Prügelstrafe an Schulen? Längst abgeschafft, winken die Deutschen ab. 50 Jahre sind es her, seit Lehrer den Rohrstock einpacken mussten. Die Kinder darf man nicht mehr schlagen, dafür haben wir heute neue Prügelknaben entdeckt: die Lehrerinnen und Lehrer. Wenn von ihnen die Rede ist, sprechen wir von Bildungsmisere, Mangel, Unterrichtsausfall, Teilzeitansprüchen, Überforderung, Burnout.

Seit 2001 sind die Deutschen im Dauerschock – die Pisa-Studie schreckte das ganze Land auf, allerorten spitze Aufschreie: „Das kann doch nicht sein!“ Wir in Deutschland, dem Land der erfolgreichen Ingenieure, Autobauer, dem Land von Goethe, Schiller, Heine, Thomas Mann – weit abgehängt.

Das Goethe-und-Schiller-Denkmal in Weimar.
Das Goethe-und-Schiller-Denkmal in Weimar. | Bild: Michael Reichel/dpa

Damals gehörten die deutschen Schüler besonders im Lesen, Rechnen und in den Naturwissenschaften zu den schlechtesten und landeten je nach Aufgabengebiet auf Platz 21 bis 25 von 32 Staaten. Was für eine Schande! Erst im vergangenen Jahr zeigte ein internationaler Vergleich des Münchener Ifo-Instituts, dass fast 24 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland grundlegende Kompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen fehlen.

Praxisschock vor der Klasse

Doch woran liegt das? An den Lehrern und ihren Methoden, dem Lehrplan, den Rahmenbedingungen an der Schule, dem Lehramtsstudium? Bei uns sind die Lehrer ein Rädchen im System, ein Verschleißteil. Statt sie zu unterstützen, granteln und meckern wir an ihnen herum. Sie ähneln Kellnern, die den Unmut der Restaurantgäste ertragen müssen, wenn ihnen das Essen nicht schmeckt.

Noch immer hängt der Bildungserfolg in Deutschland entscheidend vom Elternhaus ab. Ehe sich das nicht ändert und alle sozial benachteiligten Kinder die Förderung erhalten, die sie brauchen, wird sich an den schlechten Noten für die Bildungspolitik in Deutschland nichts ändern.

Angehende Gymnasiallehrer stehen erst nach Jahren des Studiums ein erstes Mal vor der Klasse – für viele ein Praxisschock. Sie fühlen sich alleingelassen, rauschen schon zu Beginn ihres Berufslebens in die Überforderung hinein. Viele zerreiben sich an Schulen, die personell und strukturell nicht auf die Verschiedenheit der Kinder vorbereitet sind. Denn in ihren Klassen sitzen immer mehr ausländische Kinder, die erst noch Deutsch lernen müssen.

Unterversorgt mit digitaler Technik

Und wie sollten die Lehrer in der Pandemie den Fernunterricht stemmen, wenn viele Schulen noch unterversorgt sind mit digitaler Technik und die Schulung der Lehrer hier lange ganz hinten anstand? Dann mussten sich noch im vergangenen Jahr 1600 von ihnen, die nicht verbeamtet sind, allein in Baden-Württemberg zu Beginn der Sommerferien wieder einmal arbeitslos melden. Erst seit diesem Sommer werden auch befristet beschäftigte Lehrkräfte im Südwesten weiter bezahlt.

Vor Kurzem hat sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann bemüßigt gefühlt, sich zu Hausaufgaben zu äußern, nachdem die Linke-Politikerin Janine Wissler deren Abschaffung gefordert hatte. Als Lehrer habe er fast nie welche gegeben, sagte er, weil er von deren Erfolg nicht überzeugt gewesen sei. Er sei für die Abschaffung, wenn man gleichzeitig die verbindliche Ganztagsschule einführe. Ein Vorstoß der rot-grünen Landesregierung sei jedoch am Widerstand der Bevölkerung gescheitert.

Mischte sich in die Diskussion um Hausaufgaben ein: Winfried Kretschmann, früherer Lehrer und heutiger Ministerpräsident von ...
Mischte sich in die Diskussion um Hausaufgaben ein: Winfried Kretschmann, früherer Lehrer und heutiger Ministerpräsident von Baden-Württemberg. | Bild: Daniel Löb/dpa

Da funkt ein Altlehrer, der einst Nebenfächer unterrichtet hat, seinen ehemaligen Kollegen in die Parade, anstatt sich zusammen mit seiner Kultusministerin ernsthaft Gedanken zu machen, wie dem Lehrermangel am besten begegnet werden kann. Mit solchen Vorstößen sicher nicht!

Welche Wohltat ist da der US-Film „Der Club der toten Dichter“ aus dem Jahr 1989. Darin eröffnet Robin Williams als engagierter Lehrer an einem konservativen Internat seinen Schülern die Welt der Literatur und der schönen Dinge des Lebens: Sie erleben und spüren Poesie, anstatt nur auswendig Gelerntes zu wiederholen. Er kämpft gegen eine Wand von Betonköpfen in der Schulleitung – und muss die Schule am Ende verlassen. Ein den Schülern so zugewandter Lehrer ist eine Bereicherung.

Die Finnen zeigen, wie es geht

Im besten Fall sind Lehrer Vorbilder. Vom ersten Schultag an empfangen sie die Kleinen mit offenen Armen. Doch bei Eltern spricht sich oft schnell herum, wie ein Lehrer so ist, welche Macken er hat, ehe deren Kinder überhaupt den ersten Schritt in die Klasse gesetzt haben. „Nein, das geht gar nicht: So viele Hausaufgaben, das ist nicht zu schaffen! Die Klassenarbeit war aber unfair, viel zu schwere Fragen!“

Das ständige Kritteln gipfelt darin, dass sich jeder zum Schulexperten berufen fühlt. Wer quatscht einem Anwalt oder einem Arzt dauernd in seine Arbeit hinein? Niemand. In kaum einem anderen Beruf gibt es so viele vermeintliche Experten – auch unter den Eltern – wie bei Lehrern.

Warum nur haben wir so wenig Vertrauen in sie?

Und was sollen die Kinder denken, wenn Eltern derart die Autorität der Lehrer infrage stellen? Stundenlang, den ganzen Vormittag, Woche für Woche, Jahr für Jahr begleiten Lehrer ihre Schüler. Wir sollten uns das afrikanische Sprichwort zu Herzen nehmen: „Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf.“ Weder dem Lehrer, den Eltern noch der Schule allein kann das gelingen.

Wie wichtig Lehrer für eine Gesellschaft sind, haben die Finnen längst erkannt. Dort genießen sie hohes Ansehen. Vielleicht auch, weil die Anforderungen an den Beruf recht hoch sind: Bewerber brauchen sehr gute Noten. Auch ihre Motivation und ihre Teamfähigkeit werden getestet. Die Praxisphasen, die von einigen Wochen bis zu mehreren Monaten reichen, verteilen sich auf die gesamten fünf Jahre des Studiums. Jede der elf Übungsschulen in Finnland gehört zu einer Universität.

Studierende ganz nah am Unterricht

So gibt es an der Uni in Helsinki eine Grundschule, an der Studierende in Zweierteams den Unterricht beobachten, ehe sie selbst für einige Wochen vor der Klasse stehen. Sie können sich gegenseitig bewerten und tauschen sich eng mit dem Lehrer der Klasse aus. Die Schüler bestimmen viel mehr mit, was Lernthema sein soll, die Lehrer haben viel größere Freiheiten, das staatliche Curriculum umzusetzen. Sie können auch nach Jahren im Lehrberuf an die Universität zurückkehren, um sich fortzubilden – das wird sogar sehr gerne gesehen.

Eine junge Lehrerin an der Tafel im Mathematikunterricht einer achten Klasse.
Eine junge Lehrerin an der Tafel im Mathematikunterricht einer achten Klasse. | Bild: Julian Stratenschulte/dpa

Seit der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie seine Studien veröffentlichte, wissen wir, wie sehr der Lernerfolg vom Lehrer abhängt. Doch was macht gute Lehrer aus? Sie sind strukturiert im Unterricht, brauchen Haltung, kennen ihren Einfluss auf die Schüler, motivieren, unterstützen und begleiten sie. Sie trauen Kindern viel zu, muten ihnen aber auch viel zu. Lehrer müssten gute Zuhörer sein, sagt Hattie, und sofort etwas ändern, wenn ihr Unterrichtskonzept nicht aufgehe. Den größten Einfluss auf den Lernerfolg habe eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Lehrer und Schüler, das Zulassen von Fehlern, die Klarheit der Lehrer und das Feedback von Schülern und Kollegen.

Lehrer sind Mutmacher und Begeisterer

Lehrer sehen das einzelne Kind inmitten der Schar der anderen, wissen viel mehr über dessen Stärken und Schwächen in der Gruppe als die Eltern. Sie verlieren nie den Glauben an einzelne Schüler und lassen sie nicht auf der Strecke. Im besten Fall sind sie Vorbild, Mutmacher, Wissende, Begeisterer – und das Tag für Tag.

Ein Lehrer müsse offen, neugierig und gewissenhaft sein und starke Nerven haben, sagt Norbert Seibert, Professor für Schulpädagogik an der Universität Passau. Wenn er kein Interesse, keine Motivation für die Schüler habe, sinke deren Leistung rapide.

Also, wo soll das hinführen, wenn wir unsere Lehrer nicht unterstützen und ihnen Vertrauen schenken bei ihrer anspruchsvollen Aufgabe: nämlich unsere Kinder zu bilden und ins Leben zu begleiten? Lassen wir sie unterrichten, geben wir ihnen Fachleute an die Hand, die ihren Unterricht regelmäßig besuchen. Aber nicht, um dann mit erhobenem Zeigefinger Kritik zu üben, sondern um ihnen zu zeigen, wie sie auf die Schüler wirken und was sie besser machen können.

Dieses Schuljahr sei das schlimmste seit 50 Jahren beklagte der Deutsche Lehrerverband im vergangenen Jahr und schätzte 30.000 bis 40.000 unbesetzte Stellen. Bis 2030 sieht das Institut für deutsche Wirtschaft sogar 68.000 fehlende Lehrer. Höchste Zeit, diese Lücke zu schließen. Lassen Sie uns die Lehrer wertschätzen und Bildung als das betrachten, was sie ist: eine gemeinsame, lebenslange Aufgabe aller Beteiligten.