Herr Herrmann, sind Sie bekannt als der Mann, der Greta Thunberg über den Atlantik gebracht hat, oder sind Sie bekannt als der erfolgreichste deutsche Hochsee-Segler?
Keine Ahnung. Natürlich hat die Reise mit Greta mehr Medienaufmerksamkeit auf einen Schlag erzielt, aber Segeln ist mein Job. Insofern ist das meine Haupttätigkeit. Die Fahrt mit Greta war eine Ausnahme.

Sind Sie noch in Kontakt mit Greta Thunberg?
Ja. Sie hat mir jetzt zum Geburtstag einen Gruß geschickt. Ich frage sie manchmal was Fachliches, das kann auch vorkommen.

Was haben Sie von dieser Begegnung mit der Schwedin mitgenommen? Hat sie Ihren Blick auf die Welt verändert?
Graduell, würde ich sagen. Mit dem Klimawandel habe ich mich ja vorher schon befasst. Es war interessant, mit ihr Zeit zu verbringen und vielleicht auch ein bisschen genauer hinzuschauen.

Sie sind selbst engagiert beim Schutz der Ozeane und haben mit dem Ocean-Challenge ein Programm für Schulkinder entwickelt. Sind Sie dafür auch selbst in Schulklassen gegangen?
Ja, so hat das Ganze angefangen. Wir hatten schon bei meiner Weltumsegelung 2008/09 zwei Schulklassen, die uns intensiv im Unterricht begleitet haben. Das war ganz toll, ganz engagierte Lehrer, ganz viele Fragen der Kinder. Sie richten auch unser Augenmerk wieder auf ganz neue Dinge. Wie heißen die Vögel genau? Welche Art von Wal haben wir denn da? Sie hatten auch riesige Collagen in ihren Klassenräumen, wo alles aufgeschrieben war. Das hat viel Spaß gemacht.
Wieviel Schulklassen sind bei der aktuellen Kampagne wieder dabei?
Ich kenne nicht die Anzahl der Klassen. Es sind 10.000 Schulkinder aus sechs Ländern dabei. Wir haben an den verschiedenen Orten, wo wir mit der Jacht hin kamen, das Programm vor Ort vorgestellt. Zum Beispiel in Frankreich, auf Guadeloupe, Monaco, Hamburg, da hatten wir bei der Ankunft auch immer wieder Kinder an Bord. Ich bin nicht immer persönlich dabei, oft mache ich aber Skype-Konferenzen mit den Schulklassen. Manchmal ist es auch die ganze Schule, die sich in der Aula versammelt.

Nun steht Ihr Lebenstraum bevor: die Vendée Globe, die alle vier Jahre stattfindet. Ein Segelrennen, allein, nonstop, einmal um die Welt. Was reizt Sie so sehr an diesem Abenteuer?
Das ist ein Kindheitstraum. Ich habe darüber gelesen, Filme gesehen, und das hat mich einfach seit vielen Jahren fasziniert. Diese tollen Bilder aus dem Südmeer, wo die Schiffe unter Autopilot fahren, über Riesenwellen durchs Meer surfen.

Und die Geschichten drum herum, wie die Segler Dinge auf den Booten reparieren, sich selbst verarzten, andere retten. Ich habe als Jugendlicher alle Bücher gelesen, die man darüber finden konnte.
Mit 16/17 will man natürlich nicht die Vendée Globe segeln, aber das hat sich als Traum verankert. Dann habe ich ja das Mini-Transat gesegelt mit 18/19.
Das Transatlantik-Einhandsegelrennen mit 6,50 Meter langen Booten.
Genau. Da war das alles schon im Kleinen angelegt. Man muss einen Sponsor finden, man muss einen Kreditgeber finden, um das Boot zu kaufen, man muss hinterher wieder verkaufen. Man muss alles instand halten und navigieren. Wind und Wetter, und Segeltechnik. Das war spannend und da war schon einmal der Eindruck: Ich kann das. Es liegt mir, ich habe, glaube ich, auch einen ganz guten Seemannsverstand, um ein Boot sicher über den Ozean zu bringen. Ich wollte die Vendée Globe schon 2008 machen, 2012, 2016.
Ich war am Start dann immer so wehmütig, im Sinne von „jetzt fahren die los und ich hab‘s nicht geschafft, genügend Geld zusammenzubringen, ein Projekt auf die Beine zu stellen“.

Aber jetzt fühlt es sich richtig an, die richtige Zeit, die richtige Erfahrung. Besser könnte es gar nicht sein.
Ihr eigener Vater Moritz Herrmann geriet vor vier Jahren als 74-Jähriger bei einer Einhand-Weltumsegelung in Seenot. Ein chinesisches Schiff rettete ihn. Wie war denn Ihr Wiedersehen danach? Hat Ihr Vater da vielleicht versucht, Sie in Ihren Segelambitionen zu bremsen?
Nein, das hat er gar nicht. Mir war das unangenehm, dass ihm dieses Missgeschick passierte. Er war traurig über seine Jacht, die er aufgeben musste. Es gab wiederholt Schäden, die Ruderanlage war ausgefallen. So ein bisschen Unglück. Aber er wünscht mir daher umso mehr das Glück. Ich glaube, er ist immer ganz neidisch, dass das bei mir so reibungslos klappt. Aber so ist es halt bei diesen Selbstbastler-Weltumseglern. So ein Typ ist er. Die haben natürlich immer lauter Überraschungen. Nichts ist professionell organisiert, das Zeug muss alles selbst gemacht oder billig gebraucht gekauft sein. Jetzt hat er zum Glück ein neues Boot und macht ganz kleine Ausfahrten in der Nordsee und genießt das.
Zum Start der Vendée Globe kommt er bestimmt.
Das ist vorgesehen. Wobei sich die ganzen Planungen ja bestimmt ändern wegen Corona.
In Ihrem Buch „Nonstop – süchtig nach Segeln„ schreiben Sie „in dem Moment, wo man aufhört, Angst zu haben, kann es gefährlich werden“. Was sind das für Ängste?
Ich habe vor allem Angst etwas falsch zu machen, sodass ich das Rennen aufgeben müsste. Um meine Sicherheit und um mein Leben habe ich keine Angst.
Sie sind verheiratet, Sie werden demnächst Vater. Wäre es nicht besser für die Familie, Sie würden als geprüfter Betriebswirt, der Sie ja auch sind, einen Job an Land annehmen?
Ich glaube, das ist eine Typfrage sowohl der Frau als auch vom Mann. Was wichtig ist für viele Paare, ist, dass der andere glücklich ist, ausgefüllt ein Leben voller Leidenschaft führt. Davon profitieren wir beide. Meine Frau macht ja auch mit in dieser Education-Challenge. Sie war zehn Jahre Lehrerin, und wir haben jetzt während Corona das ganze Unterrichtsmaterial zusammen überarbeitet. Wir haben ein neues Unterrichtspaket entworfen, insofern bindet uns dies Projekt auch zusammen, ermöglicht ihr auch viele Reisen. Natürlich ist das auch herausfordernd mit den vielen Tagen, wo ich weg bin. Aber es gibt ja auch viele typische Betriebswirtberufe, wo man auch viel weg ist. Zum Teil sogar mehr. Wir haben ja jetzt eine neue Partnerschaft mit Kühne & Nagel, und die Manager, mit denen ich zu tun habe, die reisen zum Teil sogar mehr als ich. Vor Corona, muss man dazu sagen. Corona hat sehr viel verändert. Die Zoom-Konferenz ist zum Standard geworden. Gottseidank wird diese zum Teil auch verrückte Reiseaktivität weniger, das ist natürlich auch für die Umwelt wichtig.
À propos Umwelt. Kennen Sie Bernard Moitessier?
Ja, absolut, er liegt auch jetzt wieder neben meinem Bett und ich schmökere darin herum, es ist einfach ein tolles Buch.

In seinem Buch „La longue route“ aus dem Jahre 1971 nach seiner eineinhalbfachen Solo-Weltumseglung 1968/69 beschreibt er die moderne Gesellschaft als Monster, das uns glauben macht, der Mensch sei der Nabel der Welt, in Wirklichkeit mache er aber sehr viel kaputt. Moitessier klagte sogar schon damals über die zu vielen Autos in den Städten. War das ein Umweltschützer vor der Zeit?
Er war seiner Zeit voraus mit seinem Blick auf die Gesellschaft, aber auch mit seiner Technik zu segeln. Sie war relativ modern. Er war auch der erste erfolgreiche Langstreckensegler. Sein Blick auf die Gesellschaft war ein bisschen der Zeitgeist, die 68er-Zeit, wo man die Industriegesellschaft und Umweltzerstörung schon kritisiert hat. Kritik an Atomwaffen und an Atomkraft, das kommt bei ihm im Buch ja auch vor. Er ist als Seemann der Natur verbunden. Er hat dann als Hochseesegler den extremsten Kontrast zum Leben in Paris, das natürlich eine besonders beengte Stadt ist.
Kommen wir nochmal zur Vendée Globe. Sie haben an Bord auch ein Messgerät für den CO2-Gehalt des Ozeans. Ihr Konkurrent Fabrice Amedeo wird den Mikroplastik-Gehalt des Ozeans messen. Sind denn noch andere Meereserkunder bei der Weltregatta dabei?
Wir tauschen uns aus, wir haben eine gemeinsame Whatsapp-Gruppe. Es gibt gemeinsame Aktionen. Wir waren im Januar gemeinsam in Paris bei der Unesco und haben vor 300 Schulkindern zwei Stunden geredet, unsere verschiedenen Projekte vorgestellt, aber auch die Fragen der Kinder beantwortet. Die anderen Skipper, die da aktiv sind, sind Alexia Barrier, Stephane le Diraison, Paul Meilhat, er ist einer der Supersegler und hat die Route du Rhum gewonnen. Er hat im Moment keinen eigenen Sponsor und kein eigenes Boot. Er ist Teammitglied bei Samantha Davies und hilft ihr beim Training und hat auf Samantha Davies Boot ein Gerät installiert, was Phytoplankton messen soll.

Die Boote, die dabei sind, haben alle eine unterschiedliche Aufgabe?
Genau. Die Idee ist natürlich, irgendwann das zu harmonisieren, dass wir alle die gleichen Messgeräte haben.
Mussten Sie schon einmal an einem dieser riesigen Müllhalden im Meer vorbeisegeln?
Ja, auf den Fahrten über den Pazifik, im Nordpazifik. Der Müll sammelt sich ja im Inneren der Hochdruckgebiete, aber wir fahren ja nie in das Innere der Hochdruckgebiete hinein, weil da am wenigsten Wind ist. In den Zonen, wo der Passat aktiv ist, da sieht man das nicht. Aber das viel Gefährlichere ist ja das Mikroplastik, das man nicht sehen kann, und was sich ja wirklich durch alle Ozeane verteilt.

Eine ganz praktische Frage: Der erste Vendée-Globe-Sieger Titouan Lamazou war 109 Tage unterwegs, der letzte vor vier Jahren Armel Le Cleac‘h war 74 Tage unterwegs. Für wie viel Tage haben Sie Proviant dabei?
Für 80. Wir hoffen, dass wir unter 70 Tagen sein können. Unsere Schiffe sind deutlich schneller geworden. Das ist eine Hoffnung, das ist nicht das Hauptziel des Rennens. Wichtiger ist die Platzierung im Rennen. Da würde ich natürlich gerne im ersten Drittel liegen unter den ersten zehn.
Der Brite Alex Thomson ist hoher Favorit, oder?

Absolut, und es wäre toll, wenn er gut durchkommt. Ich bin großer Alex-Thomson-Fan, wir tauschen uns viel aus, sind auch befreundet. Ich würde ihm mehr den Sieg wünschen als mir.

Sie sind im Hochsee-Segel-Leistungszentrum von Port-la-Forêt in der Bretagne dabei. Sind Sie der einzige Ausländer?
Neben Samantha Davies, die ist auch dabei. Ich weiß gar nicht, ob sie sich als Engländerin sieht, sie lebt ja in Frankreich. Aber sonst bin ich der einzige Ausländer.
Ist ja toll, es geschafft zu haben in so einen exklusiven Franzosenzirkel.
Ja, das ist super, das ist eine gute Gruppe. Und bisher wurden alle Vendée Globes von Seglern aus dieser Gruppe gewonnen.
Jean Le Cam wird zum fünften Mal dabei sein. Wollen Sie auch ein Seriensegler der Vendée Globe werden?
Ja, würde ich gerne. Das könnte ich mir gut vorstellen. Irgendwann mit einem neueren Boot, um die technologische Entwicklung mitzuerleben und mitzugestalten, auch. Im Moment ist es so, dass wir diese Entwicklung mitgehen, aber nicht selbst betreiben.
Heißt das Schiff noch Malizia oder hat es einen neuen Namen bekommen?
Wie nennen unser Team noch Malizia und das Schiff heißt jetzt Seaexplorer – Yacht Club de Monaco.
Ihr Maskottchen, so steht es im Schulprogramm, ist die Eule. Hat sie schon einen Platz auf Malizia?
Ich habe die Eule rausgeschmissen und ersetzt durch eine Robbe. Die Eule passte zwar gut zu mir. Die Geschichte der Eule kam, weil es mein Zeichen von Whatsapp war. Damit habe ich meiner Aufforderung ans Team, akribisch zu arbeiten, Nachdruck verliehen, weil die Eule so genau gucken kann. So wurde sie mir zum Maskottchen umgehängt. Aber eine Eule ist eigentlich nicht passend. Denn wenn eine Eule nass wird, kann sie sogar sterben. Deshalb ist es jetzt eine Robbe.
Es gab unter anderem zwei Extremsituationen bei vergangenen Vendée Globes. Einmal musste sich der Teilnehmer Bertrand de Broc unterwegs die Zunge nähen, auf die er sich so stark gebissen hat, ein andermal musste der Schweizer Bernard Stamm eine Zahnfüllung mit Amalgam machen. Haben Sie Ihr Zahngeschirr dabei?

Ja, wir haben eine tolle medizinische Ausrüstung dabei, die wir für die Reise mit Greta nochmal vergrößert haben, um auch ihr die beste Sicherheit zu gewährleisten. Und wir haben natürlich eine umfangreiche medizinische Schulung durchgemacht. Eine weitere steht im September an.
Zum Abschluss: Die Vendée Globe wird ja dank Ihrer Teilnahme als erster Deutscher wohl auch in Deutschland mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, als die bisherigen Vendée-Globes. Sind Sie dann der Eric Tabarly für Deutschland und lösen einen Einhand-Hochsee-Segelboom aus?
Ein Eric Tabarly für Deutschland, das wäre ich gerne. Das wäre die größte Auszeichnung, die Sie mir verleihen könnten. Großer Respekt für Eric Tabarly.