Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt sich in diesen Tagen zum 80. Mal. Das mit der Gründung der Vereinten Nationen (Uno) verbundene Bestreben, Kriege zu verhindern, erwies sich aber als Illusion, ganz besonders in der aktuellen Realität mit großen Konflikten.
Eine Frau steht zu ihren Überzeugungen
Dass Krieg kein Mittel ist, um Konflikte zu lösen, diese Überzeugung vertritt die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Christa Lörcher aus Villingen-Schwenningen. Im Jahr 2001 schrieb sie deshalb Bundestags-Geschichte.
Als das Parlament damals am 16. November über einen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu entscheiden hatte, stimmte sie – als einziges SPD-Mitglied – mit Nein. Und dies, obwohl Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) diese Abstimmung mit der Vertrauensfrage über ihn als Kanzler verbunden und dadurch Druck aufgebaut hatte, mit Ja zu stimmen. Doch Christa Lörcher konnte einen Einsatz der Truppe in einem Kriegsgebiet nicht mit ihrem Gewissen verantworten.
Ein ganz selbstverständliches Nein
„Für mich war ein Nein ganz selbstverständlich, weil ich mich von Kindheit an mit Krieg beschäftigt habe“, schildert sie jetzt auf Anfrage. „Ich wurde im Krieg geboren 1941 in Westpreußen.“ Ihr Vater, Jahrgang 1890, war schon recht alt, als sie zur Welt kam, er habe den Ersten und den Zweiten Weltkrieg erlebt. „Mein Vater war im Krieg, kam zurück, einer meiner Brüder kam nicht zurück.“
Sie war das Jüngste von neun Kindern, ihr erwähnter Bruder der Älteste. Er fiel mit 21 Jahren. „Meine Eltern kamen aus Estland, deshalb ist für mich auch das Thema Flüchtlinge so relevant.“
„In der Schule haben wir das Thema auch behandelt. Am meisten beeindruckt haben mich die Kurzgeschichten von Wolfgang Borchers über den Krieg. Die habe ich auch sehr sehr oft zitiert“. Da komme dann auch vor: „Sag Nein“.
Als Studentin in die Friedensbewegung gegangen
„Borchers war ein junger Soldat und starb an den Folgen einer Kriegsverletzung. Das hat mich bewegt und motiviert“, so Lörcher. „Ich bin dann während des Studiums relativ bald in die Friedensbewegung gegangen und habe mich engagiert.“
Das gilt bis heute, Christa Lörcher ist im Regionalen Friedensbündnis VS dabei. Den Krieg direkt habe sie nicht in Erinnerung, sagt die heute 83-jährige Politikerin, aber die Nachkriegskriegszeit. Die hat sie mit ihrer Familie als Flüchtling in Dänemark erlebt.
Stuttgarter Bombenschäden als erster Eindruck von Deutschland
„Dann sind wir 1949 zurückgekommen, nach Stuttgart, da habe ich gesehen, welche Schäden die Bomben angerichtet haben.“ Da sah sie die kaputten Gebäude. „Das war mein erster Eindruck von Deutschland.“
1970 trat sie in die SPD ein, 1989 wurde sie in den Kreistag des Schwarzwald-Baar-Kreises gewählt, 1993 zog sie in den Bundestag ein, 2001 war sie bereits acht Jahre im Parlament.
Immer noch SPD-Parteimitglied
Ihre Entscheidung war für sie klar, sie tat das auch kund. „Ich denke, eine Gewissensentscheidung für Abgeordnete ist eine Gewissensentscheidung, und das ist so im Grundgesetz verankert. Und das haben mir manche Kollegen, vor allem aus Baden-Württemberg, ausreden wollen und haben gesagt, Du musst solidarisch sein und kannst nicht dem Kanzler widersprechen. Am Nachmittag vor der Entscheidung bin ich aus der SPD-Fraktion ausgetreten. Aus der SPD bin ich gar nicht ausgetreten, ich bin heute noch drin. Aber ich bin eines von den kritischen Mitgliedern.“

Dann kam der 16. November 2001. Im Plenarsaal herrscht nach der Abstimmung mit 336 zu 326 Stimmen für Bundeskanzler Schröder und zugleich für den Bundeswehr-Einsatz einen Augenblick lang Stille. „Ich bin zu ihm hin und habe gesagt, ich freue mich, dass Sie weiter arbeiten können und habe ihm dann die Hand gegeben“, erzählt Lörcher.
Ein Bild für die Geschichtsbücher
Das Bild, wie die engagierte Abgeordnete aus Villingen dem Basta-Kanzler die Hand schüttelt, ging in die Geschichtsbücher ein. Mit Gerhard Schröder habe sie auch später nie darüber gesprochen, was sie schade fand.
Reich durch das Leid anderer
Zu ihrer Entscheidung von damals steht Christa Lörcher auch heute noch. Krieg löse keine Probleme, erklärt sie, er verursache nur noch viel schlimmere Probleme. „Gewinnen tun beim Krieg immer nur einige, und das finde ich schlimm, dass durch den Krieg manche Leute reich werden durch das Leid anderer.“
Kritisches Fazit zum Afghanistan-Einsatz
Den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan bewertet sie kritisch. „Mein Eindruck war: Nach wenigen Jahren gab es schon ganz heftige Kritik an diesem Einsatz. Journalisten waren unter Einsatz ihres Lebens in Afghanistan und haben recherchiert. Aber auf sie hat niemand gehört oder hören wollen. Und die Taliban sind jetzt wieder dran, genau wie vorher.“
Die Enquête-Kommission des Bundestags habe erst vor Kurzem ihren Bericht fertig gestellt. Und die SPD-Bundestagsabgeordnete Derya Türk-Nachbauer aus Villingen-Schwenningen, die in der Kommission war, habe ein vernichtendes Urteil gefällt: Dass so viel falsch gemacht wurde, aber niemand es hören wollte. Eigentlich, so Lörcher, sei keine Kontrollinstanz vorhanden gewesen.
„Politisch ist nichts erreicht worden“
Was hat der militärische Einsatz erreicht? Christa Lörcher sieht das so: „Dass viele Menschen getötet wurden, dass viel Umwelt und Infrastruktur zerstört wurde, aber politisch ist nichts erreicht worden.“ Jetzt sei die Situation genauso schlimm wie vorher, oder vielleicht sogar noch schlimmer. Eines findet die ehemalige Abgeordnete unglaublich schade: „Dass die Uno nicht stark genug ist, in solchen Krisen einzugreifen und friedensstiftend zu wirken, wie es eigentlich ihr Auftrag wäre.“
Viel Unterstützung gefunden
Für ihr menschliches und soziales Engagement und für ihre Geradlinigkeit hat Christa Lörcher viele Ehrungen erhalten, auch das Bundesverdienstkreuz. „Eine Stütze für mich war und ist in der ganzen Zeit, dass meine Familie und ein großer Teil der Bevölkerung mich in meiner Entscheidung unterstützt haben.“
Wie kann man Kriege verhindern oder was sollte getan werden, um Kriege zu verhindern? Schön findet sie, dass in den Schulen Streitschlichter ausgebildet werden, dass man schon früh anfängt, zu lernen, wie man friedliche Konfliktlösungen erreichen kann.
Sie vermisst die Bereitschaft zum Kompromiss
Auf der großen politischen Ebene müsste die Kultur des Konflikt-Vermeidens gelernt werden. „Wenn man heute im Bundestag sieht, wie es da zugeht, merkt man, dass da oft wenig Bereitschaft vorhanden ist, aufeinander zuzugehen und Kompromisse zu suchen.“