Nese Erikli ist aufgebracht, als sie in die Redaktion des SÜDKURIER kommt. Gerade hat sie als Zeugin in einem Prozess ausgesagt gegen einen Mann, der sie massiv beleidigt und der Grünen-Landtagsabgeordneten des Kreises Konstanz aufgelauert haben soll. Die E-Mail mit rassistischen und neonazistischen Inhalten liegt dieser Redaktion vor.
Hasserfüllte Zeilen
„Sie und ihresgleichen (Grammatikfehler wie im Original übernommen, A.d.R.) haben in Deutschland nichts zu suchen“ – ist noch einer der mildesten Äußerungen des Briefs, den Erikli per Mail erhielt. Es ist nicht der Einzige. Inzwischen bekomme sie so viele Mails, dass sie gar nicht mehr darauf reagieren, sondern sie nur noch löschen könne. „Es wäre schön, wenn du mal vergewaltigt würdest“, gehört zu den Vorwürfen, die Erikli nicht vergessen kann – auch nach dem Löschen nicht.
Angst um ihr Kind
Die 37-Jährige ist alleinerziehende Mutter einer zweijährigen Tochter. Sie hat mittlerweile Angst um ihr Kind – und will deshalb nicht länger schweigen über die Anfeindungen, die sie erfährt: „Es gibt kein Halten mehr in den sozialen Medien, besonders auf Facebook„, sagt sie.
Beleidigungen, Lügen und Hetzbotschaften würden dort verbreitet. „Facebook ist zum Teil zu einer Plattform rechtsradikaler Äußerungen verkommen“, findet sie. Die Hemmschwelle sei gesunken, die Menschen hätten keine Scheu mehr.

Digitale Medien beeinflussen die Realität
Das ist auch der Eindruck von Rechtsanwalt Gerhard Zahner, der Erikli vertritt. „Was wir erleben, ist das Einsickern von Facebook in die Wirklichkeit“, kritisiert der Jurist und meint damit, dass „die Leute glauben, weil sie alles posten können, dürfen sie alles tun.“ Bei schriftlichen Beleidigungen bleibe es nicht immer, es werde eine Grenze überschritten – zum Stalking, zur Gewalt bis hin zu Mord wie im Fall Lübcke.
Zahner sind mehrere Fälle von Bedrohungen und Anfeindungen in der Region bekannt, er hat schon diverse Anträge wegen Volksverhetzung gestellt. So werde etwa der Konstanzer Gemeinderat Mohammed Badari immer wieder „unter Druck gesetzt“, auch der Konstanzer Linke-Politiker Holger Reile sei schon angegangen worden.
Verändertes Klima
„Es geht nicht nur um Migration, sondern auch politische Einstellungen“, glaubt Zahner. Er begleite Erikli schon lange und sehe, dass die Aggressionen „immer massiver“ würden: Die Kombination „Frau, Migrationshintergrund, Grün“ sporne manche Menschen regelrecht an, sie zu beschimpfen.
„Das polititsche Klima hat sich verändert, die angekündigte Gewalt auf Facebook und anderen sozialen Medien hat zugenommen.“ Weniger die Politik, sondern vor allem die Gesellschaft sieht der Rechtsanwalt in der Verantwortung: „Es ist die Gesellschaft, die solche Vorfälle sieht, duldet und nicht einschreitet.“
Boshafte Kommentare
Erikli, in Heilbronn als Tochter türkischer Eltern geboren, hat ihre Auftritte in sozialen Medien schon zurückgefahren: Sie poste nur noch wenig auf Facebook, so Erikli. Wenn es um Flüchtlingspolitik geht, weiß sie schon vorher, „dass ich dann Stunden damit beschäftigt bin, Hasskommentare zu löschen und Nutzer zu blockieren“.
Aber auch auf offener Straße wird sie angegangen. Ganz direkt. Auf dem Weg zu einem lokalen Fest sei sie von einer Frau im Vorbeigehen auf Ihre Flüchtlingspolitik angesprochen worden: „Sie haben wieder Geld für Flüchtlinge an Land gezogen“, habe die Frau gesagt. „Um uns Deutsche kümmert sich keiner mehr“, habe sie hinterhergeschickt, gefolgt von einer direkten Drohung: „Das wird noch Konsequenzen haben. Sie werden dafür bezahlen.“
Offene Anfeindungen
In Eriklis Konstanzer Abgeordnetenbüro tauchte schon häufiger eine ältere Dame auf. „Das ist aber kein deutscher Name“, habe sich die Frau beschwert. „Und so eine vertritt unseren Landkreis?“ Viel zu viele Ausländer gebe es hier. Inzwischen hat Erikli ihre Bürgersprechzeiten eingeschränkt. Zu häufig gebe es „kritische Begegnungen“.
Ein Mann hat auf dem Konstanzer Friedhof Grabsteine verschandelt mit Hassparolen gegen Erikli, die er dort namentlich erwähnt, gepaart mit Hakenkreuzen und Judensternen. Erikli ist Muslima. Gruppierungen wie die „Identitäre Bewegung„ sieht Erikli mit Sorge. Ein einschlägiger Blog in der rechten Szene, der lokale Politiker beleidigt, ist seit Jahren aktiv.
Veränderte Gesellschaft
„Da hat sich etwas verändert in unserer Gesellschaft“, mahnt Erikli. Sie will darauf aufmerksam machen – auch für andere Menschen mit Migrationshintergrund, für Flüchtlinge, die sich vielleicht nicht so zur Wehr setzen können Erikli. Die Abgeordnete geht kaum noch alleine vor die Haustür. Seit sie von einem Mann auf dem Rad bedroht wurde, als sie ihre Tochter dabei hatte, fährt sie kein Rad mehr. In ihrem Haus wurde eingebrochen – in derselben Woche, in der der Mann, der nun vor Gericht stand, sie bedroht hatte.
Der Hass, der ihr entgegengebracht wird, macht Erikli manchmal sprachlos. „Aber ich lasse mich nicht einschüchtern.“
Zur Person
NeseErikli (37) ist seit 2016 Abgeordnete der Grünen im Stuttgarter Landtag für den Landkreis Konstanz. Die gebürtige Heilbronnerin lebt seit 2002 in Konstanz, wo sie Jura studierte. Seit 2000 ist Erekli Grünen-Abgeordnete. Ereklis Eltern stammten aus der Türkei, die in Deutschland geborene Grünen-Politikerin entschied sich 2002 aber zur Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft und gab dafür ihre türkische Staatsbürgerschaft auf. Die Grünen-Abgeordnete macht sich unter anderem für mehr Bürgerbeteiligung und Forschung stark. (mim)