Die Zuwendungen aus Brüssel verbergen sich hinter schnöden Namen: Sie heißen Basisprämie, Umverteilungsprämie und Greening-Prämie – und Erich Röhrenbach bekommt sie alle, wie man auf der Suchmaschine der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung problemlos nachschlagen kann. Nur: Reich wird er davon nicht.
Was Landwirtschaft mit der EU zu tun hat – darüber muss man nicht lange nachdenken. Klar, liegt doch auf der Hand: Die Landwirte gehören zu den größten EU-Profiteuren überhaupt. 60 Milliarden Euro Subventionen fließen jährlich in den Agrarsektor. Allerdings profitiert längst nicht jeder gleich stark. „In Wahrheit“, sagt Dietmar Bahler, Geschäftsführer der Obstregion Bodensee e.V. „profitieren nur die Großbetriebe. Und die gibt es in der Region gar nicht.“
Bahler sitzt in Röhrenbachs Garten in Immenstaad-Kippenhausen. Bei Keksen und Kaffee erklären die beiden der SÜDKURIER-Redakteurin, wie viel den Obstbauern in der Region die EU wirklich bringt – nebenbei gibt‘s einen Schnellkurs im Obstanbau. Sicher ist: Sie alle zählen nicht zu den Flächenbetrieben – und da vieles von dem, was aus Brüssel an die Bauern verteilt wird, auf Fläche basiert, geht das Geld vor allem an Großbetriebe mit 1000 Hektar Land und mehr. Rund um den Bodensee werden die Äpfel, Birnen und Trauben in deutlich kleinerem Maßstab angebaut – zwischen 15 und 40 Hektar groß sind die Betriebe. 300 Euro pro Hektar gibt es von der EU, wenn alle Bedingungen erfüllt werden. Röhrenbach sagt: „Die 300 Euro brauche ich nicht. Alles, was ich brauche, ist ein fairer Preis.“
Die Kleinen nach England
Von Bedeutung ist die EU für die Obstbauern am Bodensee trotzdem: Die Baumsetzlinge stammen aus den großen Baumschulen in Italien, Belgien oder Holland. Exportiert wird das Obst natürlich auch – und importiert. Eine Million Tonnen Äpfel werden in Deutschland pro Jahr produziert, aber gegessen werden 1,6 Millionen Tonnen. Die offenen Grenzen sind Segen und Fluch zugleich. „Wir haben einen Mordsdruck am Markt“, sagt der gelernte Gartenbauingenieur Bahler. Der Löwenanteil des Bodensee-Obsts verbleibt zwar in Deutschland, aber auch in Spanien oder Skandinavien findet es Absatz. Auch jenseits Europas gibt es Märkte für deutsches Obst: „Die Russen lieben Übergrößen“, sagt Röhrenbach und meint damit XXL-Äpfel, die man auf dem deutschen Markt kaum losbekomme. Dorthin aber hätten sie ihre Übergrößen „wegdrücken“ können. Bis zum Handelsembargo, heißt das, das eben nicht nur die deutsche Industrie zu spüren bekommen hat. Auch der Brexit wird nicht spurlos an Röhrenbach und Co. vorübergehen: Die Menschen auf den britischen Inseln lieben nämlich die kleinen Äpfel, die in Deutschland ebenfalls nicht gut verkäuflich sind.
Wenn in ein paar Wochen die Saison so richtig losgeht, wird Europa auf Röhrenbachs Hof nicht zu überhören sein. 25 Mitarbeiter aus Polen und Ungarn, vor allem aber aus Rumänien heuern dann als kurzfristig Beschäftigte für maximal 70 Tage bei ihm an, um Netze über die Kirsch- und Apfelbäume zu spannen, um überzählige Blüten und später kleine Äpfel von Hand abzuknipsen – und so den großen mehr Platz zu schaffen. Röhrenbach bezahlt deutschen Mindestlohn (9,19 Euro), in Rumänien liegt dieser bei 2,61 Euro. Für die Osteuropäer ist die Arbeit am Bodensee also ein gutes Geschäft. Ohne sie wiederum wäre der Obstbau hier heute praktisch undenkbar: „Die Äpfel würden in den Bäumen hängen bleiben, wenn man sie mit Deutschen ernten müssten. Die Leute gibt‘s schlicht nicht“, sagt Bahler.
Polen flutet den Apfelmarkt
Als es 2004 mit der EU-Osterweiterung losging, seien vor allem Polen auf dem Hof gewesen, erzählt Röhrenbach. Doch nach und nach seien die Arbeiter weggeblieben. Mit Hilfe von EU-Subventionen rüstete Polen beim Obstbau extrem auf: Mit 4,5 Millionen Tonnen Äpfeln pro Jahr ist Polen heute der größte Apfelproduzent Europas. Das Russland-Embargo machte sich in Deutschland auch deshalb so stark bemerkbar, weil den Polen der russische Markt wegbrach und sie in der Folge Europa fluteten. „Wenn diese ganzen EU-Fördermaßnahmen komplett eingestellt würden, hätten die Bauern am Bodensee nichts dagegen“, lautet darum Dietmar Bahlers Fazit.
Die Rechnung geht nicht auf
Röhrenbach und seiner Familie geht es finanziell gut. Auch weil sie nicht mehr nur auf den Obstbau setzen. Ihr Apfelhof ist seit 15 Jahren auch Urlaubsdomizil: Die sechs Ferienwohnungen werden von seiner Frau gemanagt. Während sein Gewinn im Obstbau starken Schwankungen unterliege, sei seine Frau beständiger, sagt Röhrenbach und schmunzelt. Wer allein auf Äpfel setzt, konnte in den vergangenen Jahren leicht ins Trudeln geraten: 2017 verdarb der Frost vielen Obstbauern am Bodensee die Ernte. 2018 dann brachen die Preise ein. Mit 35 Cent Produktionskosten schlug das Kilo Äpfel bei Röhrenbach in der vergangenen Saison zu Buche. Aber nur 25 Cent bekommt er im Schnitt dafür. Die Rechnung kann nicht aufgehen. Röhrenbach, seit vergangenem Jahr einer der Vorsitzenden des Verbands Obstregion Bodensee e.V., weiß, was solche Jahre für viele Höfe bedeuten: „Viele Obstbauern haben Angst. Man geht da nicht sofort bankrott, aber man hört auf zu investieren.“ Zehn Prozent der Bäume würden jedes Jahr neu gepflanzt, resistente, neue, angesagte Sorten – wer das nicht mache, der lebe von der Substanz.
Von Bienensterben keine Spur
Wir fahren hinaus in die Apfelplantagen, die Kippenhausen auf sanft abfallenden Hügeln bis hinunter zum Bodensee umgeben. Am wolkenverhangenen Horizont sind die Alpen zu erkennen – das Wetter schlägt gerade um, die Eisheiligen stehen bevor. Röhrenbach ist mit seinem Auszubildenden deshalb schon in aller Herrgottsfrühe rausgefahren, um vorbeugend gegen Schorf – ein Pilz – zu spritzen. Integrierter Anbau nennt sich das, was Röhrenbach betreibt: Soviel wie möglich wird biologisch gearbeitet – wenn ein Schädling auftaucht, kommt erstmal der Gegenspieler zum Einsatz. Aber wenn es sein muss, kann man eben auch Fungizide oder Herbizide spritzen. Letztere vor allem, um die Apfelreihen vor dem Zuwachsen und damit vor Mäusen zu bewahren. Um die schlanken Bäume herum schwirren dennoch Wildbienen: Das große Bienensterben? Auf Röhrenbachs Hof gibt es das nicht. Vor Jahren kaufte er die ersten 2000 Puppen, heute summen 200 000 Wildbienen auf seiner Plantage. „Wir müssen sie gut behandeln“, sagt der 54-Jährige. Gespritzt werde nur, was den Bienen nicht schade. Das sei den Obstbauern schon seit jeher klar – schließlich brauchen sie die Insekten für die Bestäubung der Apfelblüten.
Als Nicht-bio-Landwirt fühlt sich nicht nur Röhrenbach ständig unter Beschuss. „Wenn‘s ums Insektensterben geht oder um den CO2-Fußabdruck – immer sind die Bauern schuld“, beklagt Bahler. Der psychische Druck in Kombination mit dem finanziellen führe dazu, dass der Beruf des Obstbauern immer unattraktiver werde. Röhrenbach, der auf seinem Hof ausbildet, hat dieses Jahr keine Bewerbung erhalten. Und von acht Betrieben in Kippenhausen hätten nur zwei einen Nachfolger, erzählt er. Draußen bei seinen Bäumen scheinen alle Sorgen vergessen. Als Röhrenbach erklärt, was es mit Königsblüten und Lateralblüten auf sich hat, und warum Blüten abgeschlagen werden, ist er in seinem Element.
Unsere Europa-Serie
Teil 1: Warum die EU-Wahl wichtig ist
Teil 2: Der EU-Fan
Teil 3: Der EU-Nutznießer
Teil 4: Der EU-Skeptiker
Teil 5: Der Familieneuropäer
Teil 6: Der Berufseuropäer
Teil 7: Der Europawahlexperte
Teil 8: So läuft die Europawahl
Die SÜDKURIER-Europaserie
Am 26. Mai sind Europawahlen. Bis dahin wollen wir, die Redakteure des SÜDKURIER, einen Blick in die Region werfen: Wie sehr betrifft die EU die Bürger hier, was denken sie darüber und welche Vorteile oder auch Schwierigkeiten bringt die EU mit sich? All das wollen wir in der heute beginnenden achtteiligen Serie beleuchten – kritisch und fundiert. Dieser erste Teil ist der Auftakt der Reihe, in der unsere Leser die Protagonisten sind. In den kommenden sechs Teilen sprechen wir mit Menschen, die von der EU begeistert sind oder ihr skeptisch gegenüberstehen. Mit Menschen, die von ihr profitieren und solchen, die für sie arbeiten. Mit Menschen, deren Leben von der EU geprägt ist. Schließlich sprechen wir mit einem EU-Experten, bevor wir im Schlussteil erklären, wie genau die Wahl abläuft. Diese Reise durch die Region ist auch eine Reise durch die EU, auf die wir Sie, unsere Leser, gerne mitnehmen möchten. (mim)