Verena Müller ließ sich noch nie gerne etwas sagen. Am Gymnasium galt die heute 80-Jährige als „schreckliche Emanze“ und in einer Akte, die der Schweizer Staat über sie angelegt hatte, steht: „Es soll sich um eine überzeugte Frauenrechtlerin handeln, sonst ist nichts Nachteiliges über sie bekannt.“

Bild 1: Kämpferische Schweizerinnen! Vier Frauen, die sich einsetzen – für die Liebe, für ein katholisches Priesteramt, für Gleichberechtigung
Bild: privat/Verena Müller
Verena Müller im Februar 2021.
Verena Müller im Februar 2021. | Bild: Marcel Jud

Wie viele Schweizerinnen war sie im Frauenstimmrechtsverein engagiert. Das gefiel nicht allen Männern. Um diese nicht zu verschrecken, verteilten Verena Müller und ihre Mitstreiterinnen im Vorfeld der Abstimmung über das Frauenwahlrecht Äpfel. Als sie gewannen, weinte Verena Müller am Küchentisch. Noch heute ist Müller feministisch aktiv und macht als Historikerin auf das Wirken wichtiger Frauen aufmerksam – zuletzt schrieb sie eine Biografie über die Schweizer Pflegepionierin Anna Heer. Seit 1971 dürfen Schweizerinnen mitbestimmen, über 50 Jahre später als die Frauen der Bundesrepublik. Wie dieser Kampf war und was sie erlebt hat, daran erinnert sich Verena Müller mit ihren drei Freundinnen im Gespräch mit SÜDKURIER-Redakteur Marcel Jud.

Sind die Eidgenossen politisch emanzipierter als wir?

Diese Frage stellte SÜDKURIER-Redakteurin Mirjam Moll im Februar 2021 in einem Beitrag über das Wahlrecht und Frauenproteste im Nachbarland. Denn im Schweizer Nationalrat sitzen 42 Prozent Frauen. In unserem Bundestag waren es zu diesem Zeitpunkt 31 Prozent. Dann kam die Bundestagswahl im September und in den sozialen Medien wurde beklatscht, wie viel weiblicher das neue Parlament der Bunderepublik nun sei. In Zahlen: Ein Frauenanteil von 35 Prozent. Von den Schweizern sind wir noch weit entfernt. Was machen die Frauen dort anders, woran liegt das? Das hat Mirjam Moll für Sie analysiert.

Im Juni 2020 halten zwei Frauen bei einer Sitzblockade in Zürich Schilder mit Protestslogans hoch.
Im Juni 2020 halten zwei Frauen bei einer Sitzblockade in Zürich Schilder mit Protestslogans hoch. | Bild: Ennio Leanza/dpa

Heute streiken Frauen in der Schweiz für mehr Lohngleichheit und eine familienfreundlichere Politik. Im Gegensatz zu Deutschland haben Männer in der Schweiz genau einen Tag Vaterschaftsurlaub und Frauen 16 Wochen. In Sachen Lohnungleichheit nehmen sich die BRD und die Eidgenossen nichts: In beiden Ländern liegt das Gehalt von Männern rund 20 Prozent über dem ihrer Arbeitskolleginnen.

Zwei Schweizerinnen streikten für die Ehe für alle

Zwei, die ebenfalls für ihre Überzeugungen auf die Straße gingen, sind Annabelle und Nicole Dähler. Die eingetragenen Lebenspartnerinnen kämpften 2021 für die „Ehe für alle“. Sie führten in Zürich die größte Pride-Parade des Landes an.

Nicole und Annabelle Dähler (von links) im September 2021 in ihrer Wohnung in Amriswil.
Nicole und Annabelle Dähler (von links) im September 2021 in ihrer Wohnung in Amriswil. | Bild: Brumm, Benjamin

In einem Referendum stimmte die Schweiz im September 2021 ab. Und die Mehrheit sagte „Ja“. Ab Juli 2022 können sich queere Paare das Ja-Wort geben. Unser Autor Benjamin Brumm war wenige Tage vor dem Referendum bei Annabelle und Nicole Dähler zu Gast, hat mit ihnen über ihren romantischen Heiratsantrag und die Argumente der Gegner gesprochen.

Sie will in der Kirche das Sagen haben

Zugegeben, gebürtig ist die nächste Frau, die mit ihrem Engagement für Wirbel sorgte und sorgt, keine Schweizerin, sondern Schwäbin. Aber, stellte Autor Uli Fricker beim Telefonat mit der Wahl-Luzernerin und katholischen Theologin Jacqueline Straub fest: „Das ‚ch‘ röhrt mit jeder Minute volltönender“.

Jacqueline Straub im November 2021 in Luzern.
Jacqueline Straub im November 2021 in Luzern. | Bild: privat

Die junge Frau hat einen Traum: Sie will Priesterin werden und zwar katholische. Sie engagiert sich für dieses Ziel seit Jahren und hat 2021 ihr drittes Buch veröffentlicht. In der Schweiz seien die Kirchengemeinden bereits weiter, sagte sie im November 2021 im Gespräch mit Uli Fricker. Dort könnten Frauen bereits Gemeinden leiten und Pfarrern Anweisungen erteilen.