Vor fünf Jahren hatte die Corona-Pandemie die ganze Welt fest im Griff. Viele Menschen hatten Covid, doch einige leiden noch Jahre später – so wie Singens ehemalige Bürgermeisterin Ute Seifried. Sie wurde im Dezember 2024 offiziell als dienstunfähig attestiert. Wegen Long Covid. Darunter versteht man die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen einer Covid-Infektion. Hierzu wurde am Hegau-Bodensee-Klinikum Singen (HBK) über drei Jahre hinweg geforscht. Nun ist die Studie abgeschlossen und ausgewertet.
Die Idee zur Studie sei Marc Kollum, Chefarzt der Medizinischen Klinik I im Singener Krankenhaus, durch die damalige Situation in der Intensivstation während der ersten Welle gekommen. Damals sei die Intensivstation mit Patienten mit einer Corona-Infektion überfüllt gewesen. „Man erwartet nach der Infektion viele klinische Ereignisse, also auftretende Vorfälle, die sowohl positive als auch unerwünschte Auswirkungen haben können. Wir haben dann geschaut, warum die Patienten im Krankenhaus behandelt wurden“, erklärt er.
Ziel der Studie war, mögliche Langzeitfolgen einer Sars-Cov-2-Infektion bei Teilnehmenden aus dem Landkreis Konstanz zu erfassen. Es habe zwar einige Covid-Studien zum Akutgeschehen gegeben, sagt Kollum. „Zu den langfristigen Folgen gibt es jedoch ganz wenige vergleichbare Studien“, so der Chefarzt. Die Singener Studie hat den gesundheitlichen Zustand sowie Veränderungen der Patienten mit und ohne Covid-Infektion über die Jahre untersucht und kommt zum Ergebnis, dass vor allem psychische Auswirkungen bei Patienten mit Long Covid auftreten.
Ursprünglich war die Corona-Studie am HBK auf fünf Jahre ausgelegt. Doch weil die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Jahr zu Jahr weniger wurden, sei die Studie schon nach drei Jahren beendet worden. „Es hätte keinen Sinn ergeben, die Studie weiterzuführen“, erklärt Marc Kollum, der die Studie geleitet hat. Die Corona-Studie lief demnach von Januar 2021 bis September 2024. Sie wurde in Abschnitte aufgeteilt, sodass mehrere junge Ärztinnen und Ärzte an der Forschung beteiligt waren.
Wenig vergleichbare Studien in dem Bereich
Die Besonderheit der Singener Studie bestehe vor allem im Vergleich mit der Kontrollgruppe – jenen Probanden, die keine Infektion durchgemacht hatten, aber im Geschlecht, Alter sowie Vorerkrankungen der infizierten Gruppe als Vergleichspersonen zugeordnet werden können. Auch diese Menschen haben sich über den Zeitraum der Studie mit Corona infiziert und die damit einhergehenden Symptome durchgemacht. In der Studie wurde beobachtet, ob sie sich davon besser erholen als die Gruppe, die schon Covid hatte.
Gestartet sei man mit einer auf Corona positiv getesteten Gruppe mit 245 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die nicht infizierte Kontrollgruppe bestand zu Beginn aus 221 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Im zweiten Jahr waren es noch 206 Teilnehmerinnen und Teilnehmer (200 in der Kontrollgruppe) und im dritten Jahr 155 (179). Die teilnehmenden Frauen und Männer waren zwischen 18 und 80 Jahre alt.
Von beiden Gruppen wurden Vitalwerte wie Herz- und Lungenleistung, Blutdruck, Belastbarkeit, Sauerstoffsättigung, Ausdauer und psychische Gesundheit erfasst. Ein sechsminütiger Gehtest gehörte ebenso dazu wie umfangreiche Fragebögen. Einmal im Jahr haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Fragen zu ihrer Lebenssituation, Fitness sowie Risikofaktoren beantwortet. „Man wusste lange nicht, welche Risikofaktoren eine Rolle spielen, also zum Beispiel welche Krankheiten man hat oder ob man raucht, deswegen haben wir ein Risikoprofil erstellt“, erklärt Kollum.
Fatigue macht Patienten zu schaffen
Es hat sich gezeigt: „Die initiale Infektion zeigt in beiden Gruppen, dass schwere Krankheiten ausgeblieben sind. Die Patienten hatten einen milden Verlauf.“ Außerdem verschlechterten sich auch die Werte der Kontrollgruppe, da sich auch die Probanden im Laufe der Zeit mit Corona infiziert hatten. Damit hätten sich die Vitalwerte der beiden Gruppen angenähert, dennoch erholte sich die Kontrollgruppe besser von einer Infektion als die Covid-Gruppe. Aber: „In späteren Corona-Varianten nimmt Long Covid ab, dafür sind die Fallzahlen höher.“
Jedoch hat die Studie herausgestellt, dass die Covid-Gruppe vor allem im psychischen Bereich stärker mit Langzeitfolgen zu kämpfen habe. „Harte Parameter, wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle, sind nicht das Problem. Es sind die weichen Faktoren, wie Depressionen, die den Corona-Patienten zu schaffen machen.“ Vor allem das Fatigue-Syndrom steche hier besonders hervor. Dabei handelt es sich um eine anhaltende, belastende Erschöpfung.
„In der Corona-infizierten Gruppe ist die Fatigue stärker ausgeprägt und anhaltender“, erklärt Kollum. Depression und Fatigue seien in der Sars-Cov-2-positiven Gruppe – verglichen mit der Kontrollgruppe – etwa drei Mal häufiger aufgetreten. „Den Betroffenen fehlt die Energie, den normalen Alltag zu bewältigen“, erklärt der Chefarzt. Auch einfache Dinge würden den Patienten schwerfallen. Für die meisten sei eine Rückkehr zum Beruf daher ausgeschlossen. „Es sind vor allem die Leistungsfähigsten, die einbrechen“, sagt Kollum.
Der Schlüssel ist noch nicht gefunden
Die Studie habe zwar wichtige Erkenntnisse hervorgebracht, doch sie zeige auch, dass es keine einheitliche Lösung gebe. „Für Long Covid gibt es kein Medikament.“ Es sei weiterhin nicht klar, welcher Mechanismus dahinterstecke. Corona-Patienten, die an Langzeitfolgen leiden, würden durch die psychischen und neurologischen Folgen nicht akut in Krankenhäusern behandelt, sondern in Reha-Kliniken oder neurologischen Fachzentren wie den Schmieder-Kliniken in Gailingen.
„Der Schlüssel ist noch nicht gefunden. Da ist noch viel Nebel.“ Kollum selbst plant keine weiteren Studien hierzu. „Wir sind erstmal durch“, sagt er. Doch er sei zuversichtlich, dass die Forschung in diesem Bereich vorangetrieben werde und weitere Erkenntnisse bringen werde.