„Es war für mich die Erfahrung meines Lebens“, sagt Villinger Kinderärztin Gudrun Adams über ihren Einsatz in Afghanistan. Acht Monate lang hat sie sich für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen im kriegszerrissenen Land engagiert. Über ihre Arbeit berichtete sie am Donnerstagabend in der Neuen Tonhalle. Sie sprach von wunderschönen Erlebnissen – aber auch von vielen harten Momenten und Herausforderungen ihres Arbeitsalltags.
„Ich habe nie mit so einer Menge gerechnet und bin schrecklich aufgeregt“, gab Adams zu, als sie in der vollen Halle auf der Bühne stand. Über die Resonanz freuten sich auch die Mitorganisatoren der Veranstaltung vom Medienhaus SÜDKURIER und der Buchhandlung Osiander.
SÜDKURIER-Redaktionsleiter Norbert Trippl moderierte durch den Abend. Er skizzierte Adams´ Werdegang: Assistenzärztin, leitende Oberärztin an Kinderkliniken in Augsburg und in Villingen-Schwenningen, seit 1992 niedergelassene Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin an der Villinger Färberstraße.
2015 hatte sie ihre Praxis an die Nachfolgerin übergeben und Kontakt mit Ärzte ohne Grenzen in Berlin aufgenommen. Ein Projekt in Afghanistan? „Am Anfang war sehr viel Unsicherheit dabei“, erinnerte sich die Ärztin. „In so ein Land geht man nicht. Es ist gefährlich.“ Doch nach langen Überlegungen wurde ihr klar: „Es ist mein Projekt!“
In Lashkar Gah, der Hauptstadt der Provinz Helmand im Süden Afghanistans, betreute Adams die Früh- und Neugeborenenabteilung eines örtlichen Krankenhauses und kümmerte sich um die Patienten der Kinderintensivstation. Eine richtige Herausforderung, denn „bei 4000 Kindern im Jahr war es nicht immer einfach, den Überblick zu behalten“, so Adams.
Sie erzählte von ihren Erfahrungen: von unterernährten, unterkühlten und schwerkranken Kindern, von bitterer Armut und mangelnder Hygiene, von dürftiger Ausstattung und ständiger Überbelegung des Krankenhauses. Einen speziellen Tetanus-Raum habe es auf der Station gegeben. „Tetanus habe ich bisher noch nie gesehen. Es ist schrecklich“, sagte Adams. 60 Kinder starben im Monat auf der Station.
Trotz dieser Verhältnisse habe die Ärztin sehr viele schöne Erinnerungen an Afghanistan – Erinnerungen an freundliche Kollegen und Patienten, an Grillabende auf der Terrasse, an den Austausch mit dem internationalen Team und die Offenheit der Einheimischen. Viele in Bildern festgehaltene Eindrücke zeigte Adams auf der großen Leinwand: Haupteingang des Krankenhauses, einzelne Stationen, traditionell eingewickelte und geschminkte Kinder, Mütter in lilafarbenen Stationskleidern. Fotos von Kindern, Frauen, Männern. Gemischte Aufnahmen – so gut wie keine. „In Afghanistan ist es ein No-Go“, erklärte die Ärztin. Auch ein Foto vom Bunker war dabei – jenem Überlebensraum mit Vorräten für zehn Tage.
„Jetzt sehe ich den Lebensstandard in Europa nicht mehr so selbstverständlich, wenn ich weiß, mit wie wenig manche Menschen auskommen“, gab Adams zu. Für sie steht schon die nächste Mission vor der Tür. Im Oktober fliegt die Kinderärztin nach Tansania, um im Krankenhaus in einem großen Flüchtlingslager mitzuhelfen. Denn sie ist überzeugt: Solange sie fit und gesund ist, kann sie viel bewirken. Und das merkten auch die 370 Zuschauer. Tief beeindruckt waren auch sie von dem Engagement der Villinger Kinderärztin.
Den Vortrag verfolgte gespannt der langjährige Leiter des Villinger Krankenhauses, Friedrich Bettecken. Auch Matthias Henschen, heutiger Leiter der Kinderheilkunde am Schwarzwald-Baar-Klinikum, war gekommen. Großen Beifall erhielt Christa Lörcher. Norbert Trippl hatte sie besonders begrüßt und an ihre 15 Jahre zurückliegende, standhafte Haltung im Bundestag erinnert, als die Parlamentarierin als einzige Sozialdemokratin gegen eine deutsche Kriegsbeteiligung am Hindukusch gestimmt hatte.
Zur Person
Gudrun Adams, 63 Jahre alt, war ab 1992 in der Villinger Färberstraße als niedergelassene Kinderärztin tätig. Als sie Ende 2014 eine Nachfolgerin für die Praxis findet, geht sie in den Ruhestand. Seitdem engagiert sie sich für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen.