppe „Das Dritte Reich und wir“, die vor rund zwei Jahren damit begonnen hat, die Geschehnisse während der Zeit des Nazi-Regimes aufzuarbeiten. Projektleiter damals war der Historiker Clemens Tangerding, der auch jetzt aktuell maßgeblich mit an Bord des Projekts „Volkes Stimme“ ist. „Clemens Tangerding fragte bei mir an, ob ich mir vorstellen könnte, hierbei mitzuwirken. Und ich habe mich nicht nein sagen hören“, so Mengesdorf.

Neben einem ausführlichen Interview, das Mengesdorf jetzt in St. Georgen gab, entwickelte sich auch ein Podiumsgespräch im Theatersaal des Deutschen Hauses. Hier stand vor allem das jahrzehntelange ehrenamtliche Engagement als Präsident des badischen Turnerbundes und Vorsitzender des Turnvereins im Mittelpunkt. „Ja, ich bin ein Vereinsmensch“, sagte Mengesdorf voller Überzeugung. Ihm gefalle das Konstrukt Verein, das für ihn der Inbegriff der Demokratie sei. Das Zusammengehörigkeitsgefühl zu fördern und zu stärken und die Menschen zu motivieren, sei sein Antrieb.

Menschen für die Arbeit im Verein zu begeistern, das sei in den vergangenen Jahren zunehmend schwieriger geworden, wie er zugeben musste: „Das Freizeitangebot ist heute ungleich vielfältiger geworden.“ Zudem habe sich die „Kultur der Verbindlichkeit zu einer Unkultur der Unverbindlichkeit verändert“, wie er sagte. Menschen seien heute oft deutlich weniger bereit, sich beispielsweise Vereinsverpflichtungen unterzuordnen.

Weshalb er dennoch gern und über eine lange Strecke Vereinsverantwortung übernommen hat und bis heute übernimmt? „Weil unser Grundgesetz uns die großartige Freiheit lässt, alles zu tun, worauf wir Lust haben. Diese Freiheit hat aber eine Zwillingsschwester und die heißt Verantwortung.“ Ohne Verantwortung sei Freiheit Willkür. Die Erziehung zum Pflichtbewusstsein sei gerade in der heutigen Zeit wichtig, betont er.

Im Gespräch kamen auch Themen wie Integration von zugewanderten Menschen zur Sprache. Dies sei nicht so einfach, weil vonseiten eines Vereins oft die Ressourcen fehlen, „diesen Menschen das soziale Konstrukt eines Vereins näherzubringen“.

Lehrer-Freizeit heute passé?

Auf seine berufliche Tätigkeit als Lehrer und Schulleiter angesprochen, sagte Gerhard Mengesdorf, „dass das Lehrersein früher einfacher war.“ Lehrer müssten heute einen deutlich höheren Zeitaufwand aufbringen; Nachmittagsschule, früher eher die Ausnahme, sei heute die Regel. Er ergänzt: „Und die Eltern sind auch schwieriger geworden.“ Er verhehlte nicht, dass, „wenn Lehrersein früher so zeitintensiv gewesen wäre, ich mich deutlich weniger intensiv ehrenamtlich hätte einbringen können. „Morgens Recht und mittags frei haben, diese Zeiten sind längst vorbei“, sagte er, mit einem gehörigen Schuss Selbstironie.

In einer Diskussionsrunde mit den rund 30 Besuchern ergänzten Zuhörer die Ausführungen von Mengesdorf. Ute Scholz brachte ein, dass es durch Veränderungen in der Arbeitswelt heute schwieriger sei, Vereinsleben zu leben. „Früher, als die Frauen überwiegend zuhause waren, hatten sie mehr Zeit, sich karitativ einzubringen. Heute müssen viele Frauen arbeiten, da bleibt weniger Zeit für ehrenamtliche Aufgaben.“ Dem widersprach Lutz Henselmann: „Im Turnverein sind sehr viele Frauen aktiv, beispielsweise als Übungsleiterinnen.“ Zum Thema Integration sagte Henselmann, dass das gerade in einem Sportverein relativ einfach sei: „Wer mitmachen möchte, macht mit und gehört dazu.“

Gunther Schwarz sagte zum Thema Integration an Schulen, dass die Rahmenbedingungen stimmen müssten. „Diese stimmen meist nicht“, so Schwarz, selbst ehemaliger Lehrer. Dazu, dass es immer schwieriger werde, Menschen zu finden, die im Verein Verantwortung als Vorsitzender übernehmen, gab er zu bedenken, „dass auch Haftungsfragen im Raum stehen“. Zudem sei der zeitliche Aufwand bei vielen Vereinen so groß, dass man darüber nachdenken müsse, diese Arbeit zu professionalisieren. Dies konnte Gerhard Mengesdorf bestätigen und konkretisierte die Professionalisierung auf Hauptberuflichkeit. Hier müsse ein Konsens gesucht werden, wie eventuell auch Kommunen Vereinen unter die Arme greifen können.

Das deckte sich auch mit dem Einwand von Frank Laabs, dass die politischen Rahmenbedingungen entsprechend so gestaltet werden müssten, dass die Kommunen beispielsweise die haftungsrechtlichen Fragen übernehmen, um die Vereine zu entlasten.

Jürgen Pohl gab zu bedenken, dass eine Professionalisierung wiederum Geld koste, was mit einer Erhöhung von Mitgliedsbeiträgen einhergehe. „Viele Eltern können sich eine Mitgliedschaft für sich und die Kinder schon heute nicht mehr leisten.“ Hier verwies Mengesdorf auf eine Möglichkeit, dass in solchen Fällen das Jobcenter Zuschüsse für Vereinsmitgliedschaften übernehme.