Woher nur kommt solcher Hass? Diese Frage drängt sich derzeit häufig und schmerzlich in unser Bewusstsein – beim Blick nach Nahost, in die Ukraine, auf Terror und Krieg, und auch auf die immer raueren und unmenschlicheren Diskursbeiträge vom politisch rechten Rand in Deutschland. Wie sind Menschen fähig zu dieser unnachgiebigen Abwertung und Zerstörung von Leben? Wie kann es sein, dass Hassreden und sogar Morde bejubelt werden?

Viele Analysen blicken auf der Suche nach Antworten derzeit nach hinten (in die Geschichte der Konflikte), oder von oben drauf (auf die gesellschaftlichen Kontexte, auf Kulturen und Kollektive). Hier soll ein anderer Zugang versucht werden: Der Blick nach innen. In den einzelnen Menschen, denn es sind ja letztendlich immer Menschen, die hasserfüllt handeln. Ein Blick also auf die Neurobiologie des Hasses.

Hass entsteht aus Angst

Gerald Hüther ist einer, der sich mit damit auskennt. Er hat Bücher geschrieben wie „Biologie der Angst“, darin erforscht er den Ursprung unserer Emotionen, die Wege, die sie sich bahnen, und die Auswirkungen auf unser Leben und unser Umfeld. Seine zentrale These lautet: Hass entsteht immer aus Angst. Und Angst entsteht aus Stress – aus einem Gefühl von Bedrohung.

Die Muster, die dabei anspringen, sind archaisch, so alt wie unsere tierischen Vorfahren. Und deshalb sind sie tief in uns abgespeichert, rasend schnell verfügbar und mit unserem langsamen, evolutionär viel neueren Intellekt nicht zu steuern. Stress und Angst aktivieren also Notfallprogramme in uns, die einst unser Überleben gesichert haben: tot stellen, wegrennen, kämpfen.

Neurobiologe Gerald Hüther weiß: Hass entsteht aus Angst – und Angst entsteht aus Stress, einem Gefühl von Bedrohung.
Neurobiologe Gerald Hüther weiß: Hass entsteht aus Angst – und Angst entsteht aus Stress, einem Gefühl von Bedrohung. | Bild: www.gerald-huether.de

Das Perfide daran ist: Waren solche Programme irgendwann in unserem Leben mal erfolgreich, vor allem in unserer Kindheit und Jugend (da formt sich die Struktur unseres Gehirns), dann merkt sich unser Hirn auch diesen Erfolg – und greift in ähnlichen Momenten auf dieselbe Strategie zurück, auf Hass und Gewalt zum Beispiel. Das bringt dann wieder Ruhe in unser System – und dafür belohnt uns unser Hirn. Und zwar egal wie moralisch gut oder richtig die Strategie gewesen sein mag.

Für Hass, Wut und Gewalt bedeutet das: Sie sind der Versuch, Angst vor einer Bedrohung zu mildern. Und dann ist plötzlich alles ganz logisch: Warum in der Propaganda von Konflikten Bedrohungen künstlich aufgebaut werden (um Angst zu schüren, vor den Ausländern, dem Feind, der uns vernichten will, um so Hass zu entfesseln). Aber auch, warum Menschen und ganze Gruppen und Gesellschaften entmenschlicht und verdinglicht werden – als Tiere, Monster, gewissenlose Killer, Zerstörer, als Achse des Bösen und Irre.

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Aus Menschen machen wir Objekte, und mit diesem Trick lässt sich der ebenfalls starke und überlebenswichtige soziale Teil unseres Hirns übergehen, der jedes Gegenüber eher als Unterstützung sehen will. Aber wenn (angeblich oder real) unser Leben bedroht wird, dann werden wir wieder zu Sauriern. Dann sind im Krieg Familienväter plötzlich in der Lage, fremde Kinder zu töten.

Aus dieser Spirale wieder herauszukommen, ist unglaublich schwer. Je öfter wir hassen, desto leichter fällt es unserem Hirn. Also brauchen wir Gegenerfahrungen. Unser Hirn muss die Erfolge dieses Alternativen Verhaltens bemerken, lernen, ihnen zu vertrauen, und mit dem neuen Muster ganz langsam das alte überschreiben. Das klingt entmutigend schwierig. Doch wir können etwas tun, jeden Tag: uns immer klar machen, dass es um Menschen geht, wenn wir Angst und Hass kommen spüren. Um Menschen wie uns.