Guten Tag, auf Wiedersehen und natürlich Liebe: Eigentlich kann man „Aloha“ immer dann sagen, wenn man’s gut mit seinem Gegenüber meint. Und das tut man auf Hawaii ja sowieso die ganze Zeit. Autofahrer hupen so gut wie nie – im Aloha-Staat lässt man sich den Vortritt. Wenn sich die örtliche Bikergang trifft, dann tönt auch kein Hardrock aus den Lautsprecherboxen, sondern sanftes Ukulele-Geplänkel. Auf Big Island, der größten der acht Hauptinseln, haben es die Krankenhäuser nicht einmal nötig, Antidote einzulagern. Wo es keine giftigen Pflanzen und Tiere gibt, braucht es auch kein Gegengift...

Ja, Hawaii, das ist Harmonie. Dazu ganzjährig warme Temperaturen, Palmen, Sandstrände und ehrfurchtsgebietende Sonnenauf- und -untergänge. Kein Wunder, dass die Inselkette jedes Jahr auf Tausenden von Postkarten als Paradies auf Erden beschrieben wird. Aber was passiert, wenn man die Touristen-Sonnenbrille abnimmt? Wenn man das Paradies aus dem Blickwinkel eines Einheimischen betrachtet? Auf der Suche nach Antworten begegnen wir Jory und Arthur.
Verlorene Werte
Das Waschbecken ist direkt neben dem Kopfende des Betts angebracht. Der rostige Hahn kreischt so laut, dass man ihn instinktiv wieder zudreht. Eben noch schnell die Zahnpasta-Überreste aus dem Becken entfernen, dann aber nichts wie raus hier. Zum Glück ist der Frühstücksraum des Hotel Honokaa geräumiger. An der Wand hängt das Foto einer Schildkröte. Auf einer Kommode steht ein Buch, das US-Präsident Barack Obama mit einer Blumenkette um den Hals zeigt: „A President from Hawaii“.

Jory sitzt bereits am Tisch. Während draußen der Regen auf die Hauptstraße prasselt, mampft der Besitzer des Hotels munter vor sich hin. Es gibt Toastbrot, Mandarinen und Kaffee. „Ab November regnet es hier immer öfter“, sagt Jory und nickt zum Fenster. „40 Meilen weiter, in Hilo, hat es letzten Januar 30 Tage am Stück geregnet – es gab keine fünf Minuten Pause. Ein neuer Rekord.“
Vor 50 Jahren ist der schlanke Mann nach Hawaii gekommen – damals als lutheranischer Priester. Und predigen kann Jory auch mit 78 noch gut. „Die meisten Gäste reisen abends an und verschwinden am nächsten Morgen. Richtig unterhalten will sich niemand mehr“, klagt er. „Alle schauen nur auf ihr Smartphone – aber was ist das schon? Eine Maschine. Du kannst keine Werte in eine Maschine packen!“
Das Hotel, die einzige Gästeunterkunft in der Gegend, ist in den Zwanzigern errichtet worden, als das Zweitausend-Einwohner-Örtchen Honokaa vom Zuckerrohr-Anbau lebte, erzählt Jory. Der Großvater seiner drei Jahre jüngeren Frau Anelle hat noch auf den Plantagen gearbeitet, die für die großen US-Supermarktketten produzierten. „Für das Festland“, wie Jory sich ausdrückt.
Der Preis, den die Umwelt zahlen musste, war hoch – das Gehalt der Arbeiter gering. Als die Tropenwälder nahe Honokaa zerstört und die Flüsse von den Produktionsabfällen verseucht waren, verlagerte man die Produktion in asiatische Länder, die ihren Arbeitern noch geringere Löhne zahlen.
Seitdem hat das Hotel an Gästen verloren. Trotzdem hoffen Anelle und Jory, das Gebäude in seinem historischen Zustand bewahren zu können. „Uns wäre es am liebsten, wenn es unter Denkmalschutz gestellt wird“, sagt Jory. Bis jetzt sei das noch nicht gelungen. Aber: Heute will der 78-Jährige nicht zu viel über seine Sorgen sprechen. Es ist schließlich Thanksgiving. Jory lädt ein, zusammen mit ihm den Gottesdienst in der Baptistenkirche nebenan zu besuchen.
Gewaltiger als der Everest
Zwei Meter, Vollbart und eine dröhnende Bassstimme: Arthur hat etwas Bärenhaftes. Von den 15 Insassen des Allradbusses hat er es am längsten ausgehalten. Aber nachdem er das Fahrzeug Kurve um Kurve in Richtung Gipfel gesteuert hat, ist es auch im Inneren ziemlich kalt geworden.

Oben angekommen, schaltet Arthur den Motor ab, streift sich einen Armee-Parka übers T-Shirt und setzt eine Wollmütze auf. „Willkommen auf dem Mauna Kea“, ruft er und öffnet die Tür.
„Willkommen im Winter“ wäre genauso passend gewesen. Die Szene hat etwas Surreales: Noch heute Morgen sind die Businsassen in Flipflops den Sandstrand von Kailua-Kona entlanggeschlappt. Aber nachdem zunächst die Lavafelder entlang des Highway 19, die Grashügel nahe der Parker Ranch und schließlich eine staubbedeckte Schotterpiste passiert sind, liegt hier oben tatsächlich Schnee.
Wie Arthur erklärt, ist der Mauna Kea der höchste Gipfel im Pazifik. Nicht nur das: „Er ist sogar höher als der Mount Everest.“ Wie so ziemlich alles auf Hawaii sei der „Weiße Berg“ vulkanischen Ursprungs. „Der eigentliche Fuß liegt unter dem Meeresgrund“, sagt er. „So gerechnet ist der Mauna Kea über 17 000 Meter hoch.“
Vulkane, Bomben und ein General
An drei Tagen der Woche bringt Arthur Touristen zum Gipfel. Den Rest der Zeit arbeitet er auf der familieneigenen Kaffee-Farm. „So langsam erholen wir uns von den Folgen des Vulkanausbruchs von 2018“, berichtet er, während neben ihm Menschen aus aller Welt das Panorama bestaunen.
Bis in den Westen von Big Island hätten es die Lavaflüsse zwar nicht geschafft: „Aber die vulkanische Asche in der Atmosphäre hat über Monate hinweg für weniger Regen gesorgt. Deshalb konnten wir nicht so viel Kaffee ernten wie in den Vorjahren.“ Trotzdem sei der Ausbruch des Kilauea auch spannend gewesen. „Damals bei der Armee habe ich Geologie studiert. Deshalb war ich Teil eines Teams, das vor Ort Proben genommen hat“, berichtet Arthur stolz.

„Natürlich ist die erste Reaktion auf so einen Ausbruch Trauer und Wut – aber es ist eben immer noch ein Vulkan.“ Wie wenig der Mensch gegen eine solche Urgewalt auszurichten vermag, habe bereits der amerikanische General Patton zu spüren gekriegt. „Als sich 1935 ein Lavastrom auf das Quartier der Armee nahe des Mauna Kea zubewegte, hat er Bomben abgeworfen“, sagt Arthur und lacht. „Der Effekt war gleich null.“ Inzwischen hat sich die Reisegruppe wieder am Bus versammelt. Arthur lächelt in die Runde: „Na, wer hat Lust auf eine heiße Schokolade?“
Ein Selfie zum Abschied
In Honokaa sind der Thanksgiving-Gottesdienst und das anschließende Mittagessen gerade zu Ende gegangen. Und: Es ist einiges übrig geblieben. Während die Männer Stühle und Tische in der kleinen Kirche zusammenstellen, machen sich die Frauen daran, Truthahn, Kartoffelbrei, Gemüse und Kuchen in Lunchpakete zu packen. „Für euch“, sagt Jorys Frau, Annelle, und drückt jedem strahlend eine Tüte Leckereien in die Hand. Darf man im Gegenzug eine Spende in die Gemeindekasse werfen? Annelle schüttelt entschieden den Kopf: „Heute ist doch Thanksgiving!“
Immerhin: Zurück am Hotel lässt sich Jory helfen, die Abfälle der vergangenen Tage zum Müllplatz zu bringen. Bei der Verabschiedung wirkt der 78-Jährige gerührt. „Das war ein schöner Morgen“, sagt er. So schön, dass Jory sogar für ein Abschieds-Selfie in die Smartphone-Kamera lächelt.
Zu Gast auf Hawaii
- Allgemeines: Hawaii ist streng genommen ein ganzes Archipel und bildet den 50. Bundesstaat der Vereinigten Staaten. Die größte Insel wird Big Island genannt, die Hauptstadt Honolulu liegt allerdings auf Oahu.
- Anreise: Flüge ab Frankfurt, München oder Zürich, meist mit Zwischenstopp im Westen der USA.
- Informationen:https://www.visit-usa.at/hawaii-amerikanische-suedsee/ (bea)