Eine Woche Zeit nimmt sich die Erste Große Jugendkammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen unter Vorsitz von Martin Hauser, um herauszufinden, was sich zwischen Juli 2018 und Sommer 2020 in einem Haus in einem kleinen Dorf im Norden des Landkreises Waldshut ereignet hat.

Die Staatsanwaltschaft wirft einem 45-jährigen Mann sexuellen Missbrauch von Kindern in 15 Fällen vor, schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in fünf Fällen, sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen in einem Fall und schweren sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Vergewaltigung in vier Fällen. Opfer ist jedes Mal die 2006 geborene Tochter des Angeklagten.

Opfer ist Nebenklägerin

Die junge Frau tritt vor Gericht als Nebenklägerin auf und wird am Dienstag im Zeugenstand aussagen. Am ersten Verhandlungstag schaute sich das Gericht Videoaufzeichnungen von der Vernehmung des Opfers vor nunmehr fünf Jahren bei der Polizei an und hörte Audioaufzeichnungen von deren Gespräch beim psychologischen Gutachter. Der Angeklagte machte dabei unentwegt Notizen.

Zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen machte er am ersten Tag keine Angaben. Richter Martin Hauser strebt an, die Beweisaufnahme am Donnerstag abzuschließen. Die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung sollen noch am Donnerstag gehalten und am Freitag dann das Urteil gesprochen werden.

Was ist über den Angeklagten bekannt?

Der 45-Jährige blickt auf eine bewegte und keineswegs gerade verlaufene Lebensgeschichte zurück. Er wuchs im Kreis Konstanz auf, musste dort die erste Klasse der Grundschule wiederholen, schaffte den Hauptschulabschluss erst im zweiten Anlauf auf der Berufsschule und musste danach eine Bäckerlehre wegen einer Mehlstauballergie und Asthma abbrechen.

Eine dreijährige Ausbildung als Straßenmeister schloss er trotz Drogenkonsums und einer einjährigen stationären Therapie während der Ausbildung erfolgreich ab. Im Zivildienst nach der Ausbildung ersetzte er die Drogen durch Alkohol. Was folgte, waren mehrere Therapien gegen die Alkoholsucht und mehrere Führerscheinentzüge. Zum Erstaunen von Richter Hauser bekam er seinen Führerschein aber immer wieder zurück. Inzwischen arbeitete er als Berufskraftfahrer, musste dann aber auch diesen Beruf wegen massiver Rückenprobleme aufgeben.

Missbrauch im Haus der Großmutter

2014 zog er mit seiner damaligen Partnerin in das Haus seiner Großmutter im Norden des Kreises Waldshut. Dort hatte seine leibliche Tochter aus einer vorangegangenen kurzen Ehe regelmäßig einen Teil ihrer Schulferien verbracht. Und dort kam es dann nach etlichen Jahren ohne Kontakt zum Wiedersehen des Vaters mit seiner Tochter. Die lebte zu jener Zeit bei ihrer Mutter und deren neuem Lebenspartner auf der Baar.

Anfangs schlief das Mädchen auf einer Matratze in der Wohnung ihrer Uroma; später im Geschoss darüber auf dem Sofa bei ihrem Vater und dessen Partnerin. Dort soll es dann auch zu den sexuellen Übergriffen einschließlich Oralverkehr gekommen sein. Einige Male soll der Vater die Tochter geknebelt und mit Kabelbinder gefesselt haben, einmal soll er ein Küchenmesser nach ihr geworfen haben. Geschlechtsverkehr, so ging aus der Anklageschrift von Staatsanwältin Bisegger hervor, konnte die Tochter verhindern, indem sie angab, ihre Periode zu haben.

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Ein Haftbefehl ist 2021 ausgestellt worden. Er konnte allerdings nicht vollstreckt werden, weil der Angeklagte mit seiner Partnerin zwischenzeitlich nach Osteuropa ausgewandert war. Dort lebt er von seiner Rente wegen Erwerbsunfähigkeit im dreistelligen Eurobereich. „Mittlerweile reicht das Geld auch dort nicht mehr“, sagte er. Zum Prozess reiste er aus Osteuropa an, sein Anwalt kam aus Norddeutschland.