„Wir haben in der Schweiz eine der besten Ladesäuleninfrastrukturen in Europa“, sagt Dr. Andreas Herrmann, Leiter des Instituts für Mobilität an der Universität St. Gallen. „Wir sind Deutschland objektiv überlegen, dort hängt die Ladeinfrastruktur noch hinterher“, ergänzt er.

Ein Vergleich der beiden Länder zeigt: Hat Deutschland circa 13 Ladesäulen pro 10.000 Einwohner, glänzt die Schweiz mit 19 Ladesäulen. In der Grenzregion allerdings sieht das anders aus: Auf 10.000 Einwohner gerechnet hat Kreuzlingen nur vier Ladesäulen, die Stadt Konstanz hat doppelt so viele.

Und doch: „Es gibt verschiedene Vergleiche, die den Ausbau in Europa beurteilen und die zeigen, dass die Schweiz mit Norwegen und weiteren nordischen Ländern in der Spitzengruppe ist“, sagt auch Christoph Schreyer, Leiter der Sektion Energieffizienter Verkehr des Bundesamtes für Energie in Bern.

Christoph Schreyer leitet seit 2019 die Sektion Energieeffizienter Verkehr des Bundesamtes für Energie in Bern und kennt sich mit ...
Christoph Schreyer leitet seit 2019 die Sektion Energieeffizienter Verkehr des Bundesamtes für Energie in Bern und kennt sich mit E-Mobilität aus. | Bild: Bundesamt für Energie (BFE)

In der Schweiz gibt es kein „Recht auf Laden“

Er sieht allerdings auch einen Vorteil, den Deutschland gegenüber der Schweiz haben könnte: Während in Deutschland laut dem Statistischen Amt der Europäischen Union weniger als die Hälfte der Menschen mietet, sind es in der Schweiz knapp 60 Prozent.

„Mieter können nicht einfach entscheiden, dass sie in ihrer Garage jetzt eine Ladestation haben wollen“, so Schreyer. Das habe zur Folge, dass viele vermietete Mehrfamilienhäuser nicht mit Ladeinfrastruktur ausgestattet seien und das Laden von Zuhause aus so erschwert werde. Zusätzlich gebe es in der Schweiz kein „Recht auf Laden“, also eine gesetzliche Grundlage, die Mietern den Anspruch auf eine Ladestation zusichern soll.

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„In der Schweiz kann der Vermieter den Bau einer Ladestation einfach verweigern“, ergänzt Schreyer. Deutschland hingegen habe Mietern das Recht zugesprochen, einen Ladepunkt zu installieren. Der Schweizer Bundesrat hatte ein solches Gesetz abgelehnt. Experten befürchten nun, dass immer mehr Menschen in der Schweiz sich deshalb gegen den Kauf eines Elektroautos entscheiden könnten.

„Wir merken in der Schweiz, noch stärker als in Deutschland und anderen Ländern, dass immer mehr Verbrennerfahrzeuge durch E-Fahrzeuge ersetzt werden“, so Dr. Andreas Herrmann. Die Zahlen der Neuzulassungen für Steckerfahrzeuge, wie die elektrischen Autos auch genannt werden, bestätigen diese Aussage.

„Wir sind Deutschland objektiv überlegen“, sagt Dr. Andreas Herrmann, Leiter des Instituts für Mobilität der Universität St. Gallen.
„Wir sind Deutschland objektiv überlegen“, sagt Dr. Andreas Herrmann, Leiter des Instituts für Mobilität der Universität St. Gallen. | Bild: Andreas Herrmann

Schweiz hatte nie eine Kauf- oder Umweltprämie

Nach Angaben der European Automobile Manufacturers Association lag der Anteil von Elektroautos in der Schweiz für das erste Quartal dieses Jahres bei knapp 28 Prozent, ein leichter Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. In Deutschland hingegen lag der Anteil bei rund 16 Prozent. Damit sank der Anteil der Elektroautos minimal.

„Die Schweiz lag eigentlich immer vor Deutschland, obwohl es in der Schweiz nie eine Kaufprämie – oder Umweltprämie gab“, sagt Schreyer. Einzelne Kantone und Kommunen könnten aber Förderprogramme anbieten. In Deutschland gab die Bundesregierung im Dezember 2023 das vorzeitige Ende der Förderung für E-Autos bekannt. Das führte bereits im Januar 2024 zu einem Rückgang bei den Neuzulassungen.

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Wie ist dieser Unterschied zu erklären? Christoph Schreyer sieht einen der Gründe in der höheren Kaufkraft in der Schweiz. „Die Preisdifferenzen zwischen Elektroautos und denen mit Verbrennungsmotor sind mit einer höheren Kaufkraft weniger relevant“, so Schreyer. Das sei auch der Grund, weshalb es in Kantonen mit hoher Kaufkraft, beispielsweise dem Kanton Zug, mehr Neuzulassungen gebe als in anderen.

Einen weiteren Vorteil sieht der Experte in der Kleinräumigkeit des Landes: „die wichtigsten Zentren sind alle in etwas über einer Stunde zu erreichen“, erklärt er. Daher spiele für viele Schweizer die begrenzte Reichweite eines Elektroautos eher eine untergeordnete Rolle.

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Studien zeigen: Deutsche hadern mit Veränderung

Dr. Andreas Herrmann hingegen sagt: auch in Deutschland dürfe die Reichweite keine Ausrede sein, weiterhin Verbrennerauto zu fahren. Der Durchschnittsdeutsche fahre jeden Tag circa 30 Kilometer zur Arbeit und zurück, so der Experte. Für alltägliche Strecken sei die Reichweite eines Elektroautos also völlig ausreichend. Er sieht andere Gründe für das Zögern der Deutschen, auf die Elektromobilität umzusteigen: Zum einen sei Deutschland als Land der klassischen alten Mobilindustrie nicht bereit, sich für den Mobilitätswandel zu öffnen.

„Was uns in Studien auch auffällt: Die Deutschen sind extrem veränderungsresistent“, ergänzt er. Dieses Problem habe man in der Schweiz nicht. Vielleicht auch, weil die Schweiz nie von der Automobilindustrie abhängig war. „E-Mobilität ist für Deutschland eine gewaltige Herausforderung“, so Herrmann.