Als der Villinger Stadtführer Klaus Richter vor einigen Monaten im Franziskaner Museum die Treppen zur Garderobe hinunterging, blieb er plötzlich wie elektrisiert stehen. Zum ersten Mal nahm er links der Treppe das riesige Fragment eines alten Gemäldes wahr, ebenso den erläuternden Text über die Herkunft des Gemäldes. Dass dieses Gemälde bis 1975 jahrhundertelang im Bogen des Oberen Tores zu bewundern war, fand der Stadtführer besonders spannend.
Denn Klaus Richter führt seit einigen Monaten Touristen und Einheimische durch einige inzwischen begehbar gemachte Tore und Türme der alten Zähringerstadt, darunter auch auf den Turm des Oberen Tores. Dass aber ein Gemälde einst in den Torbogen gemalt wurde, war ihm völlig neu. Und er entschloss sich, dem Geheimnis dieses Bildes nachzuspüren.

Die Nachforschungen waren ergiebig
Gemeinsam mit seinen Stadtführerkollegen Michael Schonhardt, Lambert Hermle, Gunther Schwarz, Henry Greif und Dieter Mauch begab sich Klaus Richter ins Osianderhaus, wo Anita Auer, die Leiterin des Franziskaner Museums, schon viele Unterlagen zu dem Wandgemälde aus dem Stadtarchiv für die wissbegierigen Heimatkundler zusammengestellt hatte.
Eine spannende Frage konnte dabei bald geklärt werden: Warum wurde das Gemälde aus dem Oberen Tor überhaupt entfernt? Die Antwort: Der Straßenverkehr war schuld, schon damals. Dem Fresko drohte in den 70er-Jahren die zunehmende Zerstörung durch Autoabgase. Denn bis dahin gab es noch keine Fußgängerzone in der Oberen Straße, der Straßenverkehr rollte noch – bis Ende der 70er Jahre – vollständig durch die Innenstadt.

Eine günstige Rettungsaktion
Daher entschloss sich die Stadt unter Federführung des damaligen Stadtarchivars Josef Fuchs, das Fresko in einem aufwändigen Verfahren zu entfernen und ins sichere Franziskaner Museum zu holen. Wie aus einem Zeitungsartikel von damals hervorgeht, wurde die Rettungsaktion von Studenten und Dozenten der Staatlichen Akademie für Bildende Künste in Stuttgart im Rahmen eines Forschungsprojekts durchgeführt, womit die Stadt viel Geld sparen konnte. Aus einer Rechnung von 1975 geht hervor, dass die Entfernung des Freskos die Stadt lediglich 21 141 D-Mark und zehn Pfennig gekostet hat.
Während die Rettung des Bildes von 1975 vom Stadtarchiv sehr gut in Wort und Bild dokumentiert wurde, liegt die Entstehung des Freskos im Dunkel der Geschichte. Wann das Bild im Oberen Tor gemalt wurde und wer der Künstler war, konnte damals nicht geklärt werden. Unter der Wandmalerei wurde übrigens ein weiteres Gemälde gefunden. Wahrscheinlich ist auf beiden Bildern die Kreuzabnahme Jesu Christi dargestellt.

Bildes aus dem 17. Jahrhundert
Aus der Tatsache, dass auf dem neueren Bild, das jetzt im Franziskaner Museum als Fragment zu sehen ist, neben Christus auch die Schächer zu sehen sind, schloss Stadtarchivar Fuchs damals, dass es nicht vor dem 15. Jahrhundert gemalt sein konnte. Im Franziskaner Museum wird die Entstehung des Bildes auf das 17. Jahrhundert datiert. Das ältere, übermalte Bild dürfte indes um das Jahr 1400 entstanden sein, urteilten die Restauratoren in den 70er-Jahren.

Fuchs vermutete, dass die Wandmalereien im Zusammenhang mit den Passionsspielen stehen, die in Villingen über die Jahrhunderte eine große Rolle spielten. Auch am Oberen Tor gibt es eine Kreuzigungsszene. Die Passionsspiele waren Umzüge durch die Stadt, bei denen Laienschauspieler das Leiden und Sterben des Herrn gemäß der Heiligen Schrift nachspielten. Im Zeichen der Säkularisierung hat Habsburger-Kaiser Joseph II. diesen Bräuchen in seinen Landen, zu denen auch Villingen gehörte, einen Riegel vorgeschoben und die Darstellungen im Jahre 1773 verboten.

Fresko in Erinnerung rufen
Stadtarchivar Fuchs wollte das Bild übrigens, wie er damals bekundete, wieder an seinem alten Platz sehen, nämlich dann, wenn der Autoverkehr aus der Innenstadt ausgesperrt ist. Allerdings blieb diese Hoffnung ein Wunschtraum. Zwar wurde schon fünf Jahre später eine Fußgängerzone in der Oberen Straße und Rietstraße gebaut und der Autoverkehr zurückgedrängt. Doch das Fresko hängt bis heute im Franziskaner Museum und ist ziemlich in Vergessenheit geraten.
Die Idee aber, das Gemälde wieder an seinen alten Platz zu bringen hätte natürlich für alle, denen die historische Stadt am Herzen liegt, einen besonderen Charme. Den Stadtführern wiederum ist es zu verdanken, dass die Zeugnisse der Vergangenheit nicht völlig vergessen werden. Klaus Richter jedenfalls will bei seinen Führungen durch „Tore und Türme“ das Fresko am Oberen Tor wieder in Erinnerung rufen.