Es duftet nach Heu und Blüten. Der Regen an diesem nassen Sommertag hat gerade aufgehört, die Sonne brennt heiß vom Himmel. Michaela Berthold-Sieber begrüßt mich mit einem strahlenden Lächeln auf dem Hügel bei der Bergkirche in Küssaberg-Kadelburg und klatscht in die Hände: „Schauen wir mal, was wir heute finden – jede Wanderung hält neue spannende Entdeckungen bereit“, sagt sie.

Die 55-Jährige ist Wildkräuter- und Heilpflanzenpädagogin. Während einer Ausbildung bei der Naturschule Deutschland in Freiburg hat sie in Theorie und Praxis gelernt, wie man Wildpflanzen eindeutig identifiziert, umweltfreundlich erntet und worauf es ankommt, wenn man absolute Neulinge in die Welt der Naturkräuter entführt.
Seit 2013 streift sie mit Vereinen, Schulkassen und im Auftrag der regionalen Volkshochschulen mit interessierten Menschen durch Wald und Wiesen am Hochrhein und im Südschwarzwald und bietet zudem Kochkurse an. Heute will sie die SÜDKURIER-Leser an ihrer Faszination für Blüten, Blätter und Wurzeln teilhaben lassen.

„Ich habe eigentlich mein Hobby zum Beruf gemacht. Denn ich war schon immer eine kleine Kräuterhexe“, erzählt Berthold-Sieber, während wir den Hügel hinauf wandern, „schon als Kind habe ich gerne gesammelt und alles mögliche zusammengerührt.“ Heute mache sie das einfach professioneller. Als Mama und Oma bekocht sie ihre Familie mit Giersch-Gemüse, Brennnessel-Salat und allerlei wilden Süßspeisen.

Von jedem Spaziergang bringt sie Wildpflanzenteile mit, die im Kochtopf landen. „Sehen Sie diese wunderschönen rosaroten Blüten da?“, fragt sie und zeigt mir eine fast ein Meter hohe Blutweiderich-Staude, „damit kann man wunderbar Pudding rosa färben – das liebt meine Enkelin.“ Zwei Meter weiter entdeckt sie in einer üppigen Hecke am Wegesrand halbreife, dunkelblaue Schlehen, Wildäpfel, Hagebutten sowie noch grüne Brom- und Weißdorn-Beeren.

„Wer genau hinschaut und sich auskennt, entdeckt auf Schritt und Tritt Leckereien in unserer heimischen Natur“, sagt Berthold-Sieber, „das ist auch das, was eigentlich jeden Wander-Teilnehmer so fasziniert: Fast alles ist essbar!“

Und die Geschmäcker seien so vielseitig wie unsere Natur selbst. Mitten auf der Wiese kann man in bittere Löwenzahnblätter, süß-saure Wildbeeren, aromatische Kräuter oder blumig-duftende Blüten beißen – und so die Natur, mit allem, was sie uns gibt, mit allen Sinnen genießen.
Wildpflanzen erkennen und sammeln
Und worauf sollte man dabei achten? „Man sollte die Pflanze zunächst eindeutig bestimmen“, rät sie, „Blüten erntet man am besten bei Sonnenschein, wenn sie geöffnet sind. Bei Kräutern bevorzugt man die jungen Blätter: Sie haben mehr Geschmack, eine geballte Ladung Nährstoffe und sind zarter.“

Eine der häufigsten Fragen während ihrer Wildkräuter-Wanderungen widmet sich stets dem über die Ausscheidungen von Füchsen übertragbaren Parasiten Fuchsbandwurm: „Mit 40 bis 70 Fällen pro Jahr in ganz Deutschland ist das Risiko, sich durch den Verzehr von Wildpflanzen zu infizieren, sehr gering“, erklärt die Kräuterpädagogin, „dennoch muss jeder die Gefahr kennen und selbst entscheiden.“ Im Zweifelsfall könne man die gesammelten Kräuter kochen, denn bei über 70 Grad werden die Eier abgetötet.

Während wir an rosa blühendem Rotklee vorbeischlendern, den Berthold-Sieber gerne in Joghurt genießt und sie mir die gelben Blüten des Johanniskrautes zeigt („hilft als Öl super gegen Rheuma und Gelenkschmerzen“), kommt sie ins Schwärmen für unsere Region.

„Durch die vielen verschiedenen Höhenmeter ist unsere Heimat extrem vielseitig“, sagt sie, „auf 1000 Metern, in den Höhenlagen des Schwarzwaldes, wachsen ganz andere Wildpflanzen als im Rheintal.“ Und habe man zum Beispiel die Holunderblüte unten mal verpasst, könne man einfach ein paar Minuten den Berg hinauf fahren und habe die Uhr zwei Wochen zurückgedreht.
Das gibt es in der nächsten Zeit
Im Frühjahr liebt sie besonders Bärlauchgerichte und junge Blätter von Buchen, im Frühsommer kocht sie Gelees und Sirupe aus allerlei Blüten. „Doch auch der Spätsommer hat noch einige zu bieten, wie Sie hier gerade sehen“, sagt sie uns lässt die Arme in die saftig grüne Umgebung schweifen. „Ob Brennnesseln, Giersch, Schafgarbe, Löwenzahn oder Spitzwegerich – im August wachsen noch Wildkräuter überall auf den Wiesen.“

Berthold-Sieber isst sie am liebsten frisch gepflückt als Beigabe in knackigen Salaten. Auch den wilden Oregano (Dost) sowie Feldthymian und Springkrautblüten kann man in diesem Monat ernten und zu Kräutersalzen, -ölen und Sirup verarbeiten.

Durch den vielen Regen in diesem Jahr finden Sammler zudem auch bereits Pilze wie Pfifferlinge und Steinpilze seit einigen Wochen. „Im September und Oktober wird das Angebot der Natur dann noch mal richtig üppig“, sagt sie, „Schlehen, Wildäpfel, Brombeeren, Mirabellen, Weißdorn- und Vogelbeeren sind dann reif und können zu Säften, Marmeladen oder Likören verarbietet werden – darauf freue ich mich!“
Vier wilde Rezept-Tipps von der Kräuterpädagogin
Michaela Berthold-Sieber sagt: „Fast alles ist essbar!“ Hier verrät sie vier ihrer liebsten Wildpflanzen-Rezepte, die je mit verschiedenen essbaren Blättern und Blüten umgesetzt werden können.
- Wildkraut-Pesto: 100 Gramm Brennnessel oder Giersch fein schneiden, 40 Gramm Sonnenblumenkerne mahlen, 30 Gramm Parmesan fein reiben, 50 bis 70 Milliliter Raps- oder Olivenöl hinzugeben, alles gut miteinander mischen und nach Belieben mit Salz und Pfeffer abschmecken.
- Blüten-Kräuterbutter: 30 bis 50 Gramm Wildblumen und -kräuter waschen, gut trocken tupfen und sehr fein hacken. Anschließend mit 250 Gramm weicher Butter, einem Esslöffel Zitronensaft, Salz und Pfeffer verrühren und kalt stellen.
- Springkrautblüten-Gelee: Eine große Schüssel voller Blüten mit wenig Wasser kurz aufkochen und abkühlen lassen. Die kalte Flüssigkeit durch ein Baumwolltuch abseihen und je nach Packungsangabe des Gelierzuckers Wasser und Gelierzucker hinzugeben und einkochen. Heraus kommt ein rötlich-süßes Gelee, das noch heiß ich Einmachgläser gefüllt wird. Springkraut ist eine eingeschleppte Pflanze, die zwar hübsch aussieht und gut duftet, aber einheimische Pflanzen in Schluchten verdrängt. Also: einfach aufessen!
- Sirup: Einen großen Bund Wildkräuter oder zwei große Handvoll Blüten (lieber etwas mehr als zu wenig) mit einem Liter Wasser, einem Kilo Zucker und dem Saft von drei bis vier Zitronen verrühren. Die Masse abgedeckt zwei bis drei Tage durchziehen lassen. Dann mehrmals umrühren, den Ansatz durch ein Baumwolltuch abseihen, noch einmal 750 Gramm Zucker hinzugeben und aufkochen. Am besten noch heiß in saubere, angewärmte Flaschen füllen. (sih)