Lieber Boris Herrmann,
Sie haben es fast geschafft: Kommende Woche werden Sie, wenn alles gut geht, nach gut zweieinhalb Monaten das Ziel erreichen. Am 8. November waren Sie als Einhandsegler wie 26 andere Männer und sechs Frauen in Les Sables d‘Olonne an der französischen Atlantikküste zur Weltregatta Vendée Globe gestartet, allein auf einem gut 18 Meter langen Segelboot. Ohne Zwischenstopp, ohne äußere Hilfe ging es den Atlantik nach Süden, um Südafrika nach Osten in den Indischen Ozean und weiter in den Südpazifik, um schließlich ab Kap Hoorn den Atlantik wieder zurück nach Frankreich zu segeln.
Diese verrückte Weltregatta gibt es seit 1989. Alle vier Jahre startet sie in der Küstenstadt im Département Vendée – daher der Name. Der erste Sieger, Titouan Lamazou, war 109 Tage unterwegs. Der Bretone Armel Le C‘leach schaffte vor vier Jahren die Strecke in 74 Tagen. Diesen Rekord knackt dieses Jahr keiner. Zu kapriziös waren Winde, Strömungen und Wellen in den verschiedenen Meeren. Wer siegen wird, steht noch nicht fest. Mindestens fünf Segler können sich Hoffnungen auf den Sieg machen. Auch Sie, lieber Boris Herrmann. Sie sind der erste Deutsche, der an einer Vendée Globe teilnimmt. Und dann gleich so gut. Chapeau!
In den Meeren des Südens mussten die Segler nicht nur Windgeschwindigkeiten um 50 oder 60 Knoten bei Eiseskälte und sieben bis zehn Meter hohe Wellen aushalten. Immer ging an den Booten auch irgendetwas kaputt. Auch Sie, Boris, sind den 28 Meter hohen Mast hochgeklettert, um eine Segelbefestigung dort oben zu reparieren. Ausgerechnet am Kap Hoorn, wo Wind und Meer besonders tückisch sind, mussten Sie auch einen Riss im Großsegel flicken.

Was mir bei dieser Regatta so besonders gefällt, das ist die große Solidarität, die die Segler untereinander haben. Als Kevin Escoffiers Boot regelrecht in der Mitte in zwei Teile zerbrach, nahmen verschiedene Boote einen Umweg, um ihm zu Hilfe zu eilen, auch Sie, Boris Herrmann. Der älteste Teilnehmer der Regatta, der 61-jährige Jean Le Cam, nahm Kevin schließlich auf, bis ein Boot der französischen Marine den Schiffbrüchigen aufnahm.

Es gibt freilich auch ruhigere Zeiten, in denen Sie sogar lesen können. Besonders gut hat mir gefallen, als Ihr Mitstreiter Benjamin Dutreux ein Foto schickte. Er saß da und las „Das geheime Leben der Bäume“ von Peter Wohlleben. Mitten auf dem Meer, nicht schlecht, was?

Toll ist auch, was Sie als Weltumsegler für die Wissenschaft und die Klimaforschung leisten. Im Reisegepäck hatten Sie Bojen, die Sie an ausgesuchten Orten ins Wasser gelassen haben. Sie messen den CO2-Gehalt. Auch Proben, um den Mikroplastik-Gehalt der Ozeane zu messen, haben Segler an Bord geholt.
Einen Wermutstropfen gibt es: Den grandiosen Empfang, den allen heimkehrenden Seglern, auch dem aller Letzten, zigtausende Zuschauer zu jeder erdenklichen Tages- und Nachtzeit in Les Sables d‘Olonne bereitet hätten, den gibt es dieses Jahr coronabedingt leider nicht. Aber auf Ihre Frau und Ihr sechs Monate altes Kind freuen Sie sich bestimmt genauso. Jetzt wünsche ich Ihnen einen problemlosen Endspurt, ich drück Ihnen und auch allen anderen die Daumen. Egal, an welcher Stelle Sie ankommen: Sieger seid sind Sie alle!
Mit freundlichen Grüßen
Roland Wallisch, SÜDKURIER-Redakteur