Als die Villinger Kinderärztin Gudrun Adams am 28. April am Flughafen in Zürich landet, liegen 30 Stunden Flug und eine andere Welt hinter ihr. Drei Monate war sie für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in einem Krankenhaus im Norden des Jemen gewesen, um kranke Kinder zu versorgen und einheimische Ärzte dort auszubilden.

Adams ist jetzt 65 Jahre alt, der Jemen war ihr vierter Auslandseinsatz. "Drei Monate reichen mir inzwischen", sagt sie. Offiziell haben die Mitarbeiter eine 40 Stunden Woche, praktisch arbeiten sie, wenn Arbeit da ist. Meist sechseinhalb Tage in der Woche.

Gudrun Adams wirkt wie ein Mensch, der mit kaum etwas aus der Ruhe zu bringen ist. Sie spricht überlegt, lacht viel, sie hat ein Herz, ist aber nicht sentimental. Anders würde man einen solchen Einsatz wohl nicht überstehen.

130 Betten hat das Klinikum im Jemen, rund die Hälfte davon für Kinder. Neugeborene, Frühgeborene und Kinder mit extremer Mangelernährung, Lungenentzündungen oder Magen-Darm-Erkrankungen. Das waren ihre Patienten. Das Ausstattungs-Niveau der Klinik entsprach in etwa dem, wie man ihn hierzulande vor 35 Jahren hatte, sagt sie. Auf Bettchen für die Neugeborenen musste sie drei Monate warten. "Das Schlimmste ist", sagt sie, "wenn man an seine Grenzen kommt". Dann, wenn ein Kind eine schwere Lungenentzündung hat und es kein Beatmungsgerät gibt, das es retten könnte. Dann, wenn ein Kind an Nierenversagen aufgrund einer schweren Mangelernährung leidet und keine Dialyse möglich ist. Den Angehörigen muss sie dann mitteilen: "Wir haben alles versucht. Wir können nicht mehr tun." Etwa zehn Mal pro Monat musst sie den Satz sagen.

Gudrun Adams zwischen ihren beiden jemenitischen Arztkolleginnen (rechts), ihrer Dolmetscherin (links) und einer Kinderkrakenschwester ...
Gudrun Adams zwischen ihren beiden jemenitischen Arztkolleginnen (rechts), ihrer Dolmetscherin (links) und einer Kinderkrakenschwester aus Kanada (ganz rechts). Bild: privat

Die politische Lage im Norden des Jemens war und ist relativ ruhig – der Bürgerkrieg hatte zu der Zeit, in der Adams dort war, vor allem den Süden des Landes im Griff. "Da oben im Norden leben alle Menschen friedlich miteinander", sagt sie. Die Schüsse, die man nachmittags oft gehört habe, seien meist harmlos gewesen. Im Jemen ist es Brauch, den Bräutigam, begleitet von Salven ins Hochzeitsbett zu überführen. "Happy shooting" nennt man das dann. Die Opfer der Schüsse, die man nicht so deutlich hörte, lagen dann vor den Chirurgen im Krankenhaus. Meist waren es Streitigkeiten zwischen Familien oder Clans. Meist sagten sie dann im Krankenhaus, es sei ein Unfall gewesen.

"Ich hätte es mir schlimmer vorgestellt", sagt Adams. Angst habe sie eigentlich nie gehabt. Vielleicht, sagt sie, weil sie Angst ganz gut ausblenden könne und denke: "Pech kann man auch hier haben". Vielleicht, weil sie auch versuchte, sehr vorsichtig zu sein. Ein mulmiges Gefühl beschlich sie meist nur auf der Straße: "Jeder Zweite trägt dort eine Kalaschnikow." "Wenn man in Deutschland in die Oper geht, gibt man den Mantel an der Garderobe ab. Wenn man im Jemen einen Krankenbesuch macht, gibt man vorher die Waffen ab."

Manche Dinge sind eben, wie sie sind, das muss man akzeptieren – nicht unbedingt gutheißen – anders hat man in so einem Land keine Chance. "Ich weiß inzwischen, was ich erwarten kann", sagt Adams. "Ich bin nicht mehr so ungeduldig." Von Ärzte ohne Grenzen sind die Helfer angewiesen, sich an die örtlichen Gegebenheiten anzupassen. "Als Ausländer", sagt Adams, "kommt man dort von einem anderen Stern". Wahrscheinlich hätte sie auch Jeans und T-Shirt tragen können. Sie trug dennoch Kopftuch und eine Abaya, ein schwarzes, langes Überkleid. Kam ihr das Kopftuch bei den Untersuchungen mit dem Stethoskop in die Quere, legte sie es kurzerhand ab.

Die Art, wie die Menschen dort ihr Leben meistern, das hat Adams am meisten beeindruckt. Die meisten haben kaum etwas zu Essen zu Hause, keiner hat ein eigenes Auto. "Eine Oma ist vier Stunden mit ihrem Enkelkind auf dem Arm zu uns ins Krankenhaus marschiert." Das Kind hatte eine Nabelinfektion. Überleben im Krisengebiet ist mitunter eine Sache des Willens.

Gut zehn Gehminuten von der Klinik entfernt hatten die ausländischen Helfer ihr Domizil. Ein Haus mit Einzelzimmern und Gemeinschaftsbad. Zwischen fünf und acht Personen waren sie, unter anderem aus Kanada, Frankreich, Nigeria und Belgien. In der großen Gemeinschaftsküche gab es fünfmal die Woche Essen von der angestellten Hausköchin, ansonsten versorgten sie sich selbst. Als sie einmal sahen, dass das Huhn als Tiefkühlware aus Brasilien kam, beschlossen sie selbst eines auf dem Markt zu kaufen. Exportprodukte sind im Jemen keine Seltenheit für den, der es sich leisten kann. Honig aus dem Schwarzwald gab es auch.

Seit gut sechs Wochen kann sie den Schwarzwaldhonig nun auch wieder in seiner Ursprungsregion genießen. Bis September will sie sich jetzt erst mal Ruhe gönnen. Dann können die Anfragen wieder kommen. Sie wird dann entscheiden, wann und wie lange und ob das vorgeschlagene Land überhaupt für sie in Frage kommt. Nach Afghanistan würde sie gerne noch einmal, um zu sehen, wie sich ihr Projekt von 2016 inzwischen entwickelt hat. Für ihren Einsatz bekommt sie eine Aufwandsentschädigung. Ein wenig mehr würde sie bekommen, würde sie als medizinische Teamleiterin arbeiten. Ein paar Mal wurde sie bereits gefragt. "Das will ich nicht", sagt sie. "Dann komme ich vom Patienten weg."