Zeit für einen kleinen Plausch, das Kleingeld zum Bezahlen aus dem Geldbeutel suchen oder in Ruhe die Einkäufe einpacken – Fehlanzeige! An Supermarktkassen herrscht oft Stress. Das Zwischenmenschliche kommt meist zu kurz. Das ist auch der Initiative „Gsünder Basel“ aufgefallen. Aus dem Grund hat sie mit der Schweizer Supermarktkette Migros und einer Apotheke in Basel die ersten zwei Plauderkassen der Schweiz ins Leben gerufen. Sie sollen gegen Einsamkeit helfen.
Viel los ist an dem Donnerstagnachmittag in der Migros-Filiale Gundelitor unweit des Baseler Bahnhofs nicht. Einige Kunden erledigen größere Einkäufe, die meisten Menschen, die an diesem Nachmittag vorbei kommen, besorgen nur wenige Dinge auf dem Weg in ihren Feierabend. Für einen kurzen Plausch mit der Kassiererin würde auch so die Zeit reichen, trotzdem sind an diesem Nachmittag, so wie jeden Donnerstag zwischen 15 und 18 Uhr, drei Kassen geöffnet: Zusätzlich zu der Selbstbedienungskasse und der normalen Kasse ist auch die sogenannte Plauderkasse offen.
Einmaliges Pilotprojekt in der Schweiz
„Das ist schon anders hier an der Kasse“, sagt Migros-Mitarbeiterin Patricia Rodrigues. Die Studentin sitzt zum dritten Mal an der Plauderkasse, hat die Aufgabe von zwei erfahrenen Kolleginnen übernommen, die nun in Rente gegangen sind. „Entspannter.“ Wie lange die Kunden plaudern dürfen, ist nicht vorgegeben: „Man kann sich Zeit nehmen“, so Rodrigues und meint damit die Kunden und das Kassenpersonal gleichermaßen.

Seit einem halben Jahr läuft das Pilotprojekt nun. Zwei Mal die Woche, zusätzlich zu donnerstags auch jeden Dienstag zwischen acht und elf Uhr, hat die Plauderkasse in der Migros-Filiale geöffnet. „Es gibt Kunden, die passen ihren Einkauf extra an die Öffnungszeiten der Kasse an“, erzählt Rodrigues. So hat die Plauderkasse schon richtige Stammkunden bekommen. Meist seien die Kunden schon älter. „Aber auch Jüngere finden die Idee toll“, so Rodrigues. Auch wenn diese das Angebot zum Quatschen weniger oft nutzen würden.
Ehrenamtler unterstützen Kassenpersonal
Geplaudert wird über alles mögliche: das Wetter, die Gesundheit, die aktuellen Lebenshaltungskosten. Mal nur während des Bezahlvorgangs, mal auch länger. Dafür stehen an diesem Nachmittag extra Edith Aebi (65) und Maya Jakob (66) mit an der Kasse, helfen bei Bedarf beim Einpacken und haben Zeit zum Quatschen. Denn ganz ohne Unterstützung könne das Migros-Personal sich nicht die Zeit dafür nehmen.
Beide Frauen sind schon Rentnerinnen, arbeiteten vorher aber in sozialen Berufen. Jakob war Sozialpädagogin und Schulleiterin, Aebi Heilpraktikerin. Daher fällt es ihnen nicht schwer, auf Menschen zuzugehen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. „Die Gespräche sind sehr persönlich“, sagt Jakob.

„Es geht meist um Schicksalsschläge, hin und wieder auch mal lustiges“, sagt Jakob. Aebi erzählt von einer 90-jährigen Dame, die ihr von ihren Problemen mit ihrem Ehemann berichtete. Und von einer anderen Kundin, deren Mutter gestorben ist und wo es mit dem Vater nicht so einfach sei. „Das berührt einen auch“, so Aebi. Dabei wollten die Kundinnen erst gar nicht groß mit ihr reden, erinnert sich Aebi lächelnd. Sondern sich nur für das Angebot bedanken. Doch das sei häufig so: „Viele wollen erst gar nicht sprechen, und dann werden es lange und tiefe Gespräche“ stimmt Jakob zu.
Gefühl für Kunden entscheidend
Für solche Fälle gibt es bei der Migros-Filiale die Möglichkeit, in ein Café einige Meter weiter zu gehen. Um ein wenig ungestörter und privater zu sprechen. „Aber am Anfang ist es meist unklar, ob die Gespräche lang oder kurz werden“, sagt Jakob. Dadurch sei es schwierig den passenden Moment abzupassen. Meist steht man dann doch im Ausgangsbereich in all dem Trubel, erzählen die Frauen.
Niemand werde gezwungen, mit der Kassiererin oder den Ehrenamtlerinnen zu sprechen. „Es ist noch etwas schwierig, ein Gefühl für die Kunden zu bekommen, wer Reden möchte und wer nicht“, gibt Rodriques zu. Doch sie ist zuversichtlich, dass das mit jedem Mal an der Plauderkasse besser werden wird.
Jakob und Aebi sind da erfahrener: „Da hilft Lebenserfahrung“, sind sich die beiden Frauen einig. „Es ist wichtig zuzuhören“, sagt Aebi. Sie nimmt selbst aus den Gesprächen sehr viel mit, sagt sie: „Ich übe, mehr mit Menschen in meinem Alltag ins Gespräch zu kommen. Über das ‚Wie geht‘s?‘ hinaus.“
Eins dürfe man aber nicht machen, sagt Aebi: „Man sollte es nicht mit nach Hause nehmen.“ Dafür geht sie nach ihrer Arbeit auf dem Nachhauseweg eine Runde Spazieren. Um den Kopf frei zu bekommen und die Gespräche zu verarbeiten.
Plauderkasse: Idee aus Holland übernommen
Die Idee für die Plauderkasse kam von der Initiative „Gsünder Basel“. Stefanie Näf-Seiler, Geschäftsführerin, hatte 2017 von dem Projekt in Holland gehört. „Es ist eine beängstigende Zahl an Menschen, die sich einsam fühlen“, sagt sie zu ihren Beweggründen, dass ganze auch in die Schweiz zu holen. Die Initiative ist auf die Migros zugegangen und „zum Glück auf offene Ohren gestoßen“, wie Näf-Seiler berichtet.
Dabei sei die Migros-Filiale am Gundelitor ganz bewusst ausgewählt worden, so Moritz Weisskopf, stellvertretender Unternehmenssprecher. Die Kundschaft der Filiale sei bunt gemischt, jedes soziale Milieu sei vertreten im Einzugsgebiet – Ältere, Jüngere, Schüler, Berufstätige. „Wir wollten ein niederschwelliges Angebot schaffen, um das Tabuthema Einsamkeit in den öffentlichen Diskurs zu rücken und zu sensibilisieren“, sagt Näf-Seiler. Und aus ihrer Sicht sei das gelungen.

Ein halbes Jahr ist die Pilotphase angesetzt gewesen, durch Corona musste der Start immer wieder verschoben werden, wie Näf-Seiler sagt. Doch das Feedback sei durchweg positiv: „Wir sind gerade in der Auswertung der Ergebnisse, aber es gab alleine in den ersten drei Monaten über 1500 Gespräche.“ Mit dem Projekt würden nach ersten Auswertungen alle Menschen erreicht, von den 18-Jährigen bis zu den über 60-Jährigen.
Weniger Einnahmen als an normalen Kassen
Ob es zu mehr Umsatz durch das Projekt gekommen ist, sei noch unklar, da müssen die Ergebnisse noch zu ausgewertet werden, sagt Weisskopf. „Es wird Geld eingenommen, aber weniger als an normalen Kassen, dass lässt sich schon sagen“, gibt Weisskopf zu. Da sich die Kunden beim Bezahlen mehr Zeit lassen sollen, sei das erwartbar gewesen. „Das war aber auch nie die Idee dahinter, dass man mehr einnimmt.“
Finanziert wird das Projekt mit dem sogenannten „Kulturprozent“ der Migros, bei dem ein Prozent des Umsatzes in soziale und kulturelle Projekte fließt. „Das Feedback zeigt uns, dass die Plauderkasse sehr gut angenommen wird“, so Weisskopf.
Aus diesem Grund wird das Projekt auch fortgesetzt. Auch nach 31. März können die Kunden in der Filiale am Gundelitor und in der Apotheke auch weiterhin plaudern. Auch die Ehrenamtler werden weiterhin im Einsatz sein. Nur die Öffnungszeiten ändern sich. So ist die Plauderkasse der Migros jeden Dienstag von von neun bis elf Uhr und jeden Donnerstag von 15 bis 17 Uhr geöffnet. Zudem planen Migros und „Gsünder Basel“ die Ausweitung des Projekts.