Die Corona-Pandemie bestimmt derzeit alles. Bedrückende Bilder aus italienischen Krankenhäusern und Bilder von Massengräbern lenken unsere Aufmerksamkeit völlig auf diese heimtückische Atemwegserkrankung, die jeden Tag neue Opfer fordert.
Und dennoch gibt es viele Menschen, die schwer erkrankt sind, aber nicht an Corona. Vor allem Krebskranke und Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind derzeit doppelt getroffen. Auch Asthma-Patienten machen sich Sorgen. Zum einen wegen ihrer schweren Grunderkrankung und zum zweiten durch das höhere Risiko, das ihnen durch Corona droht.
Angst vor dem Klinik-Besuch
Viele Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen trauen sich selbst bei Herzinfarkten oder Schlaganfällen nicht in die Klinik, weil sie eine Infektion befürchten. Und die Deutsche Krebsgesellschaft warnt bereits vor einer „Bugwelle“ neuer Krebs-Erkrankungen, die wegen verschobener Früherkennungsuntersuchungen erst später entdeckt und damit schlechter therapierbar werden. Noch eine weitere, bittere Seite von Corona.
Doch wie geht es Schwerkranken in der Region, und wie werden sie versorgt? Jan Harder ist Leiter des Krebszentrums Hegau-Bodensee in Singen. Er betont: „Bei Krebskranken geht die Therapie unverändert weiter.“ Man habe zwei getrennte Linien im Krankenhaus, eine für Corona-Patienten und die andere für andere Erkrankte. Zu Corona meint er nur: „Das Virus ist deutlich gefährlicher als eine Grippe. Wir haben schon Respekt vor dem Viech.“
Chemos gehen aufs Immunsystem
Auch er befürchtet „Kollateralschäden“, wenn etwa Darmspiegelungen oder Gebärmutterkrebs-Früherkennungen verschoben werden müssen. „Das ist eine Welle, die sich jetzt aufbaut“, sagt er. Notwendige Operationen, Chemotherapien und Bestrahlungen würden derzeit ganz normal durchgeführt. Bei unterstützenden Chemotherapien schaue man aber noch genauer hin, ob sie wirklich notwendig seien, denn sie belasteten das Immunsystem und brächten nicht allen Patienten einen Nutzen.
Nicht alle Krebskranken haben ein höheres Risiko für einen komplizierten Corona-Verlauf. Brustkrebs- und Prostatakrebs-Erkrankte, die keine Chemo bekommen, könnten aufatmen. Sehr aufpassen müssten dagegen Menschen mit Leukämien, da diese Krebsart das Immunsystem beeinträchtigt, ebenso Stammzellen-Transplantierte, Menschen unter Immuntherapie und natürlich Lungenkrebs-Patienten, erklärt Jan Harder.
Mitten in der Krise vom Krebs getroffen
Mitten in der Corona-Krise wurde die 49-jährige Susanne Brügel vom Krebs getroffen. Nach der Rückkehr von einer Reise nach Myanmar mit ihrer Schwester Annabel bekam sie eine niederschmetternde Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Ihr Krebs ist derzeit nicht operabel, da der Tumor unglücklicherweise auch zwei Arterien einschließt und recht groß ist. Er hat in die Leber gestreut. Nun wird versucht, ihn mit Chemo zu verkleinern.
Brügel, die eigentlich bei Frankfurt lebt, liebt schöne Stoffe und von daher auch das Reisen. Die Textilingenieurin wohnt derzeit auf der Bodensee-Halbinsel Höri. Trotz des Diagnoseschocks ist sie dankbar, dass man sich im Hegau-Bodensee-Klinikum so sehr um sie kümmert: „Es kämpfen so viele Menschen um mein Leben. Ich sehe, wie Menschen in anderen Ländern einfach sterben. Bei mir investiert man so viel, in anderen Ländern rafft Corona die Menschen einfach dahin“, sagt sie traurig.
Die Schwestern im Singener Krankenhaus gaben ihr Bestes, erzählt sie, brachten Aromaöle, um ihr und ihrer Zimmerkollegin etwas Wohlbefinden zu verschaffen. Zuwendung eben. Brügel ist dankbar für das oft gescholtene deutsche Gesundheitssystem: Bei einem Corona-Fall „würden sie uns in anderen Ländern gar nicht erst an die Beatmung anschließen“, spotteten die beiden Patientinnen. Galgenhumor nennt man das.
Gesunde reagieren beschämt
Die Nebenwirkungen der Chemo seien unangenehm, manche Untersuchungen auch, aber all das sei „nicht so tragisch“, sagt Susanne Brügel fast abgeklärt. Aber ihre Schmerzen sind heftig. Ihre Schwester Bettina Hotz, die sich neben weiteren Familienmitgliedern um sie kümmert, wurde von einer anderen Kundin in der Apotheke gefragt, wofür sie denn das Morphium und die Schmerzpflaster benötige. Als sie sagte, dass die Medikamente für ihre krebskranke Schwester bestimmt seien, antwortete die Neugierige beschämt: „Und mein größtes Problem ist der Friseurtermin.“ Krebs kann Demut lehren.
Hat sie Angst vor Corona? „Was das betrifft, fühle ich mich total sicher. An Corona habe ich keinen Gedanken verschwendet“, sagt Susanne Brügel. Ihre Familie fährt sie zu den Therapien nach Singen. Am Krankenhaus gibt es getrennte Eingänge für Beschäftigte und Patienten, Besuche sind derzeit ohnehin verboten. In einem Zelt wird gefragt, was den Gast herführt. Und dann wachen noch Sicherheitsheitsleute darüber, dass auch wirklich niemand das Krankenhaus unerlaubt betritt.
Und wenn Corona sie doch trifft? Dann ist es halt so, sagt sie. Man hört das Achselzucken fast durch den Telefonhörer. „Die Situation ist derzeit für alle schwer. Ich finde es schade für alle Menschen, für die Kinder.“ Alle seien eingeschränkt. Wobei man es am Bodensee noch gut habe, hier könne man die schöne Umgebung genießen.
Sie träumt von einer Schiffsreise
Corona erinnere die Menschen an ihre Sterblichkeit und mache deshalb vielen solche Angst, vermutet sie. Bei vielen Menschen lägen die Nerven blank. „Das merkt man daran, wie energisch die Leute auf die Abstandsregeln pochen“, sagt sie. Und dann gebe es auch rücksichtslose Menschen. „Ich habe ein Ehepaar mit Kind im Krankenhaus gesehen, die haben geniest und gehustet, ohne Rücksicht auf die anderen Patienten zu nehmen.“ So etwas sei unverantwortlich.

Ihre Zukunft kann Susanne Brügel derzeit nicht langfristig planen. Im Moment laufen ihre Chemos, danach zeigt ein MRT, ob die Behandlungen angeschlagen haben. Gern hätte sie nach der Diagnose noch eine Schiffsreise gemacht. Der Mai wäre dafür passend gewesen. Ein Stück mehr „lebenswertes Leben“, wie es ihr Arzt Jan Harder nannte, auf das sie sich freut und das sie so nötig hätte. Dieser Traum muss nun warten wie bei allen anderen Menschen auch. Mal sehen.
Corona und Krebs – was Patienten bedrückt
- Größere Ängste: Die Frauenselbsthilfe nach Krebs Baden-Württemberg erhält derzeit viele Anrufe von verunsicherten Betroffenen, erklärt die Vorsitzende Christa Hasenbrink in Salem. Die Frauen hätten Angst, sich anzustecken, und fragten sich, ob sie optimal behandelt werden. Die Ängste seien noch größer als sonst. Von verschobenen Krebs-OPs hat sie noch nichts gehört, wohl aber von Betroffenen, die Schwierigkeiten hatten, eine Klinik für eine Zweitmeinung zu finden. Da könne aber die Frauenselbsthilfe oft weiterhelfen.
- Finanzielle Sorgen: Nach fünf Jahren werde der Schwerbehindertenausweis von Krebskranken nicht verlängert, gerade wenn kein Rezidiv aufgetreten sei. Damit falle aber auch der Kündigungsschutz weg. Viele Frauen seien aber nach der Therapie nicht mehr so belastbar und hätten in der Corona-Krise Angst vor der Kündigung.
- Gute Neuigkeiten: Günstig sei, dass die Deutsche Rentenversicherung als Reha-Träger derzeit großzügigere Fristen für Rehas anbiete, die verschoben werden mussten. Ebenso dürfen Psychoonkologinnen ihre Patientinnen nun auch telefonisch beraten. Und: Rezepte für Lymphdrainagen, die viele Frauen nach einer Erkrankung benötigen, dürfen auf längere Zeit unterbrochen werden, ohne dass sie verfallen.
- Anderer Blick: Können Krebskranke mit der Corona-Krise besser umgehen als Gesunde? Christa Hasenbrink differenziert: Akut Erkrankte seien mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert. Diese müsse man erst durchstehen. Das erfordere alle Kraft. Wer das Ganze aber „gepackt“ habe, habe oft einen anderen Blick auf Erkrankungen und den Tod. „Diese Menschen schaffen es oft, dem Leben eine andere Perspektive zu geben.“
Aktuelle Informationen für krebskranke Frauen in Sachen Corona gibt es auf der Webseite des Bundesverbandes:
www.frauenselbsthilfe.deaktuell.html