Rüdiger Fein

Das Thema Armut wollen die großen Verbände der freien Wohlfahrtspflege diese Woche öffentlichkeitswirksam mit verscheidenen Aktionen ins Bewusstsein rücken. Armut ist, oft versteckt, ist auch in Villingen-Schwenningen verbreiteter als man denkt. Der SÜDKURIER hat mit Menschen gesprochen, die von Altersarmut betroffen sind.

  • Prekäre Lage: Seit Juni 2017 gibt es eine Gruppe von Menschen, die eines gemeinsam haben: Sie alle sind Rentner und können sich eigentlich ihr Leben gar nicht leisten! In der Gruppe "MIR – Menschen in Rente" trifft man sich regelmäßig um sich auszutauschen und gemeinsam zu versuche Probleme zu lösen. Die prekäre finanzielle Situation, in der sich alle befinden, ist das Band ihrer Solidarität, berichtet Barbara Spruth, die im Auftrag des Diakonischen Werks Villingen-Schwenningen, dem Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirche, diese Gruppe leitet.
  • Scham: Selber schuld, hätte der doch was gescheites gelernt, sein Leben besser geplant und ein bisschen auf sein Geld aufgepasst – nach solchen und ähnlichen Aussagen muss man nicht lange suchen, wenn das Gespräch auf die zunehmende Armut im reichen Deutschland geht, berichtet Barbara Spruth. Verständlich daher, dass solchermaßen betroffene Menschen diesen Gesprächen aus dem Weg gehen, nicht zuletzt um wenigstens ein Stück weit ihre Würde zu behalten.
    Der SÜDKURIER hat mit einigen dieser, vom normalen gesellschaftlichen Leben abgehängten Menschen gesprochen, ihnen nur zugehört und den Erzählenden, die sich oft ihrer Armut schämen, die Anonymität zugesagt und auf die Nennung von Familiennamen verzichtet.
  • 770 Euro Rente: Von einem "ganz normalen" Schicksal berichtet Rosi B. aus Villingen. Mit einer Frührente von 770 Euro und einem Zuverdienst von 200 Euro im Monat für Putzdienste ausgestattet, ginge es ihr noch vergleichsweise gut, berichtet die 63jährige, wenn da nicht die Mietkosten wären. Für ihre Dreizimmeraltbauwohnung zahlt Rosi B. im Monat 360 Euro plus Nebenkosten. Natürlich würde die Frührentnerin in eine kleinere Wohnung umziehen, aber woher nehmen. Es gebe zwar Angebote aber eine Zweizimmerwohnung wäre sogar teurer und den Umzug könne sie sich schon gar nicht leisten, klagt sie.
  • Schlaganfall: Roland K. ist gelernter Elektriker und wollte nach einem Schlaganfall, dessen Folgen das Arbeiten im erlernten Beruf unmöglich machten, umschulen. Nachdem die Arbeitsagentur dem 58-Jährigen eine Umschulung abgelehnt hatte, war er die letzten Jahre bis kurz vor die Rente bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt, die später Insolvenz anmelden musste.
    Die Spätfolgen seiner Krankheit, die Funktionen seiner rechten Körperhälfte sind eingeschränkt, belasten ihn auch finanziell und das bei einer monatlichen Rente von nur 719 Euro.
  • Gesundheitskosten: "Für viele Rentner stellen Medikamentenzuzahlungen oder andere Gesundheitskosten eine große Belastung dar", sagt Barbara Spruth, und berichtet von einer Frau, die jüngst wegen einer Erkrankung Augentropfen brauchte. Vier mal 30 Euro summieren sich, auch wenn sich das für einen Normalverdiener wenig anhört.
  • Berufsgrundlage verloren: Günther K. war sein Leben lang als Brummifahrer auf Deutschlands Straßen unterwegs. Nachdem er wegen eines Schlaganfalls 2008 seinen Beruf aufgeben musste wollte die Arbeitsagentur, "dass ich im Alter von 58 Jahren einen Computerkurs belege". Wer den Neuling in Sachen PC-Anwendungen kurz vor der Rente dann noch eingestellt hätte, konnte ihm niemand sagen. Seither wurde das Einkommen immer weniger, bis er schließlich beim Arbeitslosengeld 2 landete. Mit dieser Belastung kam der ehemalige LKW-Fahrer nicht zurecht und musste sich in einer Klinik behandelt werden.
  • Die Gruppe hilft: Solche Lebensläufe, die oftmals in der Altersarmut enden. gebe es noch viele, sagt Barbara Spruth. Allerdings wollten die wenigsten mit ihrem Schicksal an die Öffentlichkeit gehen. Das Zusammentreffen im MiR mit Menschen gleichen Schicksalen allerdings tue gut, berichten alle übereinstimmend. "Hier wird man verstanden und bekommt keine dummen Sprüche zu hören", sagen sie.
    Der Treffpunkt für Menschen in Rente (MiR) ist jeden Montag von 9.30 bis 1130 Uhr geöffnet. Im Gebäude Wehrstraße 4 in Villingen, zwischen der Diakonie und dem Pfarramt der evangelischen Johannisgemeinde, trifft man sich locker auf einen Kaffee und tauscht sich aus.

Diskussion zur Armut

Die Akteure der landesweiten Aktionswoche gegen Armut (16. bis 22. Oktober) im Schwarzwald-Baar-Kreis fordern eine wirksame Armutsbekämpfung. Schwerpunkte in diesem Jahr sind: die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum; Verbesserung der finanziellen Lage von Kindern und Jugendlichen und deren Teilhabe an Bildung durch eine einkommensabhängige Kindergrundsicherung und Bildungsgerechtigkeit mit den notwendigen Förderungen; Einführung einer Mindestrente im Alter und Verbesserungen bei der gesetzlichen Rente, um den Gang zum Sozialamt überflüssig zu machen; Verbesserung der finanziellen Förderungen für Alleinerziehende und ihrer Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Arbeit und Beruf. Darum geht es auch bei einem Fachgespräch, zu dem die Wohlfahrtsverbände im Kreis die örtlichen Bundes- und Landtagsabgeordneten am Donnerstag, 19. Oktober, ins Landratsamt einladen.