Es gab eine Zeit, da kaufte man seine Musik im Plattenladen. Manch Älterer denkt mit Wehmut an das genüssliche Stöbern, als auf der Suche nach der passenden Langspielplatte auch das eine oder andere Plattencover zum Kauf verleitete. Das Cover von Abbey Road, auf dem die vier Pilzköpfe 1969 im Gänsemarsch über den Zebrastreifen laufen, ist ebenso bekannt wie die Musik selbst. Weniger bekannt ist, wer die Aufnahme des Albums geschaffen hat. Es war Iain Macmillan. Der schottische Fotograf kooperierte wie viele Kollegen mit der Musikszene. Wie dieses Zusammenspiel aussieht, untersucht das Fotomuseum Winterthur. Die Ausstellung „Total Records. Vinyl & Fotografie“ blättert anhand von 500 Plattencovern erstmals auf, dass das facettenreiche Medium Fotografie Spuren in der Musikgeschichte hinterlassen hat.

Bei einem ersten Gang durch die Räume verfängt sich der Blick an den Ikonen. Andy Warhols Banane für das Debutalbum der experimentellen Rockband Velvet Underground oder seine knallengen Röhrenjeans auf dem Sticky Fingers-Cover der Rolling Stones visualisieren das Lebensgefühls der 70er-Jahre. Jean-Paul Goude beflügelte mit seinen Bildern von Grace Jones, sei es mit kaskadenartig geformtem Mund oder artistischer Pose die Mythen des 80-er Jahre Idols und die Alben von Pink Floyd oder Yes transportieren mit surrealistisch oder psychodelisch anmutenden Covern den kulturellen Wandel. Es sind Bilder, die sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. An ihrer Entstehung haben namhafte Fotografen mitgewirkt: Robert Mapplethorpe für Patty Smiths Horses, Irving Penn für Miles Davis‘ Tutu und Jean-Baptiste Mondino für Princes Lovesexy.

Wichtig für die Verschränkung von Fotografie und Musik waren anfänglich Jazz-Labels wie „Blue Note“, das der Fotograf Francis Wolff mitbegründet hat. Neben dem Starsaxofonisten John Coltrane nahm er unzählige Jazzgrößen ins Visier. So mannigfach wie die fotografischen Bildsprachen, die von der Collage über das klassische Portrait bis zum Zitat erfolgreicher Cover reichen, so vielseitig ist das Zusammenwirken der beiden Genres. Für David Bowie war das Medium ein ideales Instrument seiner wechselnden Selbstdarstellungen, während Tom Waits sein Album Rain Dogs mit einer Fotografie aus Anders Petersons Zyklus über das legendäre Hamburger Café Lehmitz ausstattete.

Doch nicht alles, was sich die Kreativen ausdachten, gelangte problemlos in Umlauf. Das Cover Unfinished Music von Yoko Ono und John Lennon wurde in den USA zensiert. Deshalb gibt es zwei Varianten, auf dem einen sind ihre nackten Körper, auf dem anderen nur ihre Köpfe abgebildet.

Die Schau liest sich nicht nur wie ein „Who's Who“ der Fotografenszene, sondern hat auch eine geschichtliche Dimension. So fehlt auch das älteste Album nicht, das die Leuchttafel eines Broadway-Theaters zeigt. Die Preziose ist 75 Jahre alt und basiert auf der Idee eines weitsichtigen Grafikers, die damals üblichen grauen Tonträgerhüllen mit Fotografien attraktiver zu gestalten; damit revolutionierte er den Musikmarkt.

Winterthur ist nur eine Station der zuerst in Arles gezeigten Ausstellung. Das Fotomuseum erweiterte sie um Einblicke in die Schweizer Beatmusik der 1960er-Jahre. Auch in unserer Region gab es bereits ein Zusammenspiel von Fotografie und Musik. 2012 präsentierte die Galerie Lände Kressbronn ein Konvolut an Alben von Siegfried Lauterwasser mit der Deutschen Grammophon.

Die Geschichte der Plattencover ist noch nicht beendet. Im letzten Ausstellungsraum spinnen Künstler und Fans die Geschichten bekannter Motive weiter, indem sie verstorbene Bandmitglieder aus den Bildern streichen oder Originalaufnahmeplätze mit geografischen Koordinaten und anderen Bildern aus der Umgebung anreichern. Auch die Langspielplatte selbst erlebt eine Renaissance. Die Wiederbelebung ist vermutlich der Unzulänglichkeit der Compact Disk geschuldet, die vielleicht klanglich, aber keinesfalls in der Bildwirkung mit der großen Scheibe und dem rund 30 x 30 cm großen Cover mithalten kann. Dass dies zu einer Renaissance der Plattenläden führt, ist unwahrscheinlich, wäre aber schön.

„Total Records. Vinyl & Fotografie“. Fotozentrum Winterthur, Grüzenstr. 44/45, Winterthur, Di bi So 11–18 Uhr, Mi 11–20 Uhr, Mo geschlossen, Karfreitag geschlossen. Bis 16. Mai. Weitere Infos:

www.fotomuseum.ch