Strafprozesse geraten in manchen Fällen nach Jahren ein zweites Mal in die Schlagzeilen. Und zwar dann, wenn nach der Verurteilung neue Beweise und Zweifel an der Entscheidung auftauchen und das Wiederaufnahmeverfahren beginnt.

Im Jahr 2001 wird einer Ingolstädter Mutter, ihren zwei behinderten minderjährigen Töchtern und dem Freund der Tochter vorgeworfen, den Vater der Familie ermordet und an die Sauen verfüttert zu haben. Der Fall malt bald autobahnbreite Schlagzeilen in die Zeitungen, weil das Dorf, in dem die Familie ihren Bauernhof betrieb, nun glauben muss, die örtlichen Metzger hätten die Schweine verarbeitet, die diesen Bauern vertilgten, und man habe deshalb den toten Bauern auf dem Frühstücksbrot.

Bald gibt es zwar für die Angeklagten hohe Haftstrafen – aber nur einen einzigen Beweis: ein frühes Geständnis der vier. Zwar haben sie das inzwischen widerrufen, dem Gericht genügt es trotzdem für eine Verurteilung.

Acht Jahre später kommt es an der Donau zu einer erstaunlichen Entdeckung. Aus dem Fluss wird ein Auto gezogen. Am Steuer des Wagens sitzt: die Leiche des Bauern. Der Körper besitzt keine Verletzungen, weder ist er – wie im Urteil festgehalten – erschlagen worden noch zerstückelt, noch enthauptet, noch den Schweinen zum Fraß vorgeworfen. Die Geständnisse waren falsch.

Gestehen, was nie geschah

Falsche Geständnisse können freiwillig erfolgen oder aufgrund einer Manipulation. Manche gestehen, weil sie glauben, nach Hause gehen zu können, oder sie wollen jemand anderen schützen oder im Licht eines Verbrechens heller strahlen. Geständnisorientierte Vernehmungstechniken machen aus der Verhörperson einen anderen Menschen. Manipulationen gehen so weit, dass die Verhörten gestehen, was nie geschah.

In den USA ist eine Methode verbreitet, die kurz die Reid-Methode genannt wird. Dabei wird zuerst bestimmt, ob der zu Vernehmende schuldig ist oder nicht. Anschließend wird das Denken des Verhörten toxisch motiviert, damit er gesteht. Dazu gehören das Eintrichtern von falschen Tatszenarien, das Präsentieren von falschen Beweisen und das Nichtzulassen von Leugnen.

Im Fall des vermeintlichen Mords von Ingolstadt hatte die Polizei die so provozierten Geständnisse gefilmt. Und mehr als das: Die Beschuldigten sollten unter Regieanweisungen die Abläufe sogar vorspielen. Dieser Film existiert und wird auf Fortbildungen als warnendes Beispiel gezeigt.

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Insbesondere, weil der Pflichtverteidiger bereitwillig mitspielte und als Statist das Opfer gab. Das kannst du nicht erfinden, was dieser Film zeigt: Wie im Schraubstock werden geistig Behinderte für die Tat zurechtgefeilt.

Die Jüngere hat ein rundes Gesicht, die Ältere eher ein schmales, und ihr Haar ist dunkler. Wenn sie antworten, rücken beide Schwestern näher zusammen, sie stehen in der offenen Tür im Durchgang zur Waschküche und rauchen. Dass sie geistig behindert sind, ist in dem Film nicht zu erkennen.

Das Licht dringt durch die offene Haustür, eine Treppe führt zu den Wohnräumen nach oben. Es ist Herbst, und die Außenaufnahmen, insbesondere vom Misthaufen, zeigen einen klammen, wolkendunklen Tag.

Nur der Anwalt trägt einen Mantel, draußen im Hof vor der Miste spielt er jetzt wieder das Opfer, den Vater, der mit dem Mercedes vom Saufen heimkehrt und episch in wenigen Minuten erschlagen wird. Der Vater-Kopf wird abgetrennt werden und ausgekocht, und die Schweine fressen die Knochen, das Dorf dann die Schweine.

Gerhard Zahner, Jahrgang 1957, in Singen geboren und aufgewachsen, arbeitet seit 1989 als Anwalt mit den Schwerpunkten Strafverteidigung ...
Gerhard Zahner, Jahrgang 1957, in Singen geboren und aufgewachsen, arbeitet seit 1989 als Anwalt mit den Schwerpunkten Strafverteidigung und Familienrecht. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist er zudem als Autor von Theaterstücken und Kriminalromanen (“Goster“). | Bild: Fricker, Ulrich

Warum der Anwalt in diesem Verhörfilm der Polizei mitspielte, wird sich nie ergründen lassen, er ist ein schlanker vierzigjähriger Mann und offensichtlich künstlerisch begabt. Es gefällt ihm, wenn der Hauptkommissar anerkennend lächelt.

Was den Film von einem normalen Film unterscheidet, ist die Macht, die er besitzt. Er wird einer Familie die Freiheit kosten und das Blei der Schuld auf ihre Schultern ausgießen. Dieser Film wird vor Gericht gezeigt. Drei Richter und zwei Schöffen werden ihm glauben, egal, ob die Angeklagten ihre Geständnisse widerrufen.

Das Ganze spielt in Ingolstadtnähe, im Jahre 2001. Bauer R., hochverschuldet, vom Kuckuck gejagt, fährt mit dem Mercedes zum Saufen und kommt nicht heim. Seine Frau sucht in den Kneipen, geht zur Wahrsagerin, die minderjährigen Töchter vertrauen ihren Tagebüchern die Sorge an, weil der Papa nicht heimkehrt.

Als eine Nachbarin mit ihrem Hass im Dorf das Gerücht verstreut, „den haben – ermordet – die Sauen gefressen“, blüht das Dorf im Gerücht. Der Druck auf die Trauernden wächst, die immer noch den Vater suchen, Wahrsager weiter befragen. Und um die Sage loszuwerden, sagt die Ehefrau beim Metzger aus Trotz: „Nein, den hat der Hund gefressen und nicht die Sauen.“ Ironie ist eine teure Währung, wenn die Umwelt mit Gift zurückzahlt.

Kopf abgetrennt, aber kein Blut zu finden

Ja, diese Familie wird überführt werden, weil der Kommissar ein Motiv erkennt, nach dem er seine Fragen ausrichtet. Sie sind behindert. Da ist alles möglich. Die Mädchen werden eingesperrt in Fragen, auf die sie nicht mit ihrer Nichtschuld antworten können.

„Hat die Mama mit dem viereckigen oder dem runden Knüppel geschlagen?“, fragt der Kommissar.

„Mit dem runden.“

„Hat der Hammer den Papa von hinter oder von vorne getroffen?“

„Von vorne.“

„Habt ihr ihn auf einer Folie geschleift zur Waschküche, oder hat er nicht geblutet?“

„Er hat nicht geblutet und auf einer Folie geschleift.“

Letzte Antwort in diesem Schuld-Schuld-Spiel ist von Bedeutung, weil auch chemisch im ganzen Haus und Hof kein Tropfen mit einer Luminollösung zum Leuchten gebracht worden ist. Es blieb blutdunkel.

So hat diese Leiche, der der Kopf abgetrennt, die mit dem Hammer erschlagen, der der Schädel in der Waschküche ausgekocht wurde, eben für Polizei und Urteil kein Blut enthalten und das Gericht, das diese vier Wehrlosen dann zu hohen Haftstrafen verurteilte, hat auch das geglaubt.

Der Erschlagene starb, ohne zu bluten, rutschte auf der Folie durchs Haus bis in die Miste und dann in den Magen der Schweine. Denn es gibt kein anderes Motiv als die Limitiertheit der Täter, und sie sind wehrlos, den Fragen zu widersprechen, die die Möglichkeit der Unschuld von vornherein ausschließen.

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Acht Jahre später wird ein Mercedes aus dem Staubecken der Donau gefischt. Der Bauer R. sitzt am Steuer mit seinem Kopf auf den Schultern. Die Leiche hat keine Verletzungen, aber auch kein Wasser in den Lungen. Die Vermutung liegt nahe, er hat im Jahr 2001 selbst das Ende gewählt.

Ganz sicher war er nie an die Schweine verfüttert, nie im Misthaufen begraben, das Dorf hat nicht die Schweine gefressen, die den Bauer gefressen hatten, sein Kopf war nie einem Zimmermannshammer begegnet und besaß kein Loch in der Schädeldecke.

Bei der Bergung aus der Donau dann zu allem Übel stellt man sich so dumm an, dass sich die Fahrertür öffnet und der Leichnam in der Donau davonschwimmt, bis ihn die Feuerwehr dann wieder einfängt. Offensichtlich hat auch er genug. Das haben sie nicht gefilmt.

Tatsächlich hat das Wiederaufnahmeverfahren in erster Instanz keinen Erfolg. Die Familie soll ihn jetzt in die Donau gestoßen haben. Sie hätten ihn also an die Aale und nicht an die Schweine verfüttert. Ein Dutzend Aale flohen bei der Bergung aus dem Schädel des Toten.

Regina Rick, der Star der deutschen Anwältinnen, trägt die Sache dann vor das Oberlandesgericht, und dieses lässt endlich alle filmischen Albträume platzen, spricht die Gebrochenen frei von der Schuld, den Vater ermordet zu haben, den Ehemann, den Freundinnenvater.

Geständnis als Ziel des Verhörs

25 Prozent aller Urteile in den Vereinigten Staaten, soweit sie mit DNA-Methoden später überprüft werden konnten, haben sich als falsch erwiesen. Auch bei uns geben 20 Prozent der Polizisten an, das Ziel eines Verhörs sei das Geständnis. Unschuld kommt dann nicht vor.

Gerichte interpretieren einen Sachverhalt, zu dieser Wirklichkeit zählen aber auch der Irrtum und das Fehlurteil. Das Erkennen liegt in uns und der Gegenstand oder Sachverhalt, den wir beurteilen, außer uns. Wenn vor einer Ermittlung die Staatsgewalt glaubt, die Wahrheit bereits zu kennen, bevor auch nur ein Beweis erbracht ist, wird es kein faires Verfahren geben. Die innere Überzeugung lässt kein objektives Erkennen mehr zu.

In diesem Fall war es die Behinderung, die diese Familie von vornherein schuldig machte. Behinderung als Schuld ist leider kein Thema allein der Vergangenheit. Je schrecklicher die Tat vorgegeben wurde, desto mehr konnte sie nur von Behinderten begangen worden sein. Diese Logik ist unmenschlich. Wie der ganze Fall.