Nur einen Katzensprung entfernt vom südlichen Schwarzwald, Oberschwaben und Bodensee liegt der Alpstein. Doch das Alpen-Idyll trübte sich zuletzt ein. Mehrere Wanderer starben. Und Experten forderten mehr Sicherheit. Doch wie komfortabel muss ein Alpen-Ausflug werden? Muss immer alles sicherer werden?
Ja, sagt SÜDKURIER-Politikredakteurin Angelika Wohlfrom: Die Flachlandtiroler sind gewollt
Die Realität sieht so aus: Innerhalb weniger Wochen sterben am Alpstein fünf Menschen. Das kann man nicht ignorieren.
Zubetonierte Wanderwege? Pfade, die mit einem Geländer gesichert sind? Am besten noch mit einem Schild versehen: „Bitte Handlauf benutzen“. Oh Graus! Kein Mensch kann ernsthaft wollen, dass der Alpstein, dieses Naturparadies in Reichweite des Bodensees, in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt wird. Dieses Schreckensszenario steht aber auch gar nicht zur Debatte.
Es geht um ein paar Sicherheitsvorkehrungen mehr, eine eindeutigere Beschilderung, eine eindrückliche Warnung an all die Flachlandtiroler, die unbedarft zum Gasthaus „Aescher“ stolpern, dort eine überteuerte Suppe essen, Selfies machen und die Heidi-Atmosphäre genießen. Weil auch eine schöne Seilbahn hinaufführt, ist ihnen womöglich nicht einmal bewusst, wie steil die Hänge auch hier abfallen, obwohl es doch gar nicht sooo hoch hinaufgeht.
Was genau zu den vielen tödlichen Unfällen am Alpstein führte, weiß man nicht. Nicht auszuschließen, dass sie persönlichen Fehlern geschuldet waren, auch Selbstüberschätzung mag im Spiel gewesen sein. Doch die Schuldfrage ist letzten Endes egal. Den Verantwortlichen muss es darum gehen, weitere Todesfälle zu vermeiden. Die Gefahr ist ganz offensichtlich gegeben. Eben weil sich in die gut zu erreichende Idylle nicht nur routinierte Bergwanderer aufmachen.
Säntis, Äscher, Wildkirchli, Seealpsee: Das sind touristische Hotspots, die Menschen anziehen, die mit der Bergwelt wenig vertraut sind. Das wurde gefördert – jetzt muss man damit auch umgehen.
Nein, sagt Politikredakteurin Elisa-Madeleine Glöckner: Der Reiz des Berges flaut ab
Die Sicherheit auszubauen, steht dem Ursprungsgedanken des Bergwanderns entgegen – dem Eroberungsversuch.
Wanderer, zumindest die wackeren, trauen dieser Tage Augen und Ohren nicht. Der Alpstein sei unsicher, finden Experten. Sie sehen Handlungsbedarf, wollen Änderungen, Zäune, Seile, bessere Wege, eine Absolution für Beton. Bei allem Respekt für Sicherheit – das ist absurd.
Absurd deshalb, weil ja eine Generation in die heutige Zeit hineinwächst, die auf ihre Umwelt achtet und auf Nachhaltigkeit setzt. Warum sollte sich genau das, was sich diese Generation für ein ebenerdiges Leben als Standard gesetzt hat, auf dem Berg plötzlich ändern? Schwindet das Bewusstsein mit den Höhenmetern? Der Reiz jedenfalls tut es, wenn das Bergwandern zusehends zum gemächlichen Sonntagsspaziergang verkommt.
Es ist ja so: Das Besteigen eines Gipfels hat immer etwas von einem Eroberungsversuch. Da steckt Konkurrenz drin, das fühlt sich nach Strapazen an und nach eimerweise Schweiß. Die Geschichte des Alpinismus, eine kleine, aber wichtige Parallelgeschichte des breiten bürgerlichen Heldentums.
Dass nun Menschen, die statt dieses Eroberungsgedankens mehr Komfort in sich tragen, ihre gesamte Bagage auf den Berg schleppen wollen – aus Bequemlichkeit erst mit der Seilbahn, dann auf zementierten Treppen mit netten Edelstahl-Geländern, immer weiter Richtung Ausblick, ihre Kinder dabei aber wie Hunde angeleint – ist vor allem eines: Ein Rückfall der Maßstäbe, die das Bergsteigen seit jeher an sich selber stellt.