Bald soll er in Schaffhausen zum Stadtbild gehören: der weiße, bedruckte Neunsitzer des Autoherstellers Toyota, der mit seinen beiden blauen Sensoren auf dem Dach an ein Polizeiauto erinnert. Er soll die Zukunft der automatisierten Mobilität, der selbstfahrenden Autos auf Schweizer Straßen einläuten.

Der Verein Swiss Transit Lab (STL) schickt den Kleinbus in Zusammenarbeit mit mehreren Akteuren demnächst auf die Strecke vom Bahnhof hinauf zum neuen Stadtteil Stahlgießerei und wieder zurück – auf die Linie 13. Und der Bus soll Passagiere transportieren.

Die Macher der Linie 13: Harri Santamala (CEO des finnischen Technologieunternehmens Sensible 4) mit der Vereinsspitze von Swiss Transit ...
Die Macher der Linie 13: Harri Santamala (CEO des finnischen Technologieunternehmens Sensible 4) mit der Vereinsspitze von Swiss Transit Lab, den Vorständen Thomas Haiz und Christine Maulshagen, Präsident Matthias Rödter und Vizepräsident Dirk Apel (von links) beantworten Fragen der Gäste. | Bild: Michael Neubert

Im Herbst 2021 waren Projekt und Fahrzeug auf dem Areal der Stahlgießerei bereits den Medien vorgestellt worden. Jetzt, fast zwei Jahre später, präsentierten die Macher und beteiligten Akteure in der Rhyality Immersive Hall auf dem SIG-Areal, das über dem Rheinfall in Neuhausen thront, beides einem erlesenen Kreis von Politikern, Fachleuten, Interessierten und Vertretern der Presse. Mit dem Versprechen: „Die Zukunft beginnt jetzt.“

Fahrzeug, Technologie und Entwicklungsstufen

Die Visionäre und Entwickler bei Swiss Transit Lab sprechen von einer Revolution im automatisierten Fahren in der Schweiz. „Erstmals wird in der Schweiz ein automatisiertes Fahrzeug mit Dual-Mode-Technologie im Straßenverkehr eingesetzt und Passagiere transportieren“, heißt es in der Einladung zur Launch-Veranstaltung.

Der automatisierte Neunsitzer der Linie 13.
Der automatisierte Neunsitzer der Linie 13. | Bild: Michael Neubert

Der E-Kleinbus ist ein handelsübliches Fahrzeug, ausgestattet mit Sensoren, sogenannten Aktuatoren und Steuerungssoftware für automatisiertes Fahren vom finnischen Technologieunternehmen und Projektpartner Sensible 4. „Er kann regulär gesteuert werden und in den automatisierten Modus wechseln“, erklärte Dirk Apel, Vizepräsident von STL.

Sensoren hinten (links) und vorne auf dem Autodach scannen die Umgebung.
Sensoren hinten (links) und vorne auf dem Autodach scannen die Umgebung. | Bild: Michael Neubert

Apel skizzierte die Stufen hin zum autonomen Fahren plastisch: „0 heißt, der Fahrer macht alles selbst, 1 Füße weg, 2 Hände weg, 3 Augen weg, 4 Gehirn weg, 5 kein Fahrer mehr.“ Die STL startet ins Pilotprojekt Linie 13 auf der dritten Stufe. Apel: „Während der Projektdauer wollen wir auf Stufe vier kommen.“

Die fünf Stufen zum selbstfahrenden Auto:

„Wir gehen in einen Entwicklungsprozess, mit dem Projekt wollen wir lernen“, sagte STL-Präsident Matthias Rödter. Das Fahrzeug selbst sei ein Forschungslabor, ergänzte Apel. Es gehe darum, Daten und Erfahrungen zu sammeln. Während der Projektphase ist ein Sicherheitsfahrer mit an Bord. Er kann jederzeit eingreifen. Martin Neubauer, Geschäftsführer der Swiss Association für autonome Mobilität (SAAM), ist sich sicher: „Irgendwann ist kein Fahrer mehr dabei.“

Die Strecke und die Einsatzzeiten

Das Fahrzeug wird, vermutlich Ende April, in den öffentlichen Verkehr eingebunden. Es soll Fahrgäste – übrigens kostenlos – vom Bahnhof zum neuen Stadtteil Stahlgießerei mit seinen 450 Wohnungen und vielen Gewerbeflächen bringen – und umgekehrt. Eine Strecke ist rund ein Kilometer lang.

Eine virtuelle Fahrt mit der Linie 13 Video: Michael Neubert

Die Linie 13 steuert dabei weitestgehend die Haltestellen der Schaffhauser Verkehrsbetriebe an. „Die Region Mühlental ist das perfekte Anwendungsgebiet“, sagte STL-Vorstand Thomas Haiz und ergänzte: „Wir wollen im kleinen Bereich starten und das Angebot sukzessiv ausbauen.“

Das Fahrzeug soll in der Pilotphase zwischen 10 und 14 Uhr zwischen Bahnhof und Stahlgießerei pendeln. Zu einer Zeit, in der nicht so viel Verkehr fließt. Darüber hinaus sind in einem späteren Regelbetrieb zwei Schichten vorgesehen.

Vorbei an der Schaffhauser Stadtkulisse Video: Michael Neubert

Wie werden Bevölkerung und Fahrgäste reagieren?

Eine weiterer wichtiger Bestandteil des Projekts ist es herauszufinden, wie die Bevölkerung das automatisierte Fahren annimmt. „Nehmen wir das Beispiel Handy: Am Anfang waren vielleicht noch viele skeptisch, heute haben alles eins“, sagte Christine Maulshagen, die ebenfalls im STL-Vorstand aktiv ist.

Laut einer Studie würden folgende Faktoren eine Rolle spielen: Der Sicherheitsfahrer, die Sicherheit von Verkehrsteilnehmern, der erste Eindruck, die Dual-Mode-Technologie, die Integration in den Verkehrsfluss. In den nächsten Schritten sollen Bevölkerung und Fahrgäste befragt werden.

Der Kanton steht hinter dem Projekt

Der Rahmen ist gesteckt. Der Kanton steht hinter dem Projekt. „Die Schaffhauser Regierung ist bereit, die nötigen Freiräume zu schaffen“, versicherte Regierungsrat und Vorsteher des Baudepartements, Martin Kessler.

Mit der Linie 13 setze STL die Zukunft fort. Mit der Linie 12 am Rheinfall habe STL schon 2018 die Begeisterung unter den Passagieren geweckt und für globale Aufmerksamkeit gesorgt. Und die Stadt Schaffhausen biete die idealen Orte für den Alltagstest, ein Umfeld für kontinuierliche Verbesserungen.

Eine Expertenrunde: Martin Neubauer, Geschäftsführer der Swiss Association for Autonomous Mobility (SAAM), Schaffhausens Regierungsrat ...
Eine Expertenrunde: Martin Neubauer, Geschäftsführer der Swiss Association for Autonomous Mobility (SAAM), Schaffhausens Regierungsrat Martin Kessler und Jürg Röthlisberger (von links), Direktor des Schweizer Bundesamts für Straßen (Astra), bei der Vorstellung der Linie 13. | Bild: Michael Neubert

Astra will den den Rahmen schaffen

Jürg Röthlisberger, Direktor des Schweizer Bundesamts für Straßen (Astra), versprach, dass das Straßenverkehrsgesetz bald angepasst werde. Der Trend hin zur automatisierten Mobilität sei unumkehrbar, aber es gebe noch viel Fragen zu beantworten. Er erklärte: „Wir dürfen nicht nur an Fahrzeuge auf vier Rädern denken.“ Bike, E-Bike, Fahrrad und Rennrad ließen sich nicht automatisieren. „Ich denke, es läuft auf einen Mischverkehr hinaus.“

Harri Santamala, CEO des finnischen Technologieunternehmens Sensible 4, brachte es auf den Punkt: „Wenn es nicht realisiert und akzeptiert wird, funktioniert es nicht.“ Mit dem Blick nach vorne ist er überzeugt, dass der Verkehr automatisiert wird. Jetzt gelte es, einen Schritt nach dem anderen zu machen und mit dem Projekt wichtige Erkenntnisse und Erfahrungen zu sammeln.

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