Befürworter der Kernenergie fordern ein neues Atomkraftwerk im Aargau. Auftrieb erhielten sie im August. Da gab der Bundesrat bekannt, dass er das Neubauverbot aufheben will. Dahinter stehen allerdings einige Fragezeichen. Eines lautet: Hätte es im Zwischenlager in Würenlingen überhaupt genug Platz für das zusätzliche radioaktive Material?
Diese Frage wurde dem Geschäftsführer Bruno Ulrich jüngst von der „Aargauer Zeitung“ an einem Rundgang gestellt. Zu diesem waren Medien ins Zwischenlager eingeladen. Grund ist das 25-jährige Jubiläum der Anlage, das neben dem Paul Scherrer Institut (PSI) und nur wenige Kilometer von den AKW Beznau und Leibstadt entfernt steht.
Welche Faktoren spielen eine Rolle?
„Die Antwort hängt von mehreren Faktoren ab“, sagt Ulrich. Vor allem davon, wann ein neues Kernkraftwerk und das Endlager in Betrieb gehen würden. Was klar ist: Würde die Schweiz heute schon über ein Endlager verfügen, würden dort noch keine Brennelemente lagern, die sich zurzeit in Würenlingen befinden. Denn die ausgedienten Teile müssen in den Lagerbehältern dreißig bis vierzig Jahre lang abklingen, ehe sie ins Tiefenlager gebracht werden können.

Was abklingen bedeutet, spürt man in der Würenlinger Lagerhalle für hoch radioaktive Abfälle, wenn man die 140 Tonnen schweren Behälter anfasst. Sie fühlen sich so warm an wie ein auf mittlerer Stufe eingestellter Radiator. Es ist die Wärme, welche die Brennelemente in den Behältern abgeben. In der Halle ist es allerdings kühl. Die Wärme strömt mit der Luft, die in die Halle eindringt, über die Dachöffnung ins Freie.
Erster Behälter wurde 2000 aufgestellt
Der erste der mächtigen Lager- und Transportbehälter wurde im Juli 2000 in diese Halle gestellt. Heute sind es 84, nebeneinander aufgereiht, getrennt durch einen Gang in der Mitte. 62 sind mit AKW-Brennstäben gefüllt, 22 mit hoch radioaktivem Schweizer Abfall aus einer Wiederaufarbeitungsanlage. Die Halle bietet Platz für 200 Behälter. Ihre Auslastung beträgt somit 43 Prozent.
Was passiert, wenn das Zwischenlager dereinst voll ist und sich der Start für das Tiefenlager, für 2050 geplant, verzögert? „Für das heutige Szenario und Entsorgungsprogramm haben im Zwischenlager alle Abfälle Platz, auch jene, die bei der Stilllegung anfallen“, sagt Ulrich. Bleiben Leibstadt und Gösgen länger als sechzig Jahre in Betrieb, „dann müsste man schauen“, sagt Ulrich. Er erwähnt ein laufendes Projekt. Dieses soll abklären, ob mit Optimierungen mehr Behälter im Zwischenlager Platz finden könnten. Die beiden Beznau-Blöcke will die Betreiberin Axpo 2032 und 2033 abschalten. Gösgen ging 1979 in Betrieb, Leibstadt 1984.
Deckel sollen Flugzeugabsturz standhalten
Eine Besonderheit der Behälter sind ihre Deckel. Sie halten einem Flugzeugabsturz stand, versichert die Zwischenlager Würenlingen AG. Trotzdem die theoretische Frage: Was würde passieren, wenn man einen solchen Behälter öffnen könnte? „Aufgrund der hohen radioaktiven Strahlung würde man es nicht lange überleben, wenn man daneben stände“, sagt Ulrich. Und er unterstreicht nochmals: „Es ist eigentlich ausgeschlossen, dass ein solcher Behälter geöffnet werden kann.“
Der Anteil der hoch radioaktiven Abfälle beträgt im Zwischenlager nur 10 Prozent. Den Rest machen die schwach- und mittelaktiven Abfälle aus. Viel Platz für Fässer und Container bietet die Lagerhalle für die schwach- und mittelaktiven Abfälle, die laut Ulrich etwa so grosgroß wie die alte Zürcher Bahnhofshalle. Die Belegung der schwach- und mittelaktiven Abfälle im Zwischenlager betrage 22 Prozent.
Im Zwischenlager wird nicht nur Material gelagert. In der sogenannten Plasmaanlage wird schwach aktiver Abfall eingeschmolzen. Seine Menge reduziert sich dadurch um den Faktor 5. Teile aus den AKW werden, falls möglich, von radioaktiver Kontamination gereinigt. „Seit unsere Anlage in Betrieb ist, haben wir 1500 Tonnen Material aus den Kernkraftwerken in den konventionellen Recyclingkreislauf zurückgegeben“, sagt Ulrich.
Der Autor ist Redakteur der „Aargauer Zeitung“. Dort ist dieser Beitrag auch zuerst erschienen.