Mein Eindruck: Das Medium ist erstaunlich vielseitig. Und besteht definitiv nicht nur aus Selbstdarstellern mit Werbeauftrag. Es funktioniert anders als der Journalismus, den ich gewohnt bin. Ist subjektiver, meinungsgefärbter, aber auch direkter als der übliche Zeitungstext oder Fernsehbeitrag. Auch wenn mich mancher Kanal auf Dauer nerven würde, muss ich sagen: Gar nicht so übel, was unsere Kinder da gucken.
Heimwerken, Digger! Kliemannsland, vom NDR produzierte Webserie – 450 000 Abonnenten
- Was ist das? Heimwerken auf cool. Fynn Kliemann und seine Freunde bauen einen Hof in ein Kreativzentrum um und haben dabei eine Menge zu bauen – von der Trockenmauer mit integrierter Grasliege bis zur Tischtennisplatten-Tür.
- Was kann das? Praktische Handlungsanweisungen gepaart mit coolen Sprüchen. Das funktioniert prima, wie bei allen YouTube-Tutorials: Die Dinge werden Schritt für Schritt erklärt. Und wenn man etwas nicht gleich beim ersten Mal versteht, schaut man sich die Szene eben nochmal an.
- Für wen ist das gedacht? Wenn die Adressaten den Protagonisten entsprechen, dürften sie Anfang 20 bis Mitte 30 sein und Lust auf Basteln haben. Wer älter ist, aber kein Problem mit Jugendsprache hat („Digger!“), dem könnten die Videos auch gefallen. Ich jedenfalls habe extrem Lust auf so eine Grasliege in unserem Garten.
- Fazit: YouTuber sind ganz normale Menschen mit so spießigen Interessen wie Heimwerken. Hier lernen Sohn und Tochter was.
Jung & naiv haben jede Menge Fragen – 320 000 Abonnenten
- Was ist das? Tilo Jung, Podcaster und Chefredakteur des Kanals Jung & naiv, macht politische Interviews.
- Was kann das? Jung lässt erzählen, aber fragt auch gnadenlos nach. Die besten Szenen aus dem berühmt gewordenen Rezo-Video („Die Zerstörung der CDU“) stammen von Jung & naiv, wie beispielsweise das Interview mit der Drogenbeauftragten Marlene Mortler (CSU), die sich um Kopf und Kragen redet. Hätte sie Vergleichbares im heute-Journal gesagt, wäre sie vermutlich längst ihren Job los. Jung & naiv nutzt die Vorzüge des Internets: Interviews können in voller Länge gespielt werden, und wenn sie anderthalb Stunden dauern.
- Für wen ist das gedacht? Politisch interessierte, eher links orientierte junge Leute und solche, die es werden wollen. Ältere sollten ruhig mal reinschauen.
- Fazit: Der Zuschauer bekommt ein authentisches Interviewerlebnis. Aber es dauert! Ich gebe zu, irgendwann schalt ich ab. 90 Minuten Interview mit dem EU-Abgeordneten Nico Semsrott (Die Partei) sind mir 80 zuviel.
Nachhilfe am Handy von Lehrerschmidt – 170 000 Abonnenten, und Sommers Weltliteratur to go – 85 000 Abonnenten
- Was ist das? Lernen auf dem Handy. Wen die gelben Reclam-Heftchen mit Weltliteratur abschrecken, der kann sich mit Hilfe von Dramaturg Michael Sommer vielleicht nicht das Lesen sparen, aber immerhin den Einstieg erleichtern: Faust als Playmobil-Drama, kurz und knackig durchgespielt in neun Minuten. Dem Fach, das den meisten Schülern Kopfschmerzen bereitet, widmen sich auf YouTube mehrere Nachhilfe-Lehrer: Mathe. Einer von ihnen ist Kai Schmidt, im Hauptberuf Mathelehrer, im Nebenberuf auf YouTube ebenfalls – nur gucken ihm da deutlich mehr Menschen zu. Maßeinheiten umrechnen, Bruchrechnen, schriftliches Dividieren – Lehrerschmidt geht die Basics an.
- Was kann das? Nachhilfe to go – und zwar kostenlos. Das Tolle daran: Inhalte sind hübsch aufbereitet, schön plastisch – und man kann sich die Knackpunkte beliebig oft anschauen.
- Für wen ist das gedacht? Für die Nicht-Blicker – aber natürlich auch für alle Bildungshungrigen, die sich im Unterricht langweilen. Bisweilen vergisst man ja auch im Erwachsenenalter, 20 Jahre nach Verlassen der Schule, wie das nochmal mit dem Bruchrechnen ging – hier erfährt man‘s.
- Fazit: YouTube ist Bildungseinrichtung und keinesfalls nur nutzloser Zeitvertreib. Gegen diese Ergänzung der Schule kann ich als Mama definitiv nichts haben.
Strg_F, von funk, einer Arbeitsgemeinschaft von ARD und ZDF, machen Reportagen mit Biss – 298 000 Abonnenten
- Was ist das? Wer auf dem Computer auf „Steuerung“ (Strg) und den Buchstaben F drückt, startet die Suchfunktion. Themen suchen und finden wollen auch die jungen Reporter von Strg_F. Der Anspruch, laut Selbstbeschreibung: subjektiv und nah berichten über das, was sie selbst bewegt.
- Was kann das? Anschauliche Praxis statt grauer Theorie. Das Thema Fleischersatz wird einfach mal ausgetestet: Wie schmeckt der neue Veggie Burger von MacDonalds? Und knacken die Seitanwürstchen aus dem Supermarkt? Der Reporter macht keinen Hehl daraus, wenn ihm etwas nicht schmeckt. Als Zuschauer darf man ihn auf seiner Recherchereise begleiten: Er isst sich durch die Veggie-Burger-Varianten dieser Welt, spricht mit Köchen, Forschern und Unternehmern – und wir sind immer live dabei.
- Für wen ist das gedacht? Jugendliche und junge Erwachsene mit Interesse an den Themen unserer Zeit. Ältere können auch noch was lernen.
- Fazit: Objekter Journalismus war gestern. Die Messlatte ist der Reporter. Warum nicht? Solange das Thema selbst erfahrbar ist, funktioniert das.
Gronkh, Spieletester mit eigenem Kanal, pflegt seinen ungestillten Spieltrieb – über 4,8 Millionen Abonnenten schauen dabei zu
- Was ist das? Gronkh, wie sich Erik Range (42) auf YouTube nennt, hat sein Hobby zum Beruf gemacht: Er zockt Computerspiele und nimmt sich und seine Kommentare dabei auf. Das Genre nennt sich Let‘s play-Video. Der ungebremste Spieltrieb zahlt sich aus: Mit seinen YouTube-Videos soll Gronkh bereits über zwei Millionen Euro verdient haben. Er ist einer der erfolgreichsten deutschen YouTuber.
- Was kann das? Gronkh beim Spieletesten zuzuschauen, beliefert potenzielle Spielekäufer mit Informationen. Aber es ist auch eine entspannte Art, nichts zu tun. Nicht mal mehr denken, muss man, denn Gronkh denkt ja schon laut mit. Und weil man sich ja nicht jedes Spiel kaufen kann, erhält der Abonnent via Gronkh immerhin ein Spielerlebnis aus zweiter Hand.
- Für wen ist das gedacht? Zocker und Möchte-gern-Zocker. Vermutlich in der Mehrheit jung und männlich.
- Fazit: Man kann herrlich faul sein, während Gronkh zockt. Aber wer hat schon derart viel Zeit zu verschenken –außer Teenagern im Chill-Modus?
Ganz intime Klogespräche gibt‘s bei Auf Klo, von funk, einer Arbeitsgemeinschaft von ARD und ZDF – 213 000 Abonnenten
- Was ist das? In einer stilisierten WC-Kabine unterhalten sich wechselnde Moderatoren mit ihren Gästen über deren Intimzone: Wie ist es für einen jungen Trans-Mann, Tampons zu benutzen? Warum entscheidet sich eine junge Frau gegen das Rasieren ihrer Achseln und Beine? Wie ist es, mit Tourette-Syndrom Sex zu haben? Wie fühlt sich Morbus Crohn beim Klogang an?
- Was kann das? Themen rund ums Thema Klo werden enttabuisiert, indem man einfach drüber redet. Die Befragten reden völlig unverkrampft über die vermeintlich peinlichsten Dinge.
- Für wen ist das gedacht? Jugendliche, die sich mit ihrer Intimzone auseinandersetzen – also alle. Ein gewisses Maß an Aufgeschlossenheit ist nötig.
- Fazit: Spannend zu sehen, welche Themen die jungen Leute so umtreiben. Ein junger Trans-Mann, der sich über das Thema Tampons auslässt – darauf muss man erst mal kommen. Das Ergebnis ist jedenfalls interessant, auch für mich.