Jeden Abend, so erzählt die alte Dame voller Freude, höre sie vor dem Schlafengehen eine Musik-CD. „Das gibt mir so viel“, sagte sie mit ungebrochener Begeisterung. Über Jahre hat Musik ihren Lebensinhalt bestimmt: Marlies Brunner-Schwer, Witwe der Tonmeisterlegende Hans Georg Brunner-Schwer, wird am Samstag, 15. Juli, 90 Jahre alt. Und Hans Georg, Besitzer des legendären SABA/MPS-Studios, der 2004 bei einem Autounfall verstarb, wäre in wenigen Tagen, am 29. Juli, ebenfalls 90 geworden.
- Die SABA-Dynastie: Das Ehepaar Brunner-Schwer hat die Nachkriegsjahre im Schwarzwaldstädtchen Villingen wesentlich mitgeprägt und verschaffte der Stadt einen kräftigen Hauch Internationalität. Hans Georg Brunner-Schwer, Sproß der SABA-Dynastie und Technischer Geschäftsführer eines der größten regionalen Arbeitgebers, stand natürlich stets mehr im Rampenlicht, als seine Gattin. Doch ohne Marlies als souveräne Gastgeberin wäre wohl so manches nicht möglich gewesen.
- Heirat 1950: Sie stammt aus dem Hause Schleicher in der Villinger Warenburgstraße und fühlt sich bis heute ihrer Heimatstadt eng verbunden. Obwohl gleichalt und am gleichen Ort beheimatet, lernte sie ihren späteren Gatten Hansjörg eher per Zufall kennen. Als junges Mädchen sollte sie eine Rechnung ihrer Tante, der legendären Taxifahrerin Frieda Maier, zu Johanna Schwer (1874 – 1943) bringen, der Witwe des Firmengründers Hermann Schwer (1877 – 1936), damals Inhaberin der SABA-Fabrik.
- Der Technikfreak: Hans Georg, der Technikfreak, experimentierte damals schon mit Tonaufzeichnungen, die zumeist in Meersburg gemacht wurden, wo SABA ein Erholungsheim für Mitarbeiter und die Familie ein Wochenendhaus hatte. Denn in der Villa auf dem Villinger Werksgelände wohnte ab 1945 der Gouverneur der französischen Besatzungstruppen. Die Villa wurde erst 1954 wieder geräumt. Behelfsmässig kam die Familie bis dahin in dem als Werkskantine genutzten Haus am Rande des Firmengeländes unter – einer ehemaligen Nudelfabrik, die pleite gegangen war. Hier richtete sich Gretel Scherb (1905 – 1983), Tochter von Hermann und Johanna Schwer und bekannt als die "SABA-Mutter", mit ihren Angehörigen übergangsweise ein. Es war genau das Gebäude, in dem Hans Georg Brunner-Schwer später das legendäre Tonstudio aufbaute.
- Die Jazz-Avantgarde in Villingen: Einen präsenten Sound, der so klingt, als würde der Hörer direkt vor dem Instrument sitzen: So etwas gab es damals nicht und genau das schwebte Hansjörg Brunner-Schwer schon bei seinen ersten Versuchen vor. Er war hochmusikalisch und weil er Klavier, Orgel und Akkordeon spielen konnte, standen Tasteninstrumente bei ihm im Mittelpunkt. Ab Mitte der 1950er Jahre lud er junge Musiker wie Horst Jankowski oder Wolfgang Dauner zu sich nach Hause ein, um mit ihnen Tonaufnahmen zu machen.
- Das Tonstudio MPS: Ab 1968 war die Musik Produktion Schwarzwald (MPS) in Villingen tätig und viele Karrieren wären ohne das Musikfaible von Hans Georg Brunner-Schwer, der in Fachkreisen kurz HGBS genannt wurde, kaum denkbar. Von Hans Koller bis Stephane Grappelli, von Volker Kriegel bis Martial Solal, von Rolf Kühn bis George Duke – sie alle und noch viele mehr haben dem Jazzmäzen aus dem Schwarzwald, der sie gefördert und aufgenommen hat, einiges zu verdanken. „Hansjörg war sehr großzügig zu den Musikern“, bekräftigt seine Witwe Marlies. Als er 1983 den MPS-Katalog verkaufte, war HGBS schon eine Legende.
- Legendärer Rehbraten: Natürlich kamen viele Musiker des exzellenten Sounds wegen nach Villingen, aber es war auch die entspannte Atmosphäre, in der diese Aufnahmen stattfanden. Und da zeigte Marlies Brunner-Schwer ihre Stärken als Gastgeberin. US-Musiker schwärmten in höchsten Tönen vom Rehbraten mit Spätzle, der ihnen am Ende des Aufnahmetages serviert wurde, ebenso, wie von den köstlichen Süßspeisen, die auf den Tisch kamen.
- Unglaubliche Erlebnisse: Aber die Musiker kamen nicht alleine. Viele brachten ihre Frauen mit und es entwickelte sich so manche persönliche Freundschaft, die oft Jahre hielt. Maries Brunner-Schwer: „Von den Musikerfrauen konnte man viel lernen“. Sie erinnert sich heute noch an „unglaubliche Erlebnisse“, die sie im Kreis der Musiker gehabt hat. Da hat das mit dem Essen stets dazu gehört. Die lebensfrohe Jubilarin: „Das war für mich nichts Besonderes, es war normal“.
- Exklusive Hauskonzerte: Viele internationale Künstler hat sie über die Musik hautnah erlebt. Und so manches war damals arg gewöhnungsbedürftig in der kleinen Schwarzwaldstadt Villingen, wo man teilweise argwöhnisch auf die nonkonformistische Musikerschar schaute, die im Hause Brunner-Schwer ein- und ausging. Wer eine Einladung zu einem der legendären Hauskonzerte dort im Wohnzimmer erhielt, schätzte sich glücklich. So mancher TV-Moderator, Fachjournalist oder Schauspieler kam dafür gerne von weither angereist.
- Das Herz geöffnet: Das letzte Hauskonzert fand 1998 statt. Damals waren der großen Swing-Gitarrist Herb Ellis und die Bassisten-Legende Ray Brown bei Hansjörg und Marlies Brunner-Schwer zu Gast, gemeinsam mit dem jungen Pianisten Benny Green. Wie immer machte HGBS im Dachgeschoß die Tonaufnahme und wie immer war Marlies die aufmerksame Gastgeberin für diesen relaxten musikalischen Event.
- Freude über die Enkel: Fast fünf Jahrzehnte hat sie an der Seite von Hansjörg Brunner-Schwer dieses musikalische Märchen aus dem Schwarzwald mitgestaltet. „Wir waren ein gutes Team“, sagt Marlies Brunner-Schwer über diese illustre Zeit. Noch immer arbeitet die ungemein vitale 90-Jährige gerne in der Küche und noch immer verbringt sie viel Zeit mit der Gartenarbeit. Aber ganz besonders freut sie sich darüber, daß ihre drei Enkel von der Musik des ihres Großvaters ebenso angetan sind, wie sie selbst über die vielen Jahre, bis zum heutigen Tag.
Die Firma SABA
Hans Georg Brunner-Schwer, der Ehemann von Marlies Brunner-Schwer, war ein Spross aus der SABA-Unternehmensdynastie in Villingen. Das Unternehmen stieg in den 1920er-Jahren zum Hersteller von Radiogeräten auf, produzierte nach dem Zweiten Weltkrieg auch Fernsehapparate und anderer Unterhaltungselektronik. Auf dem Höhepunkt Ende der 60er-Jahre beschäftigte die SABA bis zu 4000 Mitarbeiter. Dann geriet das Unternehmen in die Krise und wurde 1968 mehrheitlich an den US-Konzern GTE, 1980 schließlich an den französischen Thomson-Konzern verkauft. Die Produktion von Fernsehgeräten durch Thomson wurde bereits Ende der 1980er Jahre eingestellt, das Thomson-Entwicklungslabor 2009 liquidiert. (est)