Wer Augen und Ohren offen hält, kann jeden Tag was lernen. Wir haben aufgeschrieben, welche Erkenntnisse aus diesem Jahr bei uns besonderen Eindruck hinterlassen haben.
Die Leute lieben den Nahverkehr – wenn er günstig ist
Es war der Neun-Euro-Sommer. Für einen schmalen Taler fuhr die halbe Republik in Bummelzügen durchs Land. Wenn die Züge denn fuhren. Und noch Platz im Waggon war. Das schreckte die wenigsten: Die Leute hatten Lust auf Zugfahren. Offenbar zu viel für die Politik. Die druckst seither rum, wenn es um eine Nachfolgelösung geht. Erst war der Preis unklar, dann die Finanzierung, der Zeitpunkt, die technische Umsetzung.
Kommunen, Länder, Bund: Jeder schob dem anderen den Schwarzen Peter zu, keiner zeigte Begeisterung. Man musste meinen, dass den Nahverkehr zu vereinfachen so kompliziert ist wie Energieerzeugung durch Kernfusion. Doch hier belehrte uns das Jahr eines Besseren: Die Fusion hatte mittlerweile Erfolg.
Der Klimawandel wirkt sich in der Region aus
Egal ob rekordverdächtige Sommerhitze, sinkender Bodenseepegel oder sterbende Gletscher: Die Folgen des Klimawandels sind im Südwesten offensichtlich geworden. So galt etwa bisher für den Bodensee: hoher Pegel im Sommer durch Schneeschmelzwasser, tiefer im Winter. Dieser Zyklus wird sich laut Experten infolge des Klimawandels langfristig abschwächen aufgrund weniger und schneller schmelzender Schneerücklagen sowie mehr Regens im Winterhalbjahr. Einen Vorgeschmack lieferte dieser Sommer.

In den Alpen ziehen sich derweil die Gletscher schon länger immer mehr zurück, sterben. Dadurch und durch das Schmelzen des Permafrosts kommt es häufiger zu Steinschlägen, verändert sich die Alpen-Landschaft unwiederbringlich.
Warten lohnt sich immer
In der Tiefe seines Herzens hat Charles Philip Arthur George aus dem Hause Windsor vermutlich selber nicht mehr daran geglaubt, eines Tages doch noch König zu werden. Nach 70 Jahren im Wartestand konnte ihm das aber auch niemand ernsthaft verdenken. Aber wie heißt es doch? Was lange währt, wird endlich gut. Charles hat das Ziel, auf das er fast sein komplettes Leben geduldig gewartet hat und auf das er umfassend vorbereitet wurde, endlich erreicht.

Entsprechend groß sind die Erwartungen. Größer jedenfalls als die anfängliche Freude – denn immerhin wurde er nur durch den Tod seiner Mutter zu König Charles III. Aber spätestens nach der Krönung im Frühjahr darf er die Position genießen – und die Briten Spaß am Ausgeben der Münzen mit seinem Konterfei haben.
Nichts ist so stabil wie gedacht
Weder die Preise im Supermarkt, noch der Frieden in Europa und nicht mal das größte zylindrische Aquarium der Welt. Besonders ungewohnt ist das für die jüngere Generation, die im Wohlstand aufwuchs. Mit Vertrauen in die Zukunft, Konsumgütern im Überfluss und scheinbar unbegrenzten Chancen. Bereits die Corona-Pandemie war ein unangenehmer Wachrüttler. Doch das Jahr 2022 brachte diesen Effekt auf ein neues Level.
Gefühlt werden alle außer Elon Musk immer ärmer. Die Klimakrise spitzt sich zu, Putin scheint unbezähmbar und die Bürger radikalisieren sich. Alle Erfolge der vergangenen Monate wirken wie ein paar Pflaster auf einer Stichwunde. Deutschland scheint sich an die Dauerkrisensituation zu gewöhnen. Der Vorteil: Bald überrascht uns gar nichts mehr.
Für ein Sommermärchen braucht es keine Männer
Die deutsche Frauen-Nationalelf sorgte bei der Fußball-Europameisterschaft in England vom 6. bis 31. Juli für viel Euphorie. Eigentlich reiste die Mannschaft von Trainerin Martina Voss-Tecklenburg als Außenseiter an, so die einhellige Meinung der Experten vor dem Turnier. Doch schnell wurde deutlich, dass mit diesem Team alles möglich ist. Auffallend bei der DFB-Auswahl: der Teamgeist und die leidenschaftliche Spielweise.

Letztlich mussten sich Alexandra Popp, Giulia Gwinn und Co. im Finale in der Verlängerung Gastgeber England geschlagen geben. Dennoch waren die deutschen Fans stolz auf ihre Mannschaft, die für einen enormen Boom sorgte: mehr Zuschauer und ein sprunghaft gesteigertes Interesse im Nachwuchsbereich.
Auch in Krisenzeiten wird gefeiert
Keine Frage, 2022 war allerhand los auf der Welt. Auf der einen Seite die Corona-Pandemie, die mit der ansteckenden Omikron-Variante am Jahresanfang noch einmal stark um sich griff, auf der anderen der Ukraine-Krieg, Fluchtbewegungen und Armut. Man sollte glauben, dass sich die Lust der Menschen aufs Feiern angesichts all dieser Brandherde etwas gedämpft hätte. Doch das Gegenteil war der Fall.

Nach der zweijährigen Zwangspause durch Corona-Maßnahmen suchte die Bevölkerung die Bühnen der Region geradezu, um das Leben wieder zu genießen – vielleicht gerade wegen weltweiter Unsicherheiten. Ob schwäbisch-alemannische Fasnacht, Konstanzer Seenachtfest oder Open-Air-Reihen – überall in Südbaden freuten sich Veranstalter über großen Zulauf.