Hansjörg Huber stellt sich auf einen halbrunden, mit Moos bewachsenen Stein. Sein Kollege Dani Duttweiler bleibt neben ihm auf dem schmalen Pfad stehen. Die beiden befinden sich mitten im Wald oberhalb von Tägerwilen. „Für alle, die einen Krimi schreiben wollen: Hier gäbe es viele Orte, um jemanden verschwinden zu lassen“, ruft Duttweiler der Gruppe zu, die mit ihm dort entlangwandert.

Die beiden Männer, die vorausgehen, sind Mitglieder im Verein Festungsgürtel Kreuzlingen und kennen einige Geschichten über die Bunker in der Grenzregion. Deshalb haben sie gemeinsam mit David Bruder vom Museum Rosenegg zu einer Führung auf den Spuren der Geschichte eingeladen.

Vom Bahnhof Bernrain Kreuzlingen aus geht es erst mal den Hügel hinauf und dann hinein in den Wald. Einige Wolken ziehen auf, doch nur einzelne Tropfen fallen. Die Teilnehmer der geführten Wanderung stört das nicht und angeregte Gespräche kommen in Gang. Militärisches Wissen wird ausgetauscht, Fragen und Motivation geklärt.

Von links: Dani Duttweiler, David Bruder und Hansjörg Huber am Ende der Tour. Im Hintergrund die bewaldeten Höhen des Seerückens.
Von links: Dani Duttweiler, David Bruder und Hansjörg Huber am Ende der Tour. Im Hintergrund die bewaldeten Höhen des Seerückens. | Bild: Lara Wiegandt

Auch ein Bagger kann den Bunker nicht einreißen

Über eine Länge von 11,5 Kilometer erstreckte sich der Festungsgürtel von Triboltingen über die bewaldeten Höhen des Seerückens nach Lengwil und schließlich bis Bottighofen. Darunter befinden sich mehr als achtzig Infanteriewerke und Unterstände, die ab 1937 gebaut wurden.

Nicht alle Bunker blieben erhalten. 2006 wurde eine Anlage in Bätershausen abgebrochen. Doch Bunker sind stabil und sollen viel aushalten. Für Bagger gilt das zwar genauso, doch gleich am ersten Tag der Bauarbeiten gab die Maschine auf. Die Firma aus Winterthur habe daraufhin einen größeren Bagger besorgt. „Nach drei Tagen wiederholte sich das Spiel und der Bagger war kaputt“, erzählt Huber und lacht.

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Erst mit der dritten Baumaschine gelang der Abriss der oberirdischen Elemente des Bunkers nach knapp drei Wochen und Kosten in Höhe von 150.000 Franken. Aufgrund der hohen Kosten sind die meisten der abgebrochenen Bunker unterirdisch noch vorhanden. Auch auf den Abriss weiterer Bunker wurde verzichtet.

Dann macht die Gruppe die ersten Entdeckungen

Der Wald wird lichter und dann tritt die Gruppe ins Freie. Die Fläche wurde eigens für mögliche Kämpfe gerodet. Davor war dort ebenfalls Wald. „Die Schießscharten der Bunker sind so angeordnet, dass sich die Bunker gegenseitig decken“, so Duttweiler. Das könne man sich so vorstellen, dass die Feuerlinien über Kreuz liegen. Zusätzlich hatte jeder Bunker einen Schutzgürtel von etwa 30 Metern, welcher unter anderem durch Stacheldraht Feinde fernhalten sollte.

Nach vielen Informationen wird es Zeit für eine kleine Stärkung, bevor die Bunkerbesichtigung ansteht.
Nach vielen Informationen wird es Zeit für eine kleine Stärkung, bevor die Bunkerbesichtigung ansteht. | Bild: Lara Wiegandt

Dann kommen die 34 Besucher ganz nah am ersten Bunker vorbei. Doch erst mal geht es noch einige Schritte weiter hinein in den Wald. „Mittagspause“ lautet das entscheidende Schlagwort für die erste Hälfte der Gruppe. Bei Bratwurst, Brot und Muffins entwickeln sich schnell lebhafte Gespräche.

„Ich hatte gedacht, hier gibt es vielleicht fünf oder sechs Bunker“, staunt Herbert Joos, „aber dass es so viele sind! Wirklich beeindruckend, wie gut die Schweiz gerüstet ist.“ Christina Egli erzählt, sie selbst habe in ihrem Keller sogar noch einen Luftschutzraum.

Herbert Joos und Christina Egli sind begeistert von der Führung durch den Festungsgürtel.
Herbert Joos und Christina Egli sind begeistert von der Führung durch den Festungsgürtel. | Bild: Lara Wiegandt

Vögel zwitschern in den Bäumen und drängen zum Aufbruch. Die Vorfreude auf die anstehende Bunkerbesichtigung ist greifbar.

Es geht dort hindurch, wo einst fünf Reihen Stacheldrahtzaun und Barrikaden die Bunker miteinander verbanden und so ein Durchkommen für Panzer und Infanterie verhindern sollten. Dazwischen liegen riesige Steine eng beieinander. „Diese waren nicht Teil des Festungsgürtels. Sie wurden erst später symbolisch platziert“, erklärt Dani Duttweiler.

Die Tour führt dort hindurch, wo einst reihenweise Stacheldrahtzaun gespannt war, um feindliche Truppen davon abzuhalten, ins ...
Die Tour führt dort hindurch, wo einst reihenweise Stacheldrahtzaun gespannt war, um feindliche Truppen davon abzuhalten, ins Landesinnere der Schweiz einzudringen. | Bild: Lara Wiegandt

Platz für 24 Personen hinter 2,5 Meter dicken Wänden

Dann ist es endlich so weit: Der Infanteriebunker Eichhof kommt in Sicht. Eine unscheinbare Tür, verwinkelte Gänge und dicke Wände mit einer Wandstärke von 2,5 Metern. Trotz der massigen Form von außen ist der Bunker im Inneren beengt. Die Decke verläuft nur knapp über den Köpfen der Besucher hinweg. Die Gruppe steht eng gedrängt in dem Raum, in dem die Kampfhandlungen stattgefunden hätten.

Nun nimmt die Panzerabwehrkanone einen großen Teil des Platzes im oberen Stockwerk ein. Im Kriegsfall wird sie nach vorn geschoben. Sie gibt sechs bis acht Schüsse pro Minute ab. Bei jedem einzelnen rollt sie durch den Druck wieder rund 30 Zentimeter zurück.

Diese Panzerabwehrkanone wurde von drei Soldaten gleichzeitig bedient. Sie kann bis zu acht Schüsse pro Minute abgeben.
Diese Panzerabwehrkanone wurde von drei Soldaten gleichzeitig bedient. Sie kann bis zu acht Schüsse pro Minute abgeben. | Bild: Lara Wiegandt

Die Bedienung der Kanone war eine Gemeinschaftsleistung von drei Soldaten, bestehend aus einem sogenannten Richter, der die Kanone ausgerichtet hat, einem Lader, der die Panzerabwehrkanone belädt, und einem Zuträger, der sechsmal pro Minute die Munition bereitstellen musste. „Das waren meist kräftige Landwirte, die gebracht haben, während die Studenten die Richter waren“, so Duttweiler.

Obwohl es hier nie zu Kampfhandlungen kam, waren die Bunker während des Zweiten Weltkriegs durchgehend besetzt. Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg – doch Ende August 1939 versetzte die Armee bereits Truppen in die Bunker im Festungsgürtel.

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Der Bunker bot Platz für 24 Mann, die dort auf engstem Raum zusammengelebt haben. Kaum vorzustellen, denn schon mit 17 Personen wird es eng. Alle stehen dicht zusammengedrängt. Es ist nur nacheinander möglich, einen Blick auf das zu werfen, was die Toilette darstellte: ein kleines Loch im Boden.

Über eine schmale Leiter konnten die Soldaten nach unten klettern. Dort befanden sich eine Küche und die Schlafstätte aus einklappbaren Betten. Es waren maximal zwölf, oft wurden dank des Schichtdienstes sogar weniger gebraucht.

Ein schmaler Abstieg führt hinab zu dem ehemaligem Wohnraum der Soldaten. Einige Teilnehmer der Gruppe bekommen bei dem Anblick wacklige ...
Ein schmaler Abstieg führt hinab zu dem ehemaligem Wohnraum der Soldaten. Einige Teilnehmer der Gruppe bekommen bei dem Anblick wacklige Knie und verzichten auf den Abstieg. | Bild: Lara Wiegandt

Heute befindet sich dort unten eine Ausstellung von Waffen, Kleidung, Helmen und sonstigen Besitztümern der Soldaten. Auch diese erzählen Geschichten vom Leben im Krieg: Der Helm von 1918 glänzte etwa bei Nässe oder Mondschein, sodass die Soldaten damit leichter zu entdecken waren. Daher war die Freude groß, als es ein neues Modell gab, welches anders beschichtet war, so Fritz Hofer. Er ist ebenfalls Mitglied im Verein Festungsgürtel Kreuzlingen.

„Diese Helme hatten einen großen Nachteil“, erklärt Fritz Hofer, „bei Nässe oder Mondschein glitzerten sie.“ Scharfschützen hatten dann ...
„Diese Helme hatten einen großen Nachteil“, erklärt Fritz Hofer, „bei Nässe oder Mondschein glitzerten sie.“ Scharfschützen hatten dann leichtes Spiel, den Feind ausfindig zu machen. | Bild: Lara Wiegandt

Ein Stein im Wald? Nein, das ist ein Kugelbunker

Wieder im Freien kommt die Tour zu ihrem Ende. Doch bevor es zum Bahnhof Tägerwilen geht, entfernt sich Hansjörg Huber wenige Schritte vom Weg und stellt sich dort auf den unscheinbaren Stein. Dabei handelt es sich um einen Kugelbunker, erklärt sein Kollege Duttweiler. Zwei bis vier Männer konnten von dort aus zur Beobachtung oder mit einer Waffe stationiert werden.

Wer hier im Wald unterwegs ist, treffe immer wieder auf Erhebungen oder Gitter, die auch oft zu Mannschaftsunterständen führen. „Die meisten sind verschlossen“, wirft Huber ein – und erinnert daran, dass es sich auch hierbei um Orte handeln könnte, „um jemanden verschwinden zu lassen“. Einen bleibenden Eindruck hat die Führung bei allen Teilnehmern hinterlassen.

Es sieht aus, wie ein ganz normaler Stein, auf dem Hansjörg Huber steht. Doch die Grafik, die Dani Duttweiler zeigt, offenbart: Es ...
Es sieht aus, wie ein ganz normaler Stein, auf dem Hansjörg Huber steht. Doch die Grafik, die Dani Duttweiler zeigt, offenbart: Es handelt sich um einen Kugelbunker. | Bild: Lara Wiegandt