Radsport: – Klingt in diesen Tagen die rauchige Stimme von Bryan Adams aus dem Radio, hören zwei jung gebliebene Frauen besonders gern zu. Vor allem, wenn der Kanadier seine 1991 veröffentlichte Ballade „Everythin I do, I do it for you...“ anstimmt. „Dieses Lied fährt voll rein und weckt wunderschöne Erinnerungen“, lächelt Susanne Daudey und berührt Kerstin von Schneyder leicht am Arm: „1996 in Malaysia – unser großer Moment.“

Weißt du noch? Auch 25 Jahre nach ihrem Triumph in Malaysia schwelgen Susanne Daudey (links) und Kerstin von Schneyder noch gern in ...
Weißt du noch? Auch 25 Jahre nach ihrem Triumph in Malaysia schwelgen Susanne Daudey (links) und Kerstin von Schneyder noch gern in ihren Erinnerungen. | Bild: Scheibengruber, Matthias

Im fernen Osten erlebten die mittlerweile 51-jährigen Freundinnen am 22. November 1996 ihre Sternstunde: „25 Jahre ist das nun her, dass wir Weltmeisterinnen im Zweier-Kunstradfahren geworden sind“, blickt Kerstin von Schneyder vom Album auf. Versonnen blättert das Duo durch die Bilder von damals – und erzählt unserer Zeitung von den magischen Momenten.

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Getroffen haben wir uns in der altehrwürdigen „Volkshalle“. Hier nahm der Erfolg seinen Lauf, hier saßen sie Mitte der Siebziger erstmals auf einem Kunstrad, hier trainieren sie die nächste Generation, hier treten ihre Töchter vielleicht einmal in ihre Fußstapfen.

Bild 2: Vor 25 Jahren bei der Weltmeisterschaft in Malaysia wurde für die Kunstradfahrerinnen Susanne Daudey und Kerstin von Schneyder ein wunderschöner Traum wahr
Bild: Scheibengruber, Matthias

Susanne Daudey kümmert sich mit Akribie um ihre Tochter Letizia und deren Zweier-Partnerin Sofia Baier, die in der Klasse U19 bei den Deutschen Meisterschaften im August auf Platz fünf mit Bestleistung glänzten. Kerstin von Schneyder führte ihre jüngere Tochter Anna-Sophia mit Anika Papok schon zwei Mal im Zweier zum Europameister-Titel, 2019 und vor drei Monaten in Altdorf/Schweiz. Der Erfolg scheint also in den Familien zu liegen: „Wir haben nie gefordert, immer nur gefördert“, betont Kerstin von Schneyder, dass die Kinder nie den Spaß verlieren dürfen.

Autogrammkarte: Die Unterschriften der Kunstrad-Weltmeisterinnen aus Lottstetten waren 1996 sehr gefragt.
Autogrammkarte: Die Unterschriften der Kunstrad-Weltmeisterinnen aus Lottstetten waren 1996 sehr gefragt. | Bild: privat

Den Spaß, den sie mit ihrer Freundin Susanne Seifert vor genau 25 Jahren in Malaysia hatte. Wobei – zunächst war es ein Nervenspiel. „Wir waren kurz vor der Abreise schwer gestürzt“, erinnert sich Kerstin von Schneyder und Susanne Daudey läuft noch heute ein Schauer über den Rücken: „Ich war ziemlich nervös, denn Kerstin hatte sich damals ziemlich heftig im Gesicht verletzt, sogar zwei Zähne verloren.“

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Bei der Übung „Steiger rückwärts Brustschwebehang“ war es passiert. Kerstin Stark, bei den Passagen, die vom Zweier-Paar auf nur einem Rad gefahren werden, in der oberen Position, fiel ungebremst zu Boden. „Ich wollte die Übung aus dem Programm streichen. Schließlich war es mein Fehler, dass sie stürzte“, erzählt Susanne Daudey. Aber ihre Partnerin stellte sofort klar: „Fahren wir nicht das komplette Programm, werden wir sicher nicht Weltmeister.“

Kerstin von Schneyder: „Wir fuhren bereits als Jugendliche in der deutschen Spitze. Nach der Babypause von Susanne stiegen wir ...
Kerstin von Schneyder: „Wir fuhren bereits als Jugendliche in der deutschen Spitze. Nach der Babypause von Susanne stiegen wir wieder aufs Rad und dann wollten wir irgendwann den Titel wirklich.“ | Bild: Scheibengruber, Matthias

Schließlich war der Titel für die jungen Frauen damals das klare Ziel für den Wettkampf in Fernost. Ein Jahr zuvor, bei den Weltmeisterschaften in Epinal (Frankreich) waren sie Zweite geworden. Nun sollte die Krönung folgen.

Der Plan war seit Jahren gereift. Nach einer mehrmonatigen Babypause von Susanne Seifert, war das Duo mit neuem Elan zurück gekommen und startete durch: „Wir fuhren als Jugendliche in der deutschen Spitze. Nun wollten wir den Titel wirklich“, erinnert Kerstin von Schneyder an den kongenialen Trainer Harald Schiffler: „Er hat Kunstrad gelebt, trainierte mit uns im Jahr vor der WM vier, fünf Mal in der Woche.“

25 Jahre Weltmeisterinnen: Kerstin von Schneyder (links) und Susanne Daudey sorgten im November 1996 mit dem WM-Titel im ...
25 Jahre Weltmeisterinnen: Kerstin von Schneyder (links) und Susanne Daudey sorgten im November 1996 mit dem WM-Titel im Zweier-Kunstradfahren für den größten Erfolg in der Vereinsgeschichte des RV Lottstetten. | Bild: Scheibengruber, Matthias

Schiffler hatte das Talent von Seifert/Stark offensichtlich sehr früh erkannt. Seine immer wieder geäußerte Prophezeiung „Eines Tages werdet ihr Weltmeister“ wurde jahrelang von den Sportlerinnen belächelt. Am 22. November 1996 erfüllte sich der Herzenswunsch des vor genau elf Jahren verstorbenen „Mister Kunstrad“, der einst aus beruflichen Gründen aus dem Saarland nach Lottstetten gekommen war und der Kunstradabteilung des RV Lottstetten zu neuer Blüte verholfen hatte.

Schiffler war dann auch als Zuschauer vor Ort, als das Duo die perfekte Kür fuhr und nach sechs Minuten und 297,57 Punkten den Titel geholt hatte. Es folgten Feierlichkeiten, die kaum enden wollten: „Ich erinnere mich noch an unser legendäres Zimmerfest im Mannschafts-Hotel“, grinst Susanne Daudey, ohne Details zu verraten: „Wir haben es nicht übertrieben. Am nächsten Tag standen wir wieder fit in der Halle, um die WM weiter zu verfolgen.“

Sie können es noch: Kerstin von Schneyder (links) und Susanne Daudey auf ihren WM-Rädern von 1996.
Sie können es noch: Kerstin von Schneyder (links) und Susanne Daudey auf ihren WM-Rädern von 1996. | Bild: Scheibengruber, Matthias

Im Anschluss reisten die Lottstetterinnen mit ihren Partnern für eine Woche nach Bali, beschlossen dort auch ihr Karriere-Ende: „Wir haben aber noch zwei Jahre lang trainiert und uns etwas Geld mit Schaufahren verdient“, erzählt Kerstin von Schneyder.

In Lottstetten bereitete das ganze Dorf seinen Weltmeisterinnen nach der Heimkehr einen „großen Bahnhof“, mit Reden, Geschenken, Musik, Ehrungen. Momente, die unvergessen bleiben. Unvergessen, weil die Erfolge bis heute präsent sind: „Noch immer kommen Patienten in die Praxis und begrüßen mich mit „unsere Weltmeisterin“, schmunzelt Arzthelferin Kerstin von Schneyder und Susanne Daudey pflichtet ihr bei: „Sogar bei mir im Rathaus Hohentengen werde ich erkannt.“

Geblieben sind nach 25 Jahren wunderbare Erinnerungen, eine Freundschaft fürs Leben und der Sound von Bryan Adams, dessen Lied wie kein Zweites zum Zweier-Kunstradfahren passt: „Everything I do, I do it for you.“