Herr Rösti, Ihre Partei verbreitet als Boulevard-Blatt anmutende Parteiwerbung in Schweizer Briefkästen. Halten Sie das für redlich?

Ja.

In einem dieser „Extrablätter“ behauptet die SVP, dass die Umweltbilanz der Schweiz ohne Ausländer besser wäre – etwa wegen des Wasserverbrauchs. Kommen die Schweizer ohne Wasser aus?

Nein, wir Schweizer kommen nicht ohne Wasser aus und stellen Sie sich vor, wir benötigen sogar Luft zum Atmen! Im Ernst, Sie haben unsere Extrablätter offenbar nur oberflächlich gelesen: Wir sagen lediglich, dass seit der Einführung der Personenfreizügigkeit im Jahre 2002 über eine Million Menschen in die Schweiz gekommen sind. Menschen, die zusätzlichen Wohnraum benötigen, die Autofahren, die Strom brauchen und vieles mehr. Man muss kein Genie sein, um zu realisieren, dass dies in einem Land mit damals 7 Millionen Menschen die Umwelt und die Infrastruktur zusätzlich belastet.

Albert Rösti, Parteipräsident der SVP und Mitglied im Nationalrat der Schweiz.
Albert Rösti, Parteipräsident der SVP und Mitglied im Nationalrat der Schweiz. | Bild: Ivo Scholz

Einerseits wettert die SVP gegen Ausländer, die die Umwelt belasten, andererseits redet sie den Klimawandel klein als „rot-grüne Hysterie“. Wollen Sie den Klimawandel ernsthaft negieren?

Wie kommen Sie zu solchen Interpretationen? Wir bestreiten nicht, dass es den Klimawandel gibt. Wir sind für eine pragmatische, bezahlbare Umweltpolitik. Wir weigern uns aber, panisch zu reagieren und protestierenden Schulkindern hinterher zu laufen.

In einem der Extrablätter geht es darum, dass die Schweiz ohnehin keinen Einfluss auf das Klima nehmen kann. Ist das nicht eine Milchmädchenrechnung, wenn die Schweiz ihre Mitverantwortung am Klimaschutz nicht wahrnimmt?

Die Schweiz hat bereits viel getan für den Schutz der Umwelt, wie übrigens viele andere europäische Staaten auch. Ich denke, wir nehmen unsere Verantwortung durchaus wahr und wir sind auch bereit mehr zu tun – allerdings dort wo es Sinn macht und nicht nur um effekthascherische Symbolpolitik, Umerziehung und Umverteilung geht.

Ein Wanderer spielt Akkordeon an einem See unterhalb des ehemaligen Pizol-Gletschers im Sarganserland im Schweizer Kanton St. Gallen. Im ...
Ein Wanderer spielt Akkordeon an einem See unterhalb des ehemaligen Pizol-Gletschers im Sarganserland im Schweizer Kanton St. Gallen. Im Jahr 2019 wurde er letztmalig vermessen, nachdem er fast vollständig geschmolzen und zerfallen ist. | Bild: Gian Ehrenzeller

Im Parteiprogramm ist immer wieder die Rede von Masseneinwanderung, gefährdete Sicherheit durch Flüchtlinge und Morde, die angeblich an der Tagesordnung sind. Dabei vermeiden Sie es, konkrete Zahlen zu nennen. Ist das nicht eine bewusste Schürung von unbegründeten Ängsten?

Finden Sie? Sie haben unsere Positionspapiere, die auf unserer Website aufrufbar sind, offenbar nicht gelesen. Wir nennen durchaus Zahlen. Ausländer sind gemessen an ihrem Anteil an der Bevölkerung von 25 Prozent bei vielen Straftaten massiv übervertreten. Zum Beispiel bei den Sexualdelikten. Laut der Kriminalitätstatistik des Bundes wurden 2018 insgesamt 626 Vergewaltigungen angezeigt. Von den 527 Beschuldigten waren 317 oder rund 60 Prozent Ausländer. Bei den wegen Vergewaltigung verurteilten Erwachsenen betrug der Ausländeranteil 2017 rund 74 Prozent. Bei wegen sexueller Nötigung Verurteilten waren rund zwei Drittel Ausländer. Auch häusliche Gewalt kommt laut dem Bundesamt für Statistik vor allem bei Migranten vor. So waren 2016 ausländische Männer 3,7-mal häufiger wegen häuslicher Gewalt polizeilich registriert als Schweizer Männer. Der Ausländeranteil in den Schweizer Gefängnissen liegt bei 70 Prozent.

Alles schwarze Schafe? Ein Plakat der Schweizerischen Volkspartei (SVP) von 2016, auf dem die Ausweisung (Ausschaffung) krimineller ...
Alles schwarze Schafe? Ein Plakat der Schweizerischen Volkspartei (SVP) von 2016, auf dem die Ausweisung (Ausschaffung) krimineller Ausländer gefordert wird. | Bild: Thomas Burmeister

Die SVP ist gegen das Rahmenabkommen mit der EU, dabei profitiert die Schweiz massiv vom Binnenmarkt der Europäischen Union. Meinen Sie nicht, dass die Eidgenossen sich den Regeln beugen müssen, die die EU für ihren Markt vorgibt, wenn Sie daran teilnehmen wollen?

Halten Sie so wenig von den EU-Unterhändlern, dass Sie denken, die Schweiz habe von ihnen vorteilhafte bilaterale Verträge geschenkt bekommen? Abkommen kommen zustande, wenn beide Seiten davon profitieren. Die SVP hat nichts gegen bilaterale Verträge, die unter Partnern abgeschlossen werden. Aber sie hat etwas gegen ein Rahmenabkommen, mit dem die Schweiz ihre Autonomie aufgibt. Und aus Sicht der SVP muss die Personenfreizügigkeit aus den eingangs erwähnten Gründen neu verhandelt werden.

Weshalb schüren Sie das Bild der Fremdbestimmung durch die EU? Die SVP saß mit am Verhandlungstisch, hat das Rahmenabkommen aktiv mitgestaltet. Dem Bürger verkauft die Partei eine völlig andere Botschaft.

Unsere Botschaft ist seit allem Anfang dieselbe: Wir wollen kein Rahmenabkommen, welches festlegt, dass die Schweiz automatisch EU-Recht übernehmen muss. Leider haben wir in der Schweiz starke politische Kräfte, die unsere politische Autonomie unterhöhlen wollen. Dagegen wehrt sich die SVP seit vielen Jahren konsequent und hatte in entscheidenden Abstimmungen auch eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich.

Ein umstrittenes Plakat der SVP des aktuellen Wahlkampfs: Es stellt andere Parteien als Würmer dar, die die Schweiz langsam auffressen.
Ein umstrittenes Plakat der SVP des aktuellen Wahlkampfs: Es stellt andere Parteien als Würmer dar, die die Schweiz langsam auffressen. | Bild: SVP

Die SVP hat bei den vergangenen nationalen Wahlen 2015 29,4 Prozent erreicht. Jetzt heißt es, Sie sind ein Parteipräsident, der den Sinkflug seiner Partei aufhalten soll. Woran liegt das?

Die SVP ist die mit Abstand wählerstärkste Partei der Schweiz, die seit den 90er-Jahren kontinuierlich wächst. Alle vier Jahre hieß es hierzulande, wir hätten den Zenit überschritten, nun gehe es bergab. Solche Prognosen erschrecken uns nicht mehr. Warten wir ab, wie die Bevölkerung am 20. Oktober wählt. Wir sind zuversichtlich, dass wir auch am 21. Oktober die mit Abstand wählerstärkste Partei sein werden.

In den Kantonen hat die SVP seit 2015 fast nur noch verloren – haben Sie eine Begründung dafür?

Da gibt es sehr unterschiedliche Gründe. Im Unterschied zu den deutschen Bundesländern sind die Schweizer Kantone sehr klein. Die Kleinsten haben um die 40 000 Einwohner. Da wirken sich oft schon kleinste Veränderungen und personelle Konstellationen aus. Zudem reden wir in der Schweiz schon bei kleinsten prozentualen Veränderungen von Sieg und Niederlage.

Fehlt der Partei eine positive Botschaft? Statt gegen alles zu sein und Ängste zu schüren?

Wir haben die positivste aller Botschaften: Wir stehen für Freiheit, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Unsere Wähler haben nicht Angst, sondern den Wunsch, diese Werte zu verteidigen.

Ein Wahlplakat aus 2014, in dem die SVP vor angeblicher Masseneinwanderung warnt. Bild: Oliver Hanser
Ein Wahlplakat aus 2014, in dem die SVP vor angeblicher Masseneinwanderung warnt. Bild: Oliver Hanser | Bild: Hanser, Oliver

Wie nahe stehen Sie persönlich der deutschen AfD?

Die SVP Schweiz und ich als deren Präsident pflegen keine Kontakte zu ausländischen Parteien. Auch nicht zur AfD.

Was unterscheidet die SVP von der AfD?

Die SVP gibt es im Unterschied zur AfD seit über hundert Jahren. Wir sind sowohl auf kantonaler als auch eidgenössischer Ebene an den Regierungen beteiligt und haben längst bewiesen, dass wir regierungsfähig sind. Es gibt in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zahlreiche Differenzen. Hingegen sind wir wie die AfD in Deutschland in der Schweiz die einzige Partei, welche die Probleme mit der Migration zur Sprache bringt.

Wie eng ist der Austausch der SVP mit der AfD?

Es gibt keinen Austausch.

Wie würden Sie den Durchschnittswähler Ihrer Partei beschreiben?

Intelligent, freiheitlich denkend und lebenserfahren genug, um politische Fragestellungen realistisch einschätzen zu können.

Würden Sie die SVP als populistisch bezeichnen? Oder kokettieren Sie sogar mit dem Begriff?

Die SVP stellt sich in den Dienst ihrer Wählerschaft und betrachtet es als ihren Auftrag, deren Anliegen in den politischen Institutionen einzubringen. Wir sind nahe an den Leuten und setzen uns unermüdlich dafür ein, dass es ihnen in der Schweiz gut geht, dass sie nicht nur hart arbeiten, sondern auch etwas von ihrem Lohn haben, dass ihre Kinder nicht in einem völlig zubetonierten Land leben müssen, dass die Menschen bei uns zu jeder Tages- und Nachtzeit sicher sind, und dass der Wohlstand in der Schweiz erhalten bleibt. Wenn Sie das als populistisch bezeichnen, dann sind wir sehr populistisch.

Quelle: Sotomo September 2019
Quelle: Sotomo September 2019 | Bild: Südkurier

Schweizer Wählergunst

Am 20. Oktober wählen die Schweizer ein neues Parlament. Doch welche Themen spielen eine Rolle im Wahlkampf und weshalb punktet die SVP bei den Wählern als stärkste Partei? Ein Überblick:
 

  • Bestimmende Themen: Die hohen Krankenkassenprämien sind in der Schweiz das Thema, das im Zusammenhang mit den Wahlen eine große Rolle spielt. Auch die Klimadiskussion ist für die Eidgenossen ein Thema. Dagegen scheint das Rahmenabkommen mit der EU für viele Wähler nicht mehr entscheidend zu sein, ebenso wenig wie Migration und Unabhängigkeit. „Für die SVP stellt die aktuelle Themenkonjunktur eine Herausforderung dar, weil sich die Themen Zuwanderung und Ausländer sowie Unabhängigkeit und Souveränität in der Problemwahrnehmung der Stimmbevölkerung auf relativ tiefem Niveau bewegen“, heißt es in einer Analyse des Schweizer Meinungsforschungsinstituts Sotomo.
  • Stärkste Parteien: Die meisten Stimmen dürfte erneut die Schweizer Volkspartei (SVP) bekommen. Mit 26,8 Prozent in den Umfragen müsste die Partei allerdings einen Verlust von 2,6 Prozent hinnehmen. Das Ergebnis wäre in diesem Fall vergleichbar mit den Wahlen von 2011, nur 2015 erreichte die SVP mehr Stimmen. Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) hält sich in den Umfragen stabil bei 18,7 Prozent. Auf dem dritten Platz würde der Erhebung zufolge die liberale FDP landen. Die Grünen kommen demnach auf 10,5 Prozent. Das bislang beste Wahlergebnis erreichte die Partei zuvor 2007 mit 9,6 Prozent. Gemeinsam mit den Grünliberalen würden die grünen Kräfte laut den Befragungen über 17 Prozent erreichen. Dagegen käme die Christlichdemokratische Partei (CVP) mit 10,2 Prozent nur auf Platz 5 in der Wählergunst.
  • Regierung: Bundespräsident Ueli Maurer (SVP) leitet die derzeitige Regierung, den Bundesrat. Er setzt sich aus SVP, SP, FDP und CVD zusammen. Der Bundesrat wird in der ersten Sitzung des Nationalrats, dem Parlament, neu besetzt. (mim)