Die Beziehungen sind immer noch frostig – auch neun Monate nach der einseitigen Trennung. Die Schweiz hatte die Verhandlungen mit der EU zum Rahmenabkommen im Mai vergangenes Jahr einseitig aufgekündigt. Das Rahmenabkommen, ein Vertragswerk, das 120 Einzelverträge bündeln und modernisieren sollte und den Weg für neue Bereiche der Zusammenarbeit bereiten sollte, wird es so nicht geben.

Seither herrscht Eiszeit zwischen Bern und Brüssel. Nun versucht ausgerechnet Stuttgart, sich als Mediator in der festgefahrenen Situation einzubringen. „Als direkte Nachbarn der Schweiz sehen wir uns als Brückenbauer zwischen der EU und der Schweiz“, betonte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nach einem Telefonat mit dem für die Schweiz zuständigen EU-Kommissar Maros Sefcovic.

Maros Sefcovic empfing Winfried Kretschmann.
Maros Sefcovic empfing Winfried Kretschmann. | Bild: Betrand Guay/AFP

Es werde nicht das letzte bleiben, sagt auch der Rottweiler EU-Abgeordnete Andreas Schwab, der im EU-Parlament der Delegation für die Beziehungen zur Schweiz angehört. Er erklärt: „Die EU hat klar gemacht, dass sie nicht reden um des Redens Willen will. Darum muss die Schweiz nun deutlich werden, wie sie die bestehenden offenen Fragen angehen möchte.“

Bern hatte sich an verschiedenen Punkten des Abkommen gestört, unter anderem an der sogenannten dynamischen Rechtsanpassung, die Schweizer Recht an EU-Änderungen anpasst, an den Regeln zu staatlicher Beihilfe sowie an den Rechten von EU-Bürgern in der Schweiz und an der Frage, welches Gericht Rechtsstreits beilegt.

Ob Kretschmann im Gespräch mit dem EU-Kommissar etwas bewegen konnte, lässt er offen. Doch er betont: Die Folgen des geplatzten Abkommens seien schon jetzt spürbar für Baden-Württemberg.

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Folgen schon jetzt sichtbar

So wurde die Verordnung zu Medizinprodukten seitens der EU im vergangenen Mai aktualisiert, die Schweizer Gesetze sind damit nicht mehr konform. Schweizer Produkte müssen nun ein extra Zertifizierungsverfahren durchlaufen, die Mehrkosten werden auf die Produkte aufgeschlagen, manche auch gar nicht erst für den EU-Markt zertifiziert.

Dabei ist die Schweiz drittwichtigster Markt für Deutschland beim Import von Medizintechnik und damit ein wesentlicher Lieferant zur Versorgung von Medizinprodukten ist. Stuttgart fürchtet Versorgungsengpässe im Bereich der Notfall-, Trauma- und Diabetesversorgung.

Auch die Forschungsarbeit sieht man in Stuttgart erschwert, weil die Schweiz vom EU-Forschungsprogramm Horizon vorerst ausgeschlossen ist. Allein die Uni Freiburg hatte im Jahr 2021 29 Forschungskooperationen mit Schweizer Hochschulen.

Auch für Unternehmen gebe es weniger Kooperationsmöglichkeiten, sagt eine Sprecherin des Staatsministeriums auf Anfrage des SÜDKURIER. So haben Schweizer Konzerne wie Roche ein Forschungsbudget von vier Milliarden Franken. Doch die Forschungsprojekte können nicht mehr im Rahmen des Horizon-Programms aus der Schweiz heraus gesteuert werden. Die Gelder entgehen also auch deutschen Firmen.

Nach und nach werden die wirtschaftlichen Folgen zunehmen: Immer dann, wenn die EU eine Richtlinie anpasst, muss die Schweiz ihre Gesetzgebung anpassen, um weiter auf dem EU-Binnenmarkt verkaufen zu können. Geschieht dies nicht, entstehen technische Handelshemmnisse und steigen die Kosten.

Maschinenbau und Landwirtschaft werden zu Leidtragenden

In einem Papier analysiert das Staatsministerium die möglichen Folgen solcher mit der Zeit zunehmenden Einschränkungen. Darin heißt es, dass schon 2023 kleine und mittelständische Unternehmen im Maschinenbau unter den unterschiedlichen Vorgaben und entsprechenden Mehrkosten für den Handel leiden könnten.

Ein weiteres großes Feld betrifft die baden-württembergische Landwirtschaft. Ohne Aktualisierung des Landwirtschaftsabkommens könnte der Lebensmittelhandel zusätzlich erschwert werden. Schon jetzt droht die Schweizer Zollverwaltung mit dem Ende der zollfreien Lieferungen von Obst und Gemüse in die Schweiz zum 1. Januar des kommenden Jahres.

Selbst im Flugverkehr könnten langfristig Probleme entstehen, wenn Regelungen nicht aktualisiert werden. Andere Felder der Kooperation lassen sich ohne ein Abkommen mit der Schweiz nicht erschließen. Dabei könnten Schweizer Stromanbieter die Netzsicherheit in Baden-Württemberg gewährleisten.

Dabei will sich der Südwesten auch künftig eng mit der Schweiz austauschen: „Unser langfristiges Ziel in Baden-Württemberg ist die Schaffung eines grenzüberschreitenden Gesundheitsraums“, so Kretschmann. Ohne einen europäischen Rahmen dürfte das aber schwierig sein. Denn ohne Gesundheitsabkommen mit der Schweiz bleibt diese in den EU-Mechanismen außen vor. Die Probleme der Corona-Warn-App und bis diese mit der Schweizer Covid-App Daten austauschen konnten, sind ein Beispiel dafür.

Ob und wann die Gespräche mit der Schweiz über ein Ersatzabkommen wieder aufgenommen werden, ist indes weiter offen. Der Schweizer Bundesrat will offenbar über einen Fahrplan hin zu einem erneuten Dialog nachdenken. Das kann dauern.