Wenn Olaf Schwahn den Erfolg seiner Aufforstungen messen will, stellt er sich neben die Bäume in seinem Revier. Vor zehn Jahren hat der Förster die ersten Traubeneichen im mecklenburg-vorpommerischen Malchow in die Erde gesetzt – heute sind die meisten einen Kopf größer als er.
Über 100.000 Bäume sind es inzwischen: Traubeneichen, Winterlinden, Lärchen, Roteichen, Flatterulmen. In den nächsten zehn Jahren soll sich die Anzahl noch einmal verdoppeln.

Der Wald in Malchow existiert nur deshalb, weil Privatleute und Unternehmen dafür bezahlt haben. Sie haben eine sogenannte Waldaktie erworben, mit deren Hilfe das Land Mecklenburg-Vorpommern neue Bäume pflanzt.
Fünf Quadratmeter Wald für zehn Euro
Waldaktien sind keine echten Wertpapiere, sondern ein symbolischer Beitrag zum Klimaschutz: Für jede zehn Euro, die jemand spendet, schafft das Land fünf Quadratmeter Wald. Auf diese Weise soll man, ähnlich wie bei Flugreisen, die eigenen CO2-Emissionen ausgleichen.

Ausgedacht hat sich das Modell der Tourismusverband. Dieser geht davon aus, dass eine vierköpfige Familie während ihres Urlaubs rund 200 Kilogramm CO2 freisetzt, wenn sie per Auto anreist, im Hotel übernachtet und den üblichen Freizeitaktivitäten nachgeht – immer noch deutlich weniger als beim Flug nach Mallorca, aber eben auch mehr als bei einer Fahrt mit dem Zug.
Die Waldaktie soll nun Abhilfe schaffen: Neues Holz bindet CO2, speichert Wasser und tut not in Deutschlands waldärmstem Bundesland, das in den letzten Jahren verstärkt von Dürren heimgesucht wurde.
Das Angebot richtet sich hauptsächlich an Urlauberinnen und Urlauber, aber auch Firmen können Waldaktien kaufen, um ihre Umweltbilanz aufzubessern. Und ihr Image gleich mit.
19 Klimawälder gepflanzt
Obwohl der Tourismusverband kaum Werbung für das Projekt macht, wurden seit 2007 insgesamt 100.000 Waldaktien verkauft. Mit den Einnahmen konnten 19 Klimawälder gepflanzt werden, von der Insel Rügen bis zur Mecklenburgischen Seenplatte, vom Schaalsee bis Usedom, insgesamt mehr als 100 Hektar.
Statt Monokulturen werden deshalb robuste Baumarten gepflanzt, die eine gewisse Trockenheit ertragen. Wenn gerade keine Pandemie grassiert, kommen Kindergartengruppen vorbei, um beim Pflanzen zu helfen. Die Malchower lieben den neuen Wald.
So positiv das Projekt klingt, so tückisch ist jedoch manches Detail. Vor allem die zunehmende Dürre setzt den Jungbäumen zu. Zusätzlich schaden Mäuse den jungen Trieben. Im Schnitt gehen zehn Prozent der neu gepflanzten Bäume wieder ein. Die forstet das Land mit eigenen Mitteln wieder auf.
Wenn immer mehr Gäste kommen
Und es gibt kritische Stimmen. Neupflanzungen seien ein probates Mittel, um dem Klimawandel entgegenzutreten, bestätigt der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Aber: „Wie viel Kohlendioxid am Ende wirklich gebunden wird, kann man gar nicht genau sagen“, kritisiert Corinna Cwielag, Geschäftsführerin des BUND in Mecklenburg-Vorpommern.

Darüber hinaus sieht sie grundsätzliche Probleme. Seit Jahren steigt die Zahl der Übernachtungen in Mecklenburg-Vorpommern: 2019, vor Corona, auf den bisherigen Höchstwert von über 34 Millionen.
Gleichzeitig liegt der Anteil der Urlauberinnen und Urlauber, die per Pkw anreisen, immer bei knapp über oder unter 80 Prozent. „Eigentlich müsste man den Leuten für eine Bahnfahrt eine Waldaktie in die Hand drücken“, sagt Cwielag.
Auch sonst zeige die Landesregierung eine fragwürdige Doppelmoral. „Seit Jahren kämpfen wir gegen ein neues Gewerbegebiet an der A 14.“ In dem Areal in Südwestmecklenburg sollen 130 Hektar Wald abgeholzt werden.
„Das ist mehr als die gesamte Fläche, die durch Waldaktien gepflanzt wurde“, schimpft die Naturschützerin. „Wenn man den Klimaschutz ernst nähme, dürfte man gar nicht mehr roden, schon gar nicht in einem waldarmen Bundesland wie Mecklenburg-Vorpommern.“
Gar nicht mehr reisen?
Thorsten Permien, der zuständige Referatsleiter im Landesumweltministerium, erwidert, es sei richtig, „dass Kompensationsmöglichkeiten nicht zu dem Gedanken führen dürfen, dass alles machbar ist, weil es ja kompensiert werden kann.“ Er sagt aber auch: „Übertragen auf den Tourismus bedeutet dies genau genommen, nicht zu verreisen.“

Die Waldaktie sieht er deshalb als Kompromiss: nicht perfekt, aber immer besser, als gar nicht zu kompensieren und trotzdem mit dem Auto anzureisen. Dass das Land einerseits Wald aufforstet und an anderer Stelle fällt, mindert aus seiner Sicht den Wert der Waldaktien nicht. Man müsse eben die Instrumente nutzen, die es gibt.
Jede Seite tendiere dazu, „die eine halbe Wahrheit zu betonen“, sagt Stefan Schaltegger, Professor für Nachhaltigkeitsmanagement an der Leuphana-
Universität Lüneburg. Zum einen müsse es sich um Wälder handeln, die nicht ohnehin gepflanzt werden, was bei den Waldaktien gegeben ist. Zum anderen dürften Bäume erst ab etwa drei Jahren in die Klimabilanz eingerechnet werden, weil sie vorher kein CO2 binden – was bei Waldaktien nicht geschieht.
Unterschiedliche Bewertungen
Ob die Waldaktien Schule machen, ist noch unklar. In Baden-Württemberg jedenfalls gebe es keine ähnlichen Projekte, sagt Hans-Ulrich Hayn, Leiter des Forstbezirks Hochschwarzwald in Kirchzarten. „Entscheidend ist die Frage, was mit dem Wald geschieht. Und selbst da gibt es sehr verschiedene Bewertungen“, antwortet er auf unsere Anfrage.
Und dann beginnt er zu erklären: Wenn etwa ein Wald auf einer vorher landwirtschaftlich genutzten Fläche gepflanzt werde, finde tatsächlich eine zusätzliche Bindung von CO2 statt. Allerdings gebe es einige Einschränkungen bei Aufforstungen, etwa, wenn vorher wertvolle Biotope wie Nasswiesen oder Moore vorhanden waren.
„Im Schwarzwald kommt noch das Landschaftsbild dazu. So ist es bei 80 Prozent Waldanteil umstritten, ob zusätzlicher Wald hier für das Landschaftsbild in Ordnung ist“, sagt Hans-Ulrich Hayn.
Bauholz versus Zement
Anders liege die Sache, wenn ein bisher vorhandener Wald verkauft oder der Wald nicht mehr wirtschaftlich genutzt werde. Denn dann stelle sich ab einem gewissen Punkt ein Gleichgewicht zwischen Holzzerfall und Holzaufbau ein, sagt Hayn.
Wenn Wald etwa für Bauholz genutzt werde und man das mit der Zementproduktion ins Verhältnis setze, die sehr energieaufwendig sei, sei bewirtschafteter Wald einer stillgelegten Fläche überlegen, erklärt der Förster aus dem Hochschwarzwald.
Und er nennt noch einen Aspekt: Wenn man Baumarten fördere, die rasch wachsen und sich für Bauholz eignen, müsse man darauf achten, dass dennoch stabile Mischwälder entstehen. Denn wenn Reinbestände verfrüht zusammenbrächen, werde auch die CO2-Speicherung ad absurdum geführt. Also: Mal wieder alles komplizierter als zunächst gedacht.
90 Jahre alte Monokulturen
In Malchow begutachtet Revierförster Olaf Schwahn derweil den jüngsten Zugang in seinem Klimawald: Die Traubeneichen, die im vergangenen Jahr gepflanzt wurden, sind gerade so groß wie ein DIN-A4-Blatt.
Am Rande der Aufforstungen liegt ein Kiefernwald. Die Bäume wurden vor 90 Jahren als Monokultur angelegt: einheitlich und besonders anfällig für Schädlinge. Den Klimawäldern in Mecklenburg-Vorpommern soll es einmal anders ergehen. Noch ist der Kampf nicht verloren.