Es war Mitte November, die Infektionszahlen bauten sich gerade zu einer vierten Welle auf, da wollte die Konstanzer Landtagsabgeordnete Nese Erikli (Grüne) den Kulturschaffenden in ihrem Wahlkreis etwas bieten: ein virtuelles Treffen mit Kulturstaatssekretärin Petra Olschowski, Informationen aus erster Hand zu Einschränkungen, Herausforderungen, Hilfsmaßnahmen.
Zu Jahresbeginn hatte ein solcher Termin noch reges Interesse gefunden. Doch jetzt? Kein Bedarf. Ganze vier Personen hätten sich gemeldet, teilte Erikli hörbar konsterniert mit. Ja, ist Corona denn gar kein Thema mehr?
Doch, das ist es durchaus. Aber nach bald zwei Jahren Pandemie hat sich in den Intendantenbüros, Probenräumen und Galerien Fatalismus breitgemacht. Gab es im vergangenen Jahr unter Slogans wie „Alarmstufe Rot“ und „Ohne Kultur wird‘s still“ noch Demonstrationen und Internetkampagnen, nimmt man die immer neuen Hiobsbotschaften inzwischen fast schon lethargisch zur Kenntnis: Es kommt ohnehin, wie es kommt. Also lasst uns einfach weiterspielen, bis die Politik unsere Hütte wieder dicht macht!
Zunächst gab es noch Hoffnung
Wenn zur Katastrophe überhaupt eine Steigerungsform denkbar ist, dann trägt sie den Namen 2021. So groß die Not während der Lockdowns im vergangenen Winter auch war: Es hatte damals wenigstens Hoffnung gegeben.
Auf Impfstoffe, die schon bald einem Großteil des Publikums sichere Kulturerlebnisse garantieren könnten. Auf ein Publikum, das sich tatsächlich als so „hungrig“ auf Kultur erweist, wie in zahlreichen Sonntagsreden zu hören war. Und auf eine Politik, die ihre Hilfszusagen einlösen, vor allem freie Künstler vor dem finanziellen Aus bewahren würde.
Doch im Jahr 2021 zerplatzte eine Blase nach der anderen. Als erstes löste sich die Hoffnung nach kulturpolitischer Kompetenz in Luft auf. Die von CDU-Staatsministerin Monika Grütters hochtrabend angekündigten Hilfsprogramme für freie Künstler erwiesen sich als teils untauglich, teils zu spät, teils zu schlecht ausgestattet – und oft genug alles zusammen.
Dramatische Besuchereinbrüche
Als dann endlich wieder ein geregelter Kulturbetrieb möglich war, kehrte bald die zweite Stufe der Ernüchterung ein. Die Südwestdeutsche Philharmonie vermeldete im Oktober einen Besuchereinbruch von sage und schreibe zwei Dritteln ihres angestammten Publikums.
Beim Theater Konstanz war es noch immer ein Viertel. Um 50 Prozent seien die Ticketumsätze gegenüber 2018 und 2019 gesunken, heißt es etwa am privat geführten Bad Säckinger Gloria Theater. „Viele Leute sind noch verunsichert und kommen nicht“, sagt Intendant Jochen Frank Schmidt.
Mit Beginn der vierten Infektionswelle hat sich auch die letzte Hoffnung erledigt. Ohne Maske dicht gedrängt im Theater sitzen und anschließend gemeinsam entspannt ein Glas Sekt trinken: Diese Art des unbeschwerten Kulturgenusses mutet im zweiten Coronawinter noch sehr unrealistisch an.
Also alles düster im zweiten Corona-Jahr? Kommt drauf an.
Mischung aus analogen und digitalen Angeboten
Dass auch in schwierigen Zeiten Erfolge möglich sind, bewies etwa die Ludwigshafener Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, wo Intendant Beat Fehlmann – bis 2018 Chef der Südwestdeutschen Philharmonie in Konstanz – mitten in der Krise eine Steigerung der Abonnentenzahlen verkündete.
Zur selben Zeit haben Experten Strategien für Kulturveranstaltungen in pandemischen Zeiten entwickelt. Im Festivalbereich etwa bieten hybride Formate aus analogen und digitalen Angeboten eine Zukunftsperspektive. Besser als nichts sind solche Szenarien allemal.
Kultur war bisher in erster Linie Sache der Länder und Kommunen, doch dort blickt man nach bald zwei Jahren Pandemie in leere Kassen. Das ist ein schlechtes Signal für eine Gesellschaft, die ihr Selbstverständnis – anders als etwa in zentralistischen Nationen wie Großbritannien oder Frankreich – aus einem reichhaltigen Kulturangebot in der Fläche bezieht.
Die Länder haben kein Geld mehr
Von Berlin müsste deshalb mehr kommen als die bislang übliche Finanzierung einzelner Leuchtturmprojekte. In Claudia Roth (Die Grünen) jedenfalls hat die neue Regierungskoalition eine Politikerin zur Staatsministerin ernannt, deren kulturpolitisches Profil nur wenig Erfahrung mit den praktischen Nöten öffentlicher Kulturbetriebe aufweist.
Linke Medien wie die Berliner „taz“ loben die Personalie als passende Antwort auf die „von Grütters beförderte Preußenrenaissance“. Doch so berechtigt und ja, auch überfällig die Abkehr von diesem fragwürdigen Stil nationaler Kulturpolitik ist und so ehrenwert die im Koalitionsvertrag genannten Ziele wie „Barrierefreiheit, Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ auch anmuten mögen: Kulturschaffenden wäre in der aktuellen Situation mit einem gewieften Taktiker und Geldbeschaffer wie Grütters‘ Amtsvorgänger Bernd Neumann wohl mehr geholfen.
Musikstudenten treten gar nicht mehr an
Schließlich erreicht die Erosion bereits den künstlerischen Nachwuchs. Musikhochschulen vermelden, dass Bewerber trotz bestandener Aufnahmeprüfung ihr Studium gar nicht erst antreten – zu aussichtslos erscheint ihnen die Zukunftsperspektive. „So etwas habe ich noch nicht erlebt. Wenn das so weitergeht, ist das ein Desaster für den Kulturstandort Deutschland“, sagt Christian Höppner, Chef des Deutschen Musikrats.
Mitmachen für alle?
Man wolle „Kultur mit allen ermöglichen“, heißt es im neuen Koalitionsvertrag, und zwar „unabhängig von Organisations- oder Ausdrucksform“. Kultur als große Mitmachaktion für jedermann: So ließe sich das Problem fehlender Finanzen und Perspektiven natürlich auch lösen.