90 Kilogramm. So schwer ist Robert Jaspers Gepäck, als er am 12. Juli aufbricht, um sein bisher größtes Abenteuer zu erleben. Und Abenteuer hat der Profi-Extrembergsteiger aus Schopfheim schon viele erlebt: Er bestieg die steilsten Gipfel der Welt im Himalaya, erklomm über 20 -mal die Eiger-Nordwand auf verschiedenen Routen, harrte unzählige Male tagelang in Gletscherspalten und im Hängezelt an 1000 Meter hohen Felswänden aus, um nach Wind und Wetterchaos weiterzuklettern – stets dem Himmel entgegen.
30 Tage alleine durch die Arktis wandern, paddeln und klettern
„Das Adrenalin pumpt, ich bin hoch konzentriert, habe in jeder Sekunde die Lebensgefahr im Hinterkopf“, sagt Jasper, „ein falscher Schritt, ein brüchiger Felsen oder geschmolzenes Eis und ich könnte Hunderte Meter in die Tiefe stürzen.“ Mal klettert er mit Partner, mal mit erfahrenen Fotografen, die seine Besteigungen dokumentieren, mal ist er ganz alleine. „Ich liebe es, alleine mit den Naturgewalten zu sein, ganz bei mir selbst und in meinem Tempo“, sagt er, „aber vor meiner diesjährigen Expedition hatte ich dann doch riesigen Respekt.“ Das Expeditionsziel lautete: 30 Tage alleine durch die Arktis wandern, paddeln und klettern.
Lange hat er sich auf diese Reise vorbereitet, das Überleben in der Wildnis in der Gruppe erprobt. Oft hatte er Sherpas mit Gepäck dabei oder Proviantdepots auf dem Weg. Jetzt ist er komplett auf sich alleine gestellt. Sein Funktelefon ist der einzige Rettungsanker für den Notfall. Tausend Fragen schwirren ihm durch den Kopf: „Wie ist es, so lange einsam zu sein?“, „Werde ich Heimweh haben, Gespräche vermissen?“, „Was, wenn mir etwas passiert und Hilfe Hunderte Kilometer weit weg ist?“
Sein Seekajak ist schwer beladen. Von Kulusuk aus paddelt er über Kungmit, einer der letzten Inuit-Siedlungen im Osten Grönlands, Richtung Norden, immer tiefer in die eisigen Fjorde hinein. Meterhohe Wellen und freischwimmende Eisberge kreuzen seinen Weg. „Das war wunderschön, aber auch gefährlich“, sagt Robert Jasper, „Kamera und 25 Kilo Kletterausrüstung, 35 Kilo Proviant und Camping-Equipment samt vier Litern Benzin für den Gaskocher – alles, was normalerweise auf ein Expeditions-Team verteilt ist – haben mein Kajak ganz schön belastet.“
Ein Alarmzaun ums Zelt gegen die Eisbären
Ist der Wellengang zu hoch, muss er sein Hab und Gut an Land retten und ruhigeres Wasser abwarten. Dann baut er sein Zelt auf. „Ein Alarmzaun rings um mein Zelt herum sollte mich nachts vor Eisbären schützen“, sagt er. In der sonnenhellen Sommernacht versucht er dann ein paar Stunden Schlaf zu bekommen. Als er eines Nachts tierische Geräusche hört, schreckt er hoch, seine Pupillen sind geweitet, seine Hände patschnass, sein Herz rast. „Ich war mir sicher, dass ich jetzt zum Notfall-Gewehr unterm Kopfkissen greifen muss, um einen Eisbären abzuwehren“, sagt Jasper. Doch dann sieht er im Wasser eine Gruppe riesiger Wale, die den Tumult veranstalten. „Der Wahnsinn! An Schlaf war nach dieser Aufregung nicht mehr zu denken.“

Bei minus fünf bis plus zehn Grad Celsius genießt er das stille Funkeln der Eisreste in der sommerlichen Arktis, beobachtet Wildvögel und Polarfüchse, nimmt Pflanzen wahr, die er so klein und filigran noch nie gesehen hat. „Hier ist die pure Wildnis noch in Takt“, sagt er. Aber auch an diesem abgelegenen Zipfel der Erde schwimmt Plastikmüll im Meer. „Das stimmt einen sehr nachdenklich und hat mich wütend gemacht. Noch in Hunderten Jahren wird dieses Mahnmal unserer Wohlstandsgesellschaft dort zu finden sein.“ Zurück zu Hause, will er noch mehr auf Plastik verzichten, der Welt von dem Müll in der tiefen Wildnis erzählen. „Ich versuche bei meinen Expeditionen, so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen“, sagt Jasper, „aber nur wer die wilde Natur kennenlernt, lernt sie zu lieben und zu schützen.“
30 Tage lang paddelt und stapft er durch die Arktis. Er vermisst Gespräche, motivierende Worte seiner Frau, wenn er mit seinen Kräften mal am Ende ist. Aber er kann die pure Einöde auch genießen. Seine Eindrücke hält er in einem Tagebuch und in Foto- und Filmaufnahmen fest. „Ich konnte ganz gut mit mir alleine sein“, sagt er, „aber mir war stets bewusst, dass mich ein verdorbener Magen oder eine Erkältung mit Fieber, das mich unachtsam macht, mein Leben kosten können.“
Müsli und Trockennahrung
Also bleibt er vorsichtig, kocht Flusswasser ab oder filtert es in seiner Trekking-Flasche. Seinen Proviant-Vorrat vergräbt er nachts unter schweren Steinen, damit Polarfüchse und Eisbären fernbleiben. Morgens isst er Müsli, tagsüber drei Müsliriegel, abends Trockennahrungsportionen wie Spaghetti bolognese oder Curryreis, die für das Militär oder Expeditionen entwickelt wurden. „Einmal habe ich es auch geschafft, eine riesige Lachsforelle zu angeln, das war ein Festmahl!“

Auf dem Weg zu dem Fox Jaw Cirque, den großen Felswänden, die aussehen wie Fuchszähne und die er so gerne als erster Mensch alleine besteigen möchte, ist er etliche Kilometer von der nächsten Siedlung entfernt. „Ein heftiges Gefühl, so einsam und weit weg mitten in der Wildnis zu sein“, sagt Jasper. Doch er trotzt Kälte, Nebel und Regen. Mit Seilen, Klettergurten, Helm und Karabinern erklimmt er ganz alleine die aus dem Eis emporragenden Felswände. „Das war die Krönung meines Abenteuers“, sagt er. „Je kleiner die Gruppe, desto tiefer ist das Erlebnis. So lange alleine zu sein war nicht nur schön, sondern auch sehr anstrengend – körperlich wie mental. Aber jetzt weiß ich, dass ich es kann und das ist ein tolles Gefühl.“
Zur Person
Robert Jasper, 50, wurde in Waldshut-Tiengen geboren. Er wuchs in Gurtweil auf und unternahm im heimischen Schlüchttal als kleiner Bub seine ersten Kletterversuche. Heute lebt er mit seiner Frau, der Extrembergsteigerin Daniela Jasper, 47, in Schopfheim-Wiechs. Auch ihre Kinder Stefan, 15, und Amelie, 14, klettern bereits, seit sie laufen können. Als Profi-Extrembergsteiger kann Robert Jasper von Sponsoring-Verträgen leben. Zudem hält er Erlebnis- und Motivations-Vorträge und coacht Firmen zu Themen wie Risikomanagement, Motivation und Angstbewältigung. Infos unter: www.robert-jasper.de
Jasper im Interview über Bergsteigen und Klimawandel
Jasper beim Klettern