Wer sich für moderne Kunst interessiert, dürfte dem Namen Valie Export begegnet sein. Möglicherweise manifestiert sich auch gleich eines ihrer ikonischen Werke vor dem inneren Auge. Beispielsweise das Tapp- und Tastkino, als Export sich eine Pappbox mit Vorhang vor ihren entblößten Busen schnallt, in die Passanten für zwölf Sekunden ihre Hände stecken und die Brüste der Künstlerin befühlen dürfen. Und das in aller Öffentlichkeit, die Ende der 60er-Jahre noch reichlich spießig war.

Oder die provozierende Aktion „Aus der Mappe der Hundigkeit“, in der sie ihren Lebenspartner, den jüngst verstorbenen Künstler Peter Weibel angeleint auf allen Vieren durch die Wiener City führt.

„Aus der Mappe der Hundigkeit“, 1968: Export führt ihren Lebenspartner Peter Weibel angeleint durch Wien.
„Aus der Mappe der Hundigkeit“, 1968: Export führt ihren Lebenspartner Peter Weibel angeleint durch Wien. | Bild: VALIE EXPORT, 2022, ProLitteris, Zurich, Foto: Joseph Tandl

Oder die Performance „Aktionshose: Genitalpanik“, einer im Schritt ausgeschnittenen Jeans, mit der sie durch die Reihen eines Kinos geht, überliefert in der Fotoserie, die Export in dieser Hose breitbeinig sitzend, mit Lederjacke und Maschinengewehr zeigt. Noch heute irritiert der freie Blick auf die behaarte Scham.

Der Blick auf die freie Stelle irritiert noch heute: Valie Export mit ihrer Aktionshose „Genitalpanik“ (1969).
Der Blick auf die freie Stelle irritiert noch heute: Valie Export mit ihrer Aktionshose „Genitalpanik“ (1969). | Bild: VALIE EXPORT, 2022, ProLitteris, Zurich, Foto: Joseph Tandl

Man ist schnell geneigt, Export als „feministische Künstlerin“ zu verorten. Dass ihre Kunst weit mehr ist, verdeutlicht die Ausstellung im Fotomuseum Winterthur. Dort wird erstmals Exports vielseitiger Gebrauch der Fotografie in den Fokus gerückt unter Einbindung verschiedener Werke aus ihrer Film- und Videokunst sowie Body-Art. Sechs Jahre lang hat Kurator Walter Moser gemeinsam mit der Künstlerin an der Ausstellung gearbeitet, deren weitere Stationen Wiens Albertina und Berlins C/O sein werden. Der Besuch lohnt auch, weil der erweiterte Blick die geläufigeren Werke in einem etwas anderen Licht erscheinen lässt.

Die Werkgruppen der Künstlerin sind wohlgeordnet. Bei der Auseinandersetzung mit Fotografie untersucht sie die Begrenzungen des Mediums. Anders als die Kamera, die nur eine Perspektive kennt, blickt der Mensch um sich herum. Diese Wahrnehmung stellt sie mit überlappenden Fotografien nach; sehr eindrücklich sind Aufnahmen eines Zuges, der durch die Bewegung des Kameraauges in Fahrt kommt. Die reliefartige Montage auf Glasscheiben mit Abstand zur Wand und den Schattenwürfen verstärkt den Eindruck.

Füße im Porträt

Unter dem Stichwort „ontologischer Sprung“ laufen Arbeiten, die Bild und Abbild analysieren. Export fotografiert ihre nackten Füße im Sand. Auf den lebensgroßen Schwarzweißabzug stellt sie ihre Füße neben die bereits fotografierten und dokumentiert die Szenerie in einem Farbbild. Dieses legt sie auf einen orientalischen Teppich und stellt ihre Füße dorthin, wo sie vormals im Sand standen. Es ist vergnüglich, diesen konzeptionellen Prozess mit seinen vielen Ebenen auseinanderzudividieren.

Valie Export: „Asemie – die Unfähigkeit sich durch Mienenspiel ausdrücken zu können“, 1973.
Valie Export: „Asemie – die Unfähigkeit sich durch Mienenspiel ausdrücken zu können“, 1973. | Bild: VALIE EXPORT, 2022, ProLitteris, Zurich, Foto: Alfred Damm

Ob sie Gesten von Frauen aus klassischen Gemälden nachstellen lässt oder mit ihrem Körper die Stadtarchitektur vermisst, in dem sie sich auf Treppen legt oder an Häuserecken schmiegt – immer geht es darum, Machtstrukturen und Medienwirkungen zu untersuchen. Ihren Werken liegen theoretische Konzepte zugrunde, wie zur damaligen Zeit nicht unüblich. Im lesenswerten Katalog werden einige ihrer Überlegungen thematisiert. Aber auch ohne ihre Kenntnis kann der Besucher angeregt durch die Ausstellung gehen, die Export als eine Pionierin der Medienkunst offenbart.

Wenn man mit diesem Hintergrund erneut auf die bekannten Arbeiten im Eingangssaal schaut, wird deren medientheoretische Dimension sichtbar. Das Tapp- und Tastkino von 1968 entspringt der Expanded-Cinema-Bewegung, will mit dem Publikum interagieren, Vorführen und Zuschauen verkehren. Die Passanten wurden zu Tastern, ihr Begehren öffentlich dargeboten; im eingeforderten Blickaustausch mit der Künstlerin bleibt für den voyeuristischen Blick des klassischen Kinos kein Platz.

„Sexualität erlaubt nur der Staat“

Exports Ausführung dazu, im Duktus vergangener Tage, ist auf einer Schreibmaschine geschrieben, deren Schriftbild heute museal anmutet: „…tapp und tastfilm als erster echter frauenfilm. die attribute der frau, die in unserer kultur zu einem objekt für die sexualität des mannes gemacht werden, wurden hier direkt abgeschafft und auf die straße gebracht, in einer form, die die gesellschaftlichen regeln durchbricht. taktiles und visuelles erlebnis in der sexualität erlaubt der staat nur in der familie …“.

Sexuelle Befreiung als Kampf gegen den Staat, ein Konzept, das in Zeiten von parlamentarisch bestellten Queer-Beauftragten im Range des Staatssekretärs verwundert, und zeigt, wie sich die Dinge verändert haben. Exports breitgefächertes und bedeutendes Oeuvre hat die damalige konservative Gesellschaft aufgerüttelt. Sexuelle Aufklärung und Feminismus wurden von ihr mitgeprägt. Ihre unkonventionellen Ideen inspirieren und bereichern die Kunstszene bis heute.

In der Galerie des Museums ist zeitgleich Adji Dieyes Arbeit zu sehen. Im Rahmen des neuen Formats „Photographic Encounters“ forschte die junge Künstlerin ein Jahr im Senegal zum Postkolonialismus. Diese Form der Kooperation soll fortan alle zwei Jahre stattfinden, das nächste Mal 2025, nach dem Umbau des Museums, das nach der Export-Schau seine Pforten schließen wird.

Bis 29. Mai im Fotomuseum Winterthur, Grüzenstr. 44/45, Winterthur. Öffnungszeiten: Di-So 11-18 Uhr, Mi 11-20 Uhr. Weitere Informationen: www.fotomuseum.ch