Gerade einmal ein gutes halbes Jahr ist Claudia Roth Staatsministerin für Kultur, da gibt es schon die ersten Rücktrittsforderungen. Weil sie sich nicht entschieden genug gegen Diskriminierung eingesetzt haben soll. Claudia Roth, Feindbild der Rechten, Ikone der grünen Linken: ausgerechnet sie!

Anlass der erhobenen Vorwürfe ist die documenta. Auf der Kasseler Kunstschau waren nämlich für etwas länger als einen Tag Motive zu sehen, deren antisemitische Intention man beim besten Willen nicht übersehen konnte.

Nun hat Claudia Roth diese Motive nicht persönlich auf die Leinwand gemalt: Das war ein indonesisches Künstlerkollektiv mit dem Namen „Taring Padi“. Sie hat dieses Bild auch nicht aufgehängt: Das tat ein weiteres indonesisches Künstlerkollektiv namens „Ruangrupa“. Sie hat, was da hängt, nicht einmal verteidigt: Das erledigte der Vorsitzende des documenta-Forums, Jörg Sperling. Zum Irrsinn von Kassel gehört, dass man gar nicht weiß, wohin mit der Kritik, weil die organisierte Verantwortungslosigkeit längst zum Prinzip erklärt worden ist.

Was also muss Roth sich vorwerfen lassen? Vielleicht, dass sie die documenta im Vorfeld allzu forsch in Schutz genommen hat. Dass sie die vielen Warnungen vor einem Künstlerkollektiv, das israelfeindlichen Organisationen wie dem BDS mit Sympathie begegnet, zu leichtfertig in den Wind schlug. Und ja, dass sie sich vor drei Jahren sogar von einer Bundestagsresolution gegen den BDS distanziert hat.

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Allerdings haben diese Vorwürfe einen Haken: Vieles stimmt nur so halb. Wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ jetzt berichtet, hat Roth nämlich durchaus versucht, auf die documenta Einfluss zu nehmen. Sogar eine Liste prominenter Experten aus der Antisemitismusforschung soll der documenta-Leitung vorgelegen haben: zur Gründung eines Beirats.

Was dann aber geschah, lässt sich beim Till Eulenspiegel des Orients nachlesen, Hodscha Nasreddin. Dessen wahrscheinlich aus dem 13. Jahrhundert stammende Geschichte handelt vom Ausflug eines Vaters, seines Sohnes und deren Esel.

Der erste Passant lacht die beiden aus, weil sie den Esel am Strick führen, statt auf ihm zu reiten. Als sich der Sohn also auf den Rücken des Tiers hievt, erregt sich der nächste: Wie kann es sich der Bengel bequem machen, während der alte Vater laufen muss? Als die beiden tauschen, ruft eine mitleidige Mutter: Lässt der Mann doch tatsächlich sein kleines Kind zu Fuß gehen! Kaum sitzen sie zu zweit auf, kommt auch schon der empörte Tierschützer dahergerannt. Und als sie schließlich mit dem Esel auf dem Buckel vor ihrer Haustür stehen, fällt die Ehefrau und Mutter vor Schreck in Ohnmacht.

Sie wollte es allen recht machen

Wie der Vater und sein Sohn wollte auch Claudia Roth es allen recht machen. Doch der erste Passant warnte vor Antisemitismus, der zweite vor Bevormundung postkolonialer Künstler, der dritte vor unzulässigem Eingriff der Politik in die künstlerische Freiheit. Alles zusammen ist nicht zu haben, irgendeine Befindlichkeit muss dran glauben.

Rücktritt? Ach, was: Am Versuch, mit Esel unfallfrei durch die Stadt zu spazieren, sind schon viele gescheitert. Aber ein bisschen mehr Realitätssinn, mehr Mut zu unbequemen Entscheidungen darf die Ministerin aus diesem Vorgang gerne mitnehmen.