Sind Flüchtlinge krimineller als Deutsche? Begehen sie wirklich häufiger Straftaten wie Körperverletzung oder Sexualdelikte?

Frankfurter Schock

Der Eritreer, der am Frankfurter Bahnhof einen Jungen vor einen einfahrenden Zug stieß, erschütterte die Bundesrepublik. Auch wenn er seit Jahren als integrierter Flüchtling in der Schweiz lebte, Familie hatte: Der Mann litt offenbar an einer psychischen Erkrankung. Doch woher rührt sie? Führten vielleicht seine Erfahrungen in seinem Heimatland zu einer traumatischen Störung?

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Auch der aktuelle Fall der Gruppenvergewaltigung in Freiburg scheint Vorurteile zu bestätigen: Auf der Anklagebank sitzen acht Syrer, ein Afghane, ein Iraker und ein Deutscher. Die Ermordung der Studentin Maria Ladenburger in Freiburg durch einen geflüchteten Afghanen bleibt in schrecklicher Erinnerung. Erlauben diese Taten Rückschlüsse auf das Verhalten von Flüchtlingen generell?

Flüchtlingskrise führt viele junge Männer nach Europa

Seit der Flüchtlingskrise 2015 wurden mehr als 1,5 Millionen Menschen als Asylsuchende in Deutschland registriert. Unter den registrierten Asylsuchenden in dieser Zeit sind die am stärksten vertretenen Nationen Syrien, Afghanistan und Irak. 29 Prozent der Antragssteller waren Kinder unter 14 Jahren, 73 Prozent aller Asylantragsteller waren unter 30 Jahre alt. 65 Prozent sind männlich.

Wie sieht es nun mit der Kriminalität in dieser Bevölkerungsgruppe aus? Das Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlicht seit Beginn der Flüchtlingskrise jährlich ein „Bundeslagebild zur Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“.

Tatverdächtige Zuwanderer meist männlich

Die Behörde sieht zumindest bei den Tatverdächtigen unter den Zuwanderern – was nichts über die Anzahl der tatsächlich verurteilten Straftäter besagt – einen Trend: „Die überwiegende Mehrheit (86 Prozent) der tatverdächtigen Zuwanderer war männlich, 65 Prozent waren jünger als 30 Jahre. Und: Jeder dritte war 2018 „mehrfach tatverdächtig“: „Die überwiegende Mehrheit“ dieser Verdächtigen wurde demnach zwei bis fünf Mal straffällig.

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Heißt das, dass bei männlichen Flüchtlingen wegen ihrer Erfahrungen in ihren Heimatländern von Krieg, Unterdrückung und Terror die Schwelle zur Gewaltbereitschaft gesenkt wird? Ist, wer Gewalt erlebt hat, grundsätzlich gewaltbereiter? Das zumindest befürchtet Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha: „Sehr häufig neigen durch Gewalterfahrung traumatisierte Menschen auch selbst zu verstärkter und enthemmter Gewalt- und Aggressionsbereitschaft.“

Bild 1: Sind Flüchtlinge wirklich gefährlicher?
Bild: Südkurier

Gewalterfahrungen können Gewaltbereitschaft fördern

Das bestätigt auch Professor Thomas Elbert von der Universität Konstanz. Allerdings ergänzt er: Die Erfahrungen, die Menschen vor allem in ihrer Kindheit machen – sei es, mit Gewalt aufzuwachsen oder unter Krieg und Verfolgung zu leiden – prägt. „Unter den Menschen, die solche Gewalterfahrungen gemacht haben, ist etwa ein Viertel gefährdet, die Schwelle zur Gewaltausübung zu überschreiten.“

Elbert sieht einen Zusammenhang zwischen psychischen Belastungen und Straftaten. „Bei einem Trauma bleibt man in der Vergangenheit stecken.“ Im Fall von Flüchtlingen kann das bedeuten, dass diese sich weiter unterschwellig bedroht fühlen – auch wenn die Flucht, auf der sie oft ums Überleben kämpfen mussten, zu Ende ist.

Enttäuschung über Realität

Das Trauma verhindere ihre Integration. Hinzu komme oft der sogenannte Honeymoon-Effekt: Die Realisierung, dass die bessere Zukunft in Deutschland nicht so einfach zu gestalten ist. Die Sprache, das Schulsystem, die Berufsanforderungen – das führe zu Frustration, weil diese Hürden nur schwer zu bewältigen seien.

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Dass vor allem (junge) Männer zu Gewalt neigten, hänge mit dem Testosteron zusammen und der evolutionsbedingten Prägung. Dennoch warnt Elbert vor vorschnellen Interpretationen von Statistiken – zumal sie häufig auf Tatverdächtigen, nicht aber auf verurteilten Straftätern basieren: Während die Polizei viele Angaben zu Tatverdächtigen erfasst, hält die Justiz entsprechende Zahlen zu Urteilen nicht in dieser Genauigkeit fest.

Gewaltverbrechen mit Messern

Auf Anfrage verweist auch der Sprecher des Landesjustizministeriums, Steffen Tanneberger, zunächst auf Zahlen zu Tatverdächtigen. Das Ministerium habe festgestellt, dass die Zahl der Tatverdächtigen „bei der Gewaltkriminalität unter Verwendung eines Messers von 2013 bis 2018 von 1401 auf 1757, also um 25,4 Prozent gestiegen“ sei.

Dabei sei der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen um 70 Prozent angestiegen. Bei Asylbewerbern sei diesbezüglich sogar „ein Anstieg der Zahl der Tatverdächtigen um 330,4 Prozent festzustellen“, bei „anderen Ausländern lediglich 4,6 Prozent“. 2018 waren demnach 30,4 Prozent aller Tatverdächtigen bei Gewalttaten mit einem Messer Asylbewerber oder Flüchtlinge.

Sexualverbrechen meist von Deutschen verübt

Die Statistik über Urteile der vergangenen drei Jahre in Baden-Württemberg zu Gewalt- und Sexualdelikten, die der SÜDKURIER auf Anfrage erhält, gibt nur bedingt Aufschluss: Sie zeigt, dass ein Großteil der Taten von Deutschen verübt wird im Gegensatz zu „Nichtdeutschen“. Darunter sind die drei am stärksten vertretenen Nationen die Türkei, Syrien und Afghanistan. Allerdings schlüsselt das Ministerium die Straftäter nicht nach ihrem Aufenthaltsstatus auf.

Die Angaben des Bundeskriminalamts sprechen dagegen für einen Rückgang bei „tatverdächtigen Zuwanderern“. Als solche bezeichnet die Behörde Menschen, die als „Asylbewerber, Schutzberechtigter und Asylberechtigter oder Kontingentflüchtling“ gelten oder geduldet werden sowie Menschen, die sich unerlaubt in Deutschland aufhalten.

Ein Zehntel der Tatverdächtigen sind Ausländer

Im Jahr 2018 waren es demnach 165 769, im Vorjahr noch 167 268. Der Anteil von Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund bleibt demzufolge aber gleich im Verhältnis zur Gesamtzahl von Tatverdächtigen. In den beiden Bereichen „Rohheitsdelikte“ (zumeist Körperverletzungen) und „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ machen Zuwanderer jeweils zehn Prozent beziehungsweise elf Prozent aus.

Bei den drei Hauptherkunftsstaaten zeichnet sich in den Zahlen des BKA ein ähnliches Bild ab: Die meisten Verdächtigen stammen aus Syrien (20 Prozent), Afghanistan (elf Prozent) und Irak (sieben Prozent). Der Anteil Tatverdächtiger aus den sogenannten Magreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien lag zusammengenommen bei sieben Prozent. Stark gestiegen ist der Anteil türkischer Tatverdächtiger unter den Zuwanderern. Waren es 2017 noch 2719 Verdächtige, belief sich ihre Zahl 2018 auf 4099. Nahezu alle sind männlich.

Jeder achte Tatverdächtige ist Zuwanderer

Auch die Strafverfolgungsbehörde sieht einen Trend: Straftaten hätten im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung gegenüber 2017 deutlich (15 Prozent) zugenommen. Annähernd jeder achte Tatverdächtige bei Sexualstraftaten war Zuwanderer – ein Anteil von zwölf Prozent. In diesem Bereich ist jeder Dritte zudem unter 21 Jahre alt. 90 Prozent wurden zum ersten Mal im Zusammenhang mit einer Sexualstraftat auffällig.

Ähnlich ist das bei den „Rohheitsdelikten“: 91 Prozent der tatverdächtigen Zuwanderer waren Männer, zwei Drittel von ihnen unter 30 Jahren. Fast jedem Vierten wurden mindestens zwei weitere Delikte dieser Art vorgeworfen. Die am stärksten vertretenen Bevölkerungsgruppen unter den zugewanderten Tatverdächtigen waren auch hier Syrer (23 Prozent), Afghanen (15 Prozent) und Iraker (acht Prozent).

Kulturelle Prägung?

Wissenschaftler Elbert überrascht das nicht. Bei jungen Männern spiele zwar auch der höhere Testosteronspiegel eine Rolle. Bei Sexualstraftraten gehe es aber, gerade in Gruppen, weniger um sexuelle Befriedigung, sondern vielmehr um soziale Dominanz. Hinzu komme die kulturelle Prägung: In einigen Herkunftsländern müssten Frauen ihre sekundären Geschlechtsmerkmale verhüllen. Wer das nicht tut, gilt als unsittlich. Aggression sei aber auch ein Mittel, um sich vor Angst und Traumafolgen zu schützen, erklärt Elbert.