„Ich habe überlegt, ob ich wieder nach Deutschland gehen soll“, sagt Julia Weiss. „Aber ich habe mich dagegen entschieden.“ Julia Weiss ist Lehrerin, sie unterrichtet an einer Grundschule in einer kleinen Gemeinde nahe der Stadt Brugg im Schweizer Kanton Aargau.
„Die Klassen in der Schweiz sind kleiner, es gibt mehr Unterstützungspersonal, die Schulen sind besser ausgestattet“, zählt Weiss die Vorteile an der Schweizer Schule auf. Über Ausstattungen würde per Volksabstimmung entschieden. „Da zeigt sich dann, wie wichtig den Menschen hier die Schule ist“, sagt Weiss.
Zahlreiche deutsche Lehrer gehen in die Schweiz
Julia Weiss stammt nicht aus der Schweiz, sondern aus Deutschland. Damit ist sie eine von vielen deutschen Lehrerinnen und Lehrern, die in der Schweiz arbeiten. „Es gibt seit Jahren zahlreiche Berichte von Lehrkräften, die in die Schweiz abwandern“, sagt Monika Stein, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Baden-Württemberg.

Wie viele es genau sind, das lässt sich schwer bestimmen. Laut einem Sprecher des baden-württembergischen Kultusministeriums müssen Lehrer ihren Tätigkeitsort nicht angeben, wenn sie aus dem Dienst ausscheiden. Zahlen über Abwanderung in die Schweiz werden daher nicht erfasst. In Julia Weiss‘ Kollegium gibt es nach ihrer Aussage jedenfalls einige deutsche Lehrerinnen und Lehrer.
Bis zu 30 Prozent mehr Gehalt
Eine Motivation für Lehrkräfte ist die Bezahlung, sagt Gerhard Brand, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE): „Der Gehaltsunterschied in der Schweiz ist enorm. Es gibt Lehrkräfte, die bis zu 30 Prozent mehr verdienen als in einer vergleichbaren Stelle in Deutschland.“

Unattraktiv für junge Menschen
Doch es gibt auch noch weitere Gründe. In Baden-Württemberg verpflichtet man sich beim Antritt einer Stelle, die Schule für mindestens drei Jahre nicht zu verlassen. Das Regierungspräsidium kann Lehrer aber auch an Schulen abordnen, wenn dort großer Mangel herrscht.
„Ich will mir nicht von jemand anderem festlegen lassen, wo ich arbeite“, sagt Julia Weiss. „Wenn es mir nicht gefällt, dann möchte ich gehen können.“ Das sei einer der Hauptgründe gewesen, weshalb sie sich gegen Deutschland entschieden habe.
Dass dieses System für junge Menschen nicht attraktiv sei, bestätigt der VBE-Vorsitzende Gerhard Brand. „Junge Lehrkräfte sollten die Gewissheit haben, dass sie sich nicht für mehrere Jahre an eine Region binden müssen. Das würde die Attraktivität für manche Regionen erhöhen.“
Referendare finden schneller einen Job
Grundsätzlich stören sich die Gewerkschaften VBE und GEW am Umgang des Landes mit den Referendaren. Referendare werden in Baden-Württemberg oft erst nach den Sommerferien eingestellt. Sechs Wochen lang sind sie dann also arbeitslos. „Das Kultusministerium nimmt diese prekäre Situation sehr gerne in Kauf, um Geld zu sparen“, sagt Monika Stein von der GEW.
Die Vertragsabwicklung in der Schweiz gehe gleichzeitig deutlich schneller – somit finden Referendare in der Schweiz schneller einen besser bezahlten Job.
Das Einstellungsverfahren von Referendaren ist ein Punkt, an dem man schrauben müsste, findet Julia Weiss. 2008, als sie gerade mit ihrem Referendariat fertig war, bewarb sie sich auf Stellen in Baden-Württemberg und im Kanton Aargau. Nach dem Bewerbungsgespräch bei einer Schweizer Grundschule habe sie direkt einen Arbeitsvertrag erhalten. Die Bewerbung im deutschen Schulsystem hingegen verlief im Sande: „Vom Regierungspräsidium habe ich nie wieder etwas gehört.“
Sowohl GEW als auch VBE wissen, dass die Schweiz aktiv deutsche Referendare abwirbt. Das geschehe über Mundpropaganda, aber auch über Zeitungsannoncen. „Uns wurde auch schon zugetragen, dass direkt an den Seminaren in Grenzgebieten Werbung gemacht wird. Wenn dort Stände außerhalb des Geländes aufgestellt werden, kann das Kultusministerium nichts dagegen tun“, sagt Gerhard Brand. Dem Kultusministerium ist auf SÜDKURIER-Anfrage nichts dazu bekannt.
Doch was sind die Auswirkungen dieser Entwicklung für deutsche Schulen? „Die Folge ist, dass etliche Stellen nicht mehr mit ausgebildeten Lehrkräften besetzt sind“, sagt Monika Stein. Den Quereinsteigern sei sie sehr dankbar für ihren Einsatz an den Schulen.
Besonders problematisch im Hochschwarzwald
Sie benötigten jedoch zusätzliche Unterstützung von ausgebildeten Lehrern – eine zusätzliche Belastung. Das hat laut Monika Stein auch Auswirkungen auf den Unterricht: „Die Qualität des Unterrichts leidet. Da braucht man gar nicht mehr über Vergleichstests zu sprechen.“
Besonders schwierig ist die Situation laut VBE-Chef Gerhard Brand in den Regionen Hotzenwald und Hochschwarzwald. „Den größten Mangel haben wir dort im Grundschulbereich und ausgerechnet hier gehen besonders viele Lehrkräfte in die Schweiz.“
Verbeamtung zieht nicht mehr
Was macht das baden-württembergische Kultusministerium, um diese Situation zu lösen? Man sei bestrebt, den Lehrern attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten, sagt ein Ministeriumssprecher. Dazu gehöre auch die Verbeamtung auf Lebenszeit, die es in der Schweiz nicht gebe.
Doch die Verbeamtung als Argument zieht nicht, sagen die Gewerkschaftsvorsitzenden. Vor allem für junge Menschen ist der Beamtenstatus nicht mehr das Nonplusultra, sagt GEW-Chefin Monika Stein: „Wir kommunizieren das dem Kultusministerium schon seit Jahren: Die Verbeamtung reicht nicht, um Lehrer in diesen Beruf zu locken.“
„Die Verbeamtung wird aufgebauscht“, sagt Julia Weiss. Wenn man ein paar Jahre in der Schweiz gearbeitet habe, erhalte man einen unbefristeten Vertrag. „Ich habe einen sicheren Job, kann mein Leben aber trotzdem flexibel gestalten“, sagt sie. Die Minus-Punkte am deutschen System hätten somit überwogen.