
In Halle 2 von Stadler Rail in Bussnang herrscht emsiges Treiben.
Der Grund ist klar: Die 286 von den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) bestellten einstöckigen Triebzüge Flirt Evo bauen sich nicht von allein. Von einer Tribüne blicken die Teamleiter auf das fleißige Geschehen in Halle 2, wo 65 Mitarbeiter dafür sorgen, dass neue Züge auf der neuen Hochrhein-Bodensee-Strecke fahren können.

Die ersten 24 Züge sollen ab Januar im Wallis in den Einsatz gehen.107 weitere Züge werden voraussichtlich ab dem zweiten Quartal 2026 in der Ostschweiz im Einsatz sein. Und zehn der bestellten Flirt Evos werden ab 2028 zwischen Basel, Waldshut und Konstanz verkehren.
In rund einem dreiviertel Jahr sollen dafür die Arbeiten für die Elektrifizierung der Bahnstrecke nach Basel starten. Dazu wird nach dem 26. April 2026 die Strecke zwischen Rheinfelden und Erzingen für teils mehr als ein Jahr komplett gesperrt sein. Ein Konzept für einen Schienenersatzverkehr hat der Landkreis Waldshut bereits aufgegleist.

Die neuen Flirt Evos müssen außerdem noch vom Schweizer Bundesamt für Verkehr zugelassen werden. Das soll jetzt im September passieren, sagt Andres Ott, technischer Projektleiter der Flirt Evos.
Mit den deutschen Zulassungsbehörden sei man noch im Gespräch, damit die neuen Modelle bereits im kommenden Jahr die deutsche Grenze passieren und in den Konstanzer Bahnhof einfahren können. „Wir sind da dran und zuversichtlich“, so Ott.
Was Anfang des Jahres noch von Hazel Brugger beim Eurovision Song Contest besungen wurde, scheint hier im Werk in Bussnang Realität zu sein. Die Flirt Evos seien fast zu „100 Prozent made in Switzerland“, sagen Andres Ott und Remy Mathis, der Abteilungsleiter Montage Vollbahnen.

Ein Großteil der Wertschöpfungskette der Züge liege in der Schweiz, rund 120 Zulieferer stammen aus der Region, sagt Ott. Amerikanische Strafzölle tangieren das Unternehmen trotz Standort in den USA in diesen Belangen nicht. „Die können machen, was sie wollen“, sagt Ott.

In Halle 2 herrscht auch großer Stolz. Für Stadler Rail sei das bisher der größte Auftrag, sagt Ott. Zusätzlich zu den 286 Wägen enthalte dieser eine optionale Bestellmenge von 224 Triebzügen.
Laut einer Medienmitteilung der SBB habe sich Stadler „durch den gut nachvollziehbaren Projektplan“ positiv hervorgehoben. Stadler habe das wirtschaftlichste Angebot abgegeben.
Vor rund 20 Jahren Remy Mathis bei Stadler angefangen zu arbeiten. Damals seien die letzten „Thurbo“-Züge, die in der Ostschweiz verkehren, in die Produktion gegangen, sagt Mathis.
Jetzt sei Mathis als Abteilungsleiter selbst für den Bau neuer Züge verantwortlich. „Ich wohne hier in der Region. Später darf ich selbst mit den Bahnen fahren. Das erfüllt mich schon mit Stolz“, sagt Mathis. Auch seine Mitarbeiter kommen aus der Region. „Das schafft Zusammenhalt. Das zeigt, wofür man arbeitet“, sagt Ott.
In Halle 2 habe Stadler für den Großauftrag der SBB rund eine Million Franken für die Infrastruktur im Werk investieren können, sagt Mathis.
Produziert werde in zwei Takten, eine Mittwagenlinie und eine Endwagenlinie. Alle fünf Tage werde der Takt verschoben, was heißt, dass alle fünf Tage je ein Mittelwagen und ein Endwagen fertig montiert werden würden. Ein Fahrzeug mit vier Wagen brauche aktuell zehn Tage, sagt Ott.

„Flirt“ steht für „flinken, leichten, innovativen und regionalen Zug“, hat Stadler-Chef Peter Spuhler vergangenen November erklärt, als drei fertige Exemplare des Flirt Evos vorgestellt wurden.
Ein Flirt Evo ist in der vierteiligen Version dabei 73,5 Meter lang und habe Platz für 146 Sitzplätze. Die Ausstattung soll die Fahrgäste auf dem Hochrhein-Bodensee-Express überzeugen: Mehr Platz für Fahrräder, Kinderwagen und Gepäck soll es geben, die Wagen sollen besseren Mobilfunkempfang bieten sowie deutsche und schweizerische Steckdosen.
In einem Mittelwagen stecken fünf Tonnen Aluminium und zehn Tonnen Ausbaumaterial. Ein Endwagen besteht aus zehn Tonnen Aluminium. Ein ganzes Fahrzeug benötige 120 Tonnen Material, 40 Tonnen steckt im Drehgestell für das Fahrwerk. Außerdem seien im ganzen Zug rund 35 Kilometer Kabel verbaut.

Man habe bei der Produktion auch auf Innovation geachtet, sagt Ott. Klimageräte seien durch Propan klimaneutral.
Bei den barrierefreien WCs habe es keinen Tank mehr, der alle zwei Tage geleert werden muss, was für Regionalzüge unpraktisch sei. Stattdessen sammele man das sogenannte Schwarzwasser, also das Abwasser, in einem Evaporator. Das flüssige Material werde so verdampft, der übrig gebliebene Feststoff könne abgesaugt werden. Das sei nur etwa alle zwei Monate nötig.
Auch eine moderne Brandbekämpfungsanlage sei Teil der Züge.

Nachdem der Flirt Evo zusammengeschweißt, lackiert, isoliert und kilometerlange Kabel verlegt wurden, folgt irgendwann als letzter Schritt der Einbau der Sitze. Diese werden aus Spanien geliefert, sagt Ott.
Wenn die Sitze dann eingebaut wurden, sei das der Endzustand der Waggons, dann werden sie auf die Gleise gesetzt. Vier Wagen ergeben einen Zug.
Ein charmantes Detail nennt Pressesprecher Jürgen Grob noch: Wenn der Wagenkasten mit dem Fuhrwerk, beziehungsweise dem Drehgestell zusammengebracht werde, nenne man das Hochzeit. „Und wir feiern jede Woche eine“, stimmen Ott und Mathis mit ein.
Ein „sportlicher“ Terminplan sei es für Stadler. Bis 2034 sei das Werk in Bussnang mit dem Auftrag ausgelastet und liefere rund 300 Züge aus.
Aktuell arbeite man parallel noch an einem anderen Auftrag, ab 2026 wolle man sich vollkommen auf den Flirt Evo Großauftrag fokussieren und „all in“ gehen, sagt Ott. Das Ziel: 47 Züge in einem Jahr produzieren. Das sei etwa ein Zug pro Woche, mit Abzug von Urlaubszeiten.
Die Mitarbeiter scheinen motiviert. Cristian Raguso arbeitet in der Montagehalle 2 an den Flirt Evos, hauptsächlich an den Kabelkanälen. „Die Arbeit macht Spaß“, sagt er. „Der Auftrag macht mich stolz.“

Drei Züge seien für den Hochrhein-Bodensee-Express bereits fertig. Für die restlichen sieben bleibt also noch reichlich Zeit.