Thea Stroh

Endlich Feierabend, ab aufs Sofa und schwupps – schon geht die Flimmerkiste an. Belohnung für den harten Tag muss sein, am liebsten mit einer Folge meiner aktuellen Lieblingsserie. Sie können sich damit identifizieren? Dann herzlichen Glückwunsch, Sie gehören genauso wie ich zum Club der Serienjunkies.

Das regelmäßige Schauen von Serien – auch mal mehrere Folgen am Stück – gehört für mich längst zum Alltag. „Binge Watching„ lautet der populäre Begriff dafür. Früher hätte ich mich im Elternhaus für das stundenlange Komaglotzen rechtfertigen müssen.

Heute sieht das anders aus. Immer mehr Deutsche konsumieren Tag für Tag in immer längeren Zeitabschnitten Serien. Schätzungsweise jeder Vierte neigt zum Bingen – inzwischen auch meine Eltern. Kein Grund zur Schande also, aber einer zum Nachfragen: Warum ist das so? Und was macht das mit uns?

Binge Watching: Wort des Jahres

Bereits 2015 hat das Wörterbuch „Collins English Dictionary“ Binge Watching zum Wort des Jahres erklärt. Beflügelt von TV-Mediatheken und Streaming-Anbietern wie Netflix oder Amazon Prime, wachsen das Angebot und die Verfügbarkeit von Filmen und Serien Tag für Tag – genauso wie die Zahl der Konsumenten: Das Forschungsinstitut Digital TV Research prognostiziert beispielsweise, dass Netflix im Jahr 2020 in Deutschland mehr als 11,3 Millionen Abonnenten haben wird. Also jeder achte Deutsche!

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Meine Mutter lernt durch solche Streaming-Angebote gerade erst den Genuss einer verpassten Folge „Sturm der Liebe“ in der ARD-Mediathek oder einen spontanen Film zur individuellen Prime Time zu schätzen. Ich selbst kann dagegen als Angehörige der Digital Natives (junge Generation, die schon mit Smartphones aufgewachsen ist) auf eine langjährige Erfahrung als Dauerkonsumentin zurückblicken.

Kein Wunder also, dass lineares Fernsehen mit all seinen Unterbrechungen und Wartezeiten für mich seit ein paar Jahren keine konkurrenzfähige Alternative mehr darstellt. Schon lange vor dem gehäuften Aufkommen legaler Streaming-Plattformen war es mir schon möglich, die neuesten Folgen und ganze Staffeln am Stück anzusehen.

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Generation Raubkopie

„Generation Raubkopie“ wäre auch ein treffender Name für uns junge Zuschauer gewesen, bei denen sich die Liebe zum Serienmarathon früh in den Alltag integriert hat. Um ehrlich zu sein, hat sich das auch nicht auf die Feierabende beschränkt; man denke an regnerische Wochenenden, Krankheitsfälle und erst die Semesterferien.

Man könnte vermuten: Wenn ich so viel Zeit mit Serien verschwende, bin ich ein absoluter Stubenhocker. Bestätigen kann ich das nicht, auch lasse ich dafür keine Arbeit liegen. Denn: Wirklich beschlagnahmend ist das Bingen keinesfalls.

Meine Aufmerksamkeit für mehrere Episoden stur auf einen fortlaufenden Plot zu richten, ist sowieso nicht möglich. Also muss ich feststellen: Ich schaue zwar viel, aber so richtig schaue ich dann doch nicht hin.

Oft läuft die Serie nebenher

Vielmehr dient mir die Serie zum Vertreiben der Stille, als angenehmes Berieseln im Hintergrund, wenn ich anderes erledige, und als Belohnung für einen anstrengenden Tag. Oftmals arbeite ich sogar fleißig, lerne, koche, esse oder schreibe diesen Text – alles, während eine um die andere Folge Grey’s Anatomy, How I Met Your Mother oder irgendein Crime-Hit im Hintergrund läuft.

Ob sich so ein Verhalten körperlich auf uns auswirkt, beschäftigt nicht nur mich. Auch einige Forscher stellen sich die Frage, was das Dauergucken und die ständige geteilte Aufmerksamkeit mit uns machen. Antworten darauf sind etwa, dass beim Schauen im Vergleich zum Lesen weniger Kalorien verbraucht werden – trotz des ähnlich geringen Bewegungsaufwands.

Werbung macht dick

Oder dass Werbung dick machen soll. Das haben zwei US-amerikanische Forscher festgestellt, die behaupten, dass Kinder, die häufig Werbung sehen, im Schnitt einen höheren Body-Mass-Index haben. Zu guter Letzt soll Fernsehkonsum sogar den Nutzen von Sport im Allgemeinen verringern.

Die Aussichten sind also dem ersten Anschein nach alles andere als rosig. Aber es gibt auch Hoffnung: Wer beispielsweise gerne Horrorfilme sieht, kann aufatmen: Mit dem Schauen bestimmter Genres können wir unseren Stoffwechsel auf Hochtouren bringen und somit ordentlich Kalorien verbrennen, heißt es. Und wie sieht es derweil in unseren Köpfen aus?

Was war noch in der letzten Folge?

Auf unser Gedächtnis wirkt sich unser Verhalten offenbar ebenfalls aus. Wir erinnern uns an die Handlung einer Serie, die wir beim Binge Watching ansehen, zwar nach einem Tag noch sehr gut. Wenn wir aber nur eine Folge pro Woche ansehen, sind uns die Zusammenhänge besser präsent.

Mein Belohnungszentrum protestiert gerade beim Schreiben dieser Zeilen: Daraus kann der Serienjunkie doch auch einen Vorteil ziehen! Wenn ich mich ohnehin nicht gut an die letzte Staffel erinnere, kann ich sie ja bald noch mal ansehen. Jauchz! Dann umgehe ich auch das ewige Suchen nach dem perfekten Abendprogramm.

Übrigens: Auch dafür, dass man sich nach langer Suche nach dem perfekten Film zum Feierabend doch wieder für den alten Schinken entscheidet, den man schon auswendig mitsprechen kann, gibt es inzwischen einen Namen. Das heißt dann Comfort Binge.

Fazit: zurück zum Endgerät Buch!

Serien sollen jetzt nicht per se verteufelt werden. Denn etwaige körperliche Auswirkungen hängen – wie so oft – vom richtigen Maßstab ab: Wer genug erholsamen Schlaf tankt und sich im Alltag ausreichend bewegt, muss sicherlich nicht auf den Feierabend auf dem Sofa und einen gelegentlichen Serienmarathon verzichten. Trotzdem nehme ich mir fest vor, öfters wieder zum Buch statt zur Fernbedienung zu greifen. Zum Endgerät Buch gewissermaßen.

Thea Stroh, 23, studiert an der Universität Konstanz im ersten Mastersemester Literatur-Kunst-Medien.