Corona hat den Flughafen Zürich nicht klein gekriegt. Inzwischen geht es langsam wieder bergauf mit Passagierzahlen und Flugbewegungen: 10 Millionen Menschen nutzten den Airport im vergangenen Jahr laut Bilanz des Flughafenbetreibers. Das ist gleichwohl nur ein Drittel dessen, was vor Corona üblich war. Die Zahl der Flugbewegungen stieg auf knapp 133.000 – 19 Prozent mehr als 2020.

Für den Flughafenbetreiber bedeutet das allein für das Geschäftsjahr 2020 Verluste in hohem zweistelligen Millionenbereich, die laut CEO Stephan Widrig aus Reserven und aufgenommenen Krediten finanziert werden sollen. Vom Schweizer Staat will die Aktiengesellschaft nur das Kurzarbeitergeld nehmen. Das Ziel aber wurde nicht aus den Augen verloren: Der Flughafen soll weiter wachsen. Und dazu braucht es auch ein neues Flugverkehrskonzept, das unter anderem den Luftraum im Norden stärker nutzen dürfte.
Seit 2014 arbeiten die zuständigen Gremien daher an einem neuen Betriebsreglement (BR14), das 2017 aktualisiert wurde. Mehr Sicherheit auf dem Flughafen, so lautet ein Grundargument, um es durchzusetzen. Kritiker wie die Bürgerinitiative Flugverkehrsbelastung am Hochrhein weisen aber darauf hin, dass es allein darum gehe, den südbadischen Luftraum noch intensiver zu nutzen.
Keine Gegenliebe für Moderation aus der Schweiz
Auf deutscher Seite kennt die Politik die Pläne seit vielen Jahren. Versprochen wird der Bevölkerung auch ebenso lange schon eine Reduzierung der Flugverkehrsbelastung. Doch getan hat sich nicht viel. Ein letzter Vorstoß der betroffenen Landkreise, mit Ex-Bundeswehrgeneral Wolfgang Schneiderhan eine Mediation zur Lösung des Problems anzustoßen, ist derweil gescheitert.
Was bereits Ende des Jahres durchsickerte, bestätigt Schneiderhan dem SÜDKURIER auf Nachfrage: „Ja, ich habe den Auftrag an das Ministerium zurück gegeben“, erklärte er in einer Mail. „In mehr als 1 1/2 Jahren wurde kein Schweizer Partner für das in Rede stehende Vermittlungsverfahren benannt“, heißt es zur Begründung kurz und knapp.

Die Schweiz sah in der Tat keinerlei Anlass, um auf das Mediationsangebot der deutschen Seite zu reagieren. Die Lauchringer SPD-Abgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter, die nach dem Regierungswechsel als Parlamentarische Staatssekretärin vom Umwelt- ins Innenresort gewechselt ist, schiebt die Schuld für das Scheitern der Mission dem zuletzt CSU-geführten Verkehrsministerium zu.
Sie habe den Eindruck, „dass es seitens der bisherigen Verantwortlichen im Bundesverkehrsministerium keine eindeutige Zielsetzung gab, die der Sonderbeauftragte ergebnisorientiert vertreten konnte“, erklärte die Abgeordnete.
Doch das geplante BR 2017 ist auch in der Schweiz umstritten. Denn die millionenschwere Investition in den Bau von Schnellabrollwegen auf den Pisten des Flughafens und die neuen An- und Abflugrouten bringen auch den Eidgenossen deutlich mehr Belastungen, fürchten die Gemeinden nördlich des Flughafens. Einige von ihnen klagten und bekamen vor dem Schweizer Bundesverwaltungsgericht teilweise Recht. Das Ergebnis: Die Zahlen müssen neu gerechnet werden, die Einführung des BR 2017 wird zumindest hinausgezögert.
Auch die drei süddeutschen Landkreise Waldshut, Schwarzwald-Baar und Konstanz sowie die Gemeinde Hohentengen hatten sich der Klage angeschlossen. Hier stellte das Urteil fest, dass die Landkreise von den Auswirkungen nicht betroffen und infolgedessen auch nicht klageberechtigt seien. So fehle es den Landkreisen „vorliegend an der formellen Beschwer, weshalb auf ihre Beschwerde nicht einzutreten ist“, heißt es in der Urteilsbegründung. Dagegen habe die Gemeinde Hohentengen möglicherweise ein Klagerecht, wenn sie vom Fluglärm betroffen sei.
Zu den wenigen verbliebenen kritischen Stimmen bei dieser Auseinandersetzung in der Region zählt die BI Flugverkehrsbelastung. Ihre Mitglieder werfen vor allem der grün geführten Landesregierung vor, mit Rücksicht auf Bern und Zürich nichts gegen die Belastungen zu tun und eine akzeptable Lösung für die Bürger in Südbaden sogar zu verhindern.
Seit Jahren fordern sie, dass die Schweiz eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (gUVP) entsprechend dem Espoo-Abkommen macht. Eine solche gUVP mit Hilfe einer sogenannten Notifikation einzufordern, sei Aufgabe Stuttgarts, heißt es auch in einem Schreiben des Bundesumweltministeriums vom 13. November 2019.
Auffordern ist nicht gleich einfordern
Das Stuttgarter Verkehrsministerium bestätigte auf Nachfrage dem SÜDKURIER, dass es mehrfach Kontakte zum Thema Flugverkehrsbelastung zwischen Stuttgart und den zuständigen Schweizer Stellen gegeben habe. Dabei hätten Land und Landkreise die Schweiz mehrfach aufgefordert, eine gUVP zu erstellen, was diese immer „vehement abgelehnt“ habe.
Die Begründung: Die Voraussetzungen lägen hierfür nicht vor, und es seien auch „keine relevanten Lärmauswirkungen auf deutschem Gebiet zu erwarten“. Darauf verließ man sich in Stuttgart und verweist dabei auf Unterstützung durch die drei betroffenen Landkreise sowie die im Fluglärm-Beirat vertretenen Bürger. Eine eigentlich erforderliche formelle Notifikation wurde demnach nicht zugestellt.
Fast alle Anflüge würden über Südbaden gehen
Erfolgreich sieht sich das Verkehrsministerium dennoch beim Thema Fluglärm. So sei es gelungen, die „im Rahmen der Änderung des Betriebsreglements 2014 vorgesehene Entflechtung der Flugrouten im Ostanflugkonzept“ zu verhindern, heißt es in der Antwort aus dem Verkehrsministerium. „Aus Sicht des Landes ist davon auszugehen, dass mit der Umsetzung dieses Vorhabens weitere Teile des südbadischen Raumes für den Anflug auf den Flughafen Zürich in Anspruch genommen werden.“
So gehe das Land davon aus, dass die Zahl der Anflüge über Südbaden in dem Fall auf der Landebahn 28 um 14 Prozent zunehmen würden. „In Summe würden dann etwa 91 Prozent aller Anflüge über den südbadischen Raum erfolgen.“